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Todesfall Trauer um den Brockenwirt

Die Trauer um verstorbenen Brockenwirt Hans Steinhoff ist groß. Er war weit über den Harz hinaus bekannt.

Von Dennis Lotzmann 14.06.2016, 01:01

Schierke l „Hans Steinhoff war der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle“, würdigt Michael Ermrich, der langjährige Landrat von Wernigerode und des Harzkreises, den Brockenwirt. Der heutige Präsident des Ostdeutschen Sparkassen- verbandes hatte seit 1990 mit Steinhoff zu tun. Als damaliger Oberkreisdirektor habe er einen Betreiber für den Aufbau der Gastronomie rund um den Brocken gesucht, der mit der Heimat verwurzelt ist.

Von Anfang an habe sich Steinhoff mit Enthusiasmus und mit dem Herzen am rechten Fleck für den Harz und seine Besucher eingesetzt und dabei für die Allgemeinheit mehr erreicht, als es seine Aufgabe als Gastronom gewesen wäre, erinnert sich Ermrich.

Hans Steinhoff, geboren in Schierke, absolvierte die Lehre als Konditor und später als Koch, arbeitete als Küchen- und Heimleiter in Ferienheimen des DDR-Gewerkschaftsbundes FDGB und erlebte 1989 als Chef im Eiscafé „Bodeblick“ in Schierke den Mauerfall.

Für ihn sei die Grenzöffnung das „freudige Superereignis überhaupt“ gewesen, sagt sein Sohn Daniel. Endlich war der „geliebte Berg“, der seit 1961 gesperrt war, wieder frei. „Für Vater war sofort klar, dass viele Menschen den so lange unerreichbaren Sehnsuchtsberg wieder erklimmen wollten“, sagt der heute 45-Jährige, der ebenso wie die Mutter Ursula und Schwester Christiane zum Familienbetrieb gehört.

„Und als Gastwirt wusste er natürlich, dass die Besucher nach dem Aufstieg durstig und hungrig sein würden.“ Also wurde sofort ein entsprechender Antrag gestellt, und am 1. Februar 1990 konnte im Bahnhofsgebäude auf dem Brocken ein Imbiss mit Bockwurst und Erbsensuppe aus der Gulaschkanone sowie Getränken eröffnet werden.

Gastwirt und DDR-Gastronom Hans Steinhoff war damit quasi über Nacht zum Brockenwirt geworden. Einer, der im Bahnhofsgebäude der Brockenbahn ein ganz spezielles Erbe antrat: Hier logierten bis zum Fall der Brockenmauer die DDR-Grenzschützer.

Und Hans Steinhoff hatte den richtigen Riecher: Die Verpflegung auf dem 1142 Meter hohen Berg, die damals und noch heute dankbar von den Wanderern angenommen wurde und wird, erwies sich als Goldgrube und begründete ein gastronomisches Imperium unter dem Markennamen „Der Brockenwirt – Das Höchste im Norden“, das Beispiel für eine ostdeutsche Erfolgsgeschichte ist.

Heute gehören dazu mehrere Gaststätten und Hotels auf dem Brocken und in Schierke. „Meine Eltern haben dafür aber schwer gearbeitet, und wir Kinder mussten auch mit ran“, sagt Sohn Daniel. Noch heute gebe es eine Sieben-Tage-Arbeitswoche mit zehn Stunden am Tag.

Den Erfolg des aufblühenden Familienbetriebes sahen nicht alle mit Begeisterung. Neider waren schnell zur Stelle. Doch auch mit ihnen wusste Hans Steinhoff umzugehen. „Für Neid musst du arbeiten, Mitleid kriegst du umsonst“, sagte er nicht nur einmal öffentlich und fügte hinzu: „Wer Neider hat, hat Brot, wer keine hat, hat Not.“

Er musste auch erfahren, dass sich zu Neid und Missgunst böse Vorwürfe gesellten. Jemand wie er – erst in der DDR-Gastronomie in gehobener Stellung und im Sperrgebiet der Grenze tätig und jetzt ein „Hans im Glück“ auf dem Brocken – das könne doch unmöglich mit rechten Dingen zugehen. Es machten Verdächtigungen die Runde: Da müssen doch Stasi-Seilschaften im Spiel sein.

Unbestritten: Wer, wie die Steinhoffsche Familie, in Schierke und damit im absoluten Sperrgebiet lebte, musste sich systemkonform geben. Wer hier Kritik an der DDR-Diktatur laut geäußert hätte, wäre über Nacht zwangsweise umgesiedelt worden. Steinhoff war entsprechend angepasst und systemkonform, um das zu verhindern. Dass darüber hinaus mehr gewesen sein könnte, wurde nie belegt.

Eberhard Löblich, der im Jahr 2000 das Buch „Der Brockenwirt erzählt“ herausgebracht hat, bringt es auf den Punkt: Niemand habe irgendwelche Vorwürfe schlüssig bewiesen. Folglich müsse für Steinhoff die Unschuldsvermutung gelten.

Auch Rückschläge konnte er hinnehmen. So verzagte er nicht, als er 1998 überraschenderweise nicht den Zuschlag für das geplante Brockenhotel erhielt. „Der Unternehmer, der den Zuschlag gewonnen hatte“, erinnert sich Daniel, „bekam aber bald kalte Füße und sagte ab.“

So habe der Vater das Hotel doch noch einrichten können, nachdem die Deutsche Post als Betreiber des Turms wieder auf den Brockenwirt zurückgegriffen hätte. Das Beispiel zeige übrigens, dass dem Brockenwirt auf dem Berg, entgegen der oft kolportierten Meinung, kein Stein gehöre, vielmehr seien alle Einrichtungen von den Besitzern, der Nord-LB und der Harzsparkasse, gepachtet.

Hans Steinhoff sei nicht nur ein engagierter Unternehmer gewesen, sagt Karl-Heinz Daehre, „sondern auch ein Botschafter Sachsen-Anhalts“. Hierin liege wohl auch das Erfolgsgeheimnis des Brockenwirts. Als damaliger Bauminister habe er in den frühen 1990er Jahren Steinhoff kennen und als Freund schätzen gelernt. „Als Verantwortlicher für Raumordnung habe ich den Bau des Brockenhotels begleitet und seine Verhandlungs- und Kompromissbereitschaft bewundert, so bei der Auseinandersetzung um die Zahl der Betten.“

Der Kompromiss, der einen Massentourismus im Hotel auf dem Berg verhindern sollte, sei noch heute erfreulich zu spüren. „Hans hat als Unternehmer unheimlich viel für das Gemeinwesen getan“, sagt Daehre und erinnert an dessen Einsatz für die Rekonstruktion der Brockenstraße, sein Engagement für die Bergwacht und den Straßenwinterdienst. Oft kletterte er zu nachtschlafender Zeit selbst in die Schneeräum-Maschinen, um die Straße zu räumen.

Der ehemalige Innenminister Manfred Püchel sagt, Hans Steinhoff habe sich „mit der Einrichtung des Brockenstammtisches selbst ein Denkmal gesetzt“, so Püchel. Die legendären Brockenstammtische gibt es seit 1990. Damals rief Hans Steinhoff Politiker aus Stadt und Land sowie Vertreter der Wirtschaft zusammen, um zu besprechen, wie die von der DDR stillgelegte Brockenbahn zum Fahren gebracht werden könne. Der Funke sprang über, die Züge dampften bald wieder zum Berg, und der Anfang für regelmäßige Treffen über Harzer Probleme war getan. Inzwischen wurde im vergangenen Februar bereits der 91. Brockenstammtisch abgehalten.

Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) formuliert es so: „Hans Steinhoff hat nach der Wiedervereinigung den Brocken als ,Berg der Deutschen‘ wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt.“ Ex-Landrat Ermrich: „Er ist mit seinem Brockenstammtisch zu einem Vermittler zwischen Ost und West geworden.“ Er habe die Plattform geliefert, auf der durch die Teilnehmer Probleme für die wirtschaftliche und touristische Erschließung des Harzes besprochen und gelöst werden konnten. Dass er dabei sehr oft im Mittelpunkt gestanden habe, sei ihm gar nicht recht gewesen. „Hauptsache, ihr redet miteinander“, sei seine Devise gewesen.

Mit Hans Steinhoff habe der Harz eine „Integrationsfigur“ verloren, bedauert Michael Ermrich. „Man kann nur hoffen, dass die Kinder sein Werk fortführen.“ Antwort darauf gibt Sohn Daniel Steinhoff. „Die Familie zieht an einem Strang. Wir machen in seinem Sinn weiter, auch mit den Stammtischen“, bekräftigt er und fügt hinzu: „Er fehlt mir als Vater und Ratgeber.“

Auch wenn nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen herrsche, die Familie halte zusammen. „Vater fährt nicht mehr jeden Tag auf ‚seinen‘ Berg, das machen wir jetzt in seinem Andenken.“