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Transplantation Nur bei Hirntod ist Organspende möglich

Bei der Zahl der Organspenden ist Deutschland Schlusslicht in Europa. Professor Firsching von der Uniklinik Magdeburg fordert Konsequenzen.

Von Alexander Walter 20.01.2018, 00:01

Herr Prof. Firsching, 2017 gab es in Deutschland gerade noch 769 Organspenden – ein historischer Tiefststand. Was läuft schief?
Raimund Firsching: Die öffentliche Meinung über die Organspende hat sich vor allem infolge von verunsichernden Medienberichten leider gewandelt. Ärzte wurden öffentlich diskreditiert, die Politik ist außerdem unfähig, eine vernünftige Regelung zu schaffen.

Wo genau haben die Medien danebengelegen?
Mir fallen etwa Zeitungsberichte über einen sogenannten „Hirntodskandal“ ein. In einem Fall, den ich kenne, hatte eine Ärztin bei der Feststellung des Hirntodes sinngemäß gesagt, sie wisse schon, was sie tue. Medien haben das dann zum Abweichen vom vorgeschriebenen Protokoll aufgebauscht, obwohl es an der Richtigkeit des Vorgehens der Ärztin keinerlei Zweifel gab.

Es waren auch die Medien, die vor einigen Jahren aufgedeckt haben, dass Transplantationszentren eigene Patienten bevorzugt berücksichtigt hatten ...
Ja, das stimmt. Aber dabei ging es doch nie um die Korrektheit der Diagnose des Hirntods oder die richtige Ausführung der Organspende.

Trotzdem haben viele Menschen Angst, es werde im Ernstfall nicht alles unternommen, um sie zu retten. Ist das angesichts einer Warteliste von mehr als 10 .000 Patienten so abwegig?
Die Voraussetzung für eine Organspende ist der Hirntod. Dieser betrifft überhaupt nur sehr wenige Menschen. Auf 100 Todesfälle kommen vermutlich ein bis zwei Fälle. Vor allem aber: Die Entstehung des Hirntods ist nur auf einer Intensivstation unter Beatmungsbedingungen möglich. Die Feststellung unterliegt strengen Protokollen. Es gibt zwei Untersuchungen, die von zwei Ärzten unabhängig von einem Transplantationsteam ausgeführt werden müssen. Die Protokolle müssen zudem über zehn Jahre gespeichert werden und sind bei Zweifeln vorzulegen. Es hat weltweit noch keinen einzigen Fall gegeben, in dem sich ein Patient nach der Diagnosestellung erholt hätte.

Können Sie mit Sicherheit sagen: Der Hirntod ist gleichbedeutend mit dem Tod des Menschen? Er ist schließlich auch nur eine Konvention der modernen Medizin ...
Drastisch formuliert: Der Hirntod ist neurologisch identisch mit dem Zustand nach einer Enthauptung und hat die gleichen Erholungsaussichten, nämlich keine. Würden Sie einen Enthaupteten nicht als tot bezeichnen?

Sie haben gesagt, die Politik sei unfähig, eine vernünftige Regelung zu schaffen. Was meinen Sie?
Wenn Patienten in Deutschland keinen Organspenderausweis bei sich haben – und das ist in mehr als 90 Prozent der Fälle die Realität – entscheiden die Angehörigen. Diese sind damit in der Regel emotional komplett überfordert, weil fast immer nicht bekannt ist, wie sich der Betroffene entschieden hätte. Die Ablehnungsquote hat sich zuletzt auch bei uns stetig erhöht.

Welche Regelung wäre besser?
Besser wäre die Widerspruchslösung, wie sie etwa Österreich praktiziert. Jeder Bürger gilt dabei zunächst als Organspender, wenn er sich nicht zu Lebzeiten dagegen ausgesprochen hat. In Österreich ist die Spendebereitschaft deutlich höher.

Besteht damit nicht die Gefahr, dass Menschen genötigt werden?
Nein, die Widerspruchslösung kann ja auch anonym eingeführt werden, so dass nur im Bedarfsfall die Krankenhäuser Einsicht erhalten.

Sie halten auch Zuschüsse für Bestattungskosten für denkbar, wenn jemand zur Organspende bereit ist. Ist das nicht ethisch fragwürdig?
Bestattungszuschüsse wären für mich nur eine Lösung, wenn andere ausbleiben. Allerdings: Ich halte es doch eher für moralisch fragwürdig, wenn in Zeiten exzessiven Organmangels jeder, der ein Organ braucht, das Recht hat in die Warteliste aufgenommen zu werden, gleichzeitig aber niemand gefragt wird, ob er zu einer Spende nach Feststellung seines Todes bereit wäre. Offensichtlich sind die Menschen sehr zögerlich, sich mit dem Thema zu befassen. Eine Befragung wäre eine faire Lösung.

Untersuchungen zeigen: Der Tiefststand an Organspendern hängt auch mit der Überlastung des Klinikpersonals zusammen.
Es ist denkbar, dass das eine Rolle spielt. Die an der Transplantation beteiligten Ärzte müssten gegebenenfalls eine Aufwandsentschädigung für ihre Arbeit erhalten.

Zum Schluss eine persönliche Frage: Haben Sie einen Spenderausweis?
Nein, den habe ich nicht, da der bei Unfällen und Hirnblutungen erfahrungsgemäß nicht auffindbar ist. Aber ich habe mit meiner Frau vereinbart, dass ich im Fall meines Hirntodes selbstverständlich meine Organe spenden würde. Mir würden sie ja dann nicht mehr nützen.