Trinkgewohnheit Prost

Unser Gastautor aus London berichtet über sein neues Leben in Sachsen-Anhalt und wundert sich über deutsche Trinkgewohnheiten.

Von Paul Kilbey 10.12.2017, 08:05

Magdeburg l Deutsche Kellner müssen denken, dass meine Sprachkenntnisse wirklich grottig sind. Denn in jedem Restaurant, in jeder Imbissbude studiere ich die Getränkekarte mit einem ratlosen Blick. Und auf die Frage, was ich trinken will, kommt von mir oft nur ein „uhm“ und „äh“. Doch das liegt nicht daran, dass ich die Wörter nicht verstehe. Ich brauche so lange, weil Zahlen durch meinen Kopf rattern.

Sie haben sich bestimmt daran gewöhnt, aber in Deutschland scheint es üblich zu sein, die exakte Menge anzugeben: 0,2 Liter Schorle, 0,33 Liter Bier, 0,1 Liter Wasser. Bei diesen genauen Angaben muss ich mir unweigerlich das Personal dabei vorstellen, wie es – mit weißen Laborkitteln und mit Schutzbrille ausgerüstet - mit Pipetten jedes Glas auf den Tropfen genau befüllt. Und derart exakte Mengenangaben machen einen Preisvergleich ohne Mathestudium fast unmöglich.

Sie halten mich jetzt sicher für einen echten britischen Geizkragen - dabei ist es noch nicht einmal der Preis des Getränkes, der mir wirklich Sorgen bereitet. Ich möchte eigentlich nur meinen Durst löschen. Vielleicht bin ich verwöhnt. Denn in Großbritannien stellen Kellner ohne zu fragen eine riesige Kanne Leitungswasser auf den Tisch. Etwas, das in Deutschland ein Tabu zu sein scheint. Statt gratis Wasser zu bekommen, muss man es in Flaschen kaufen. Und die werden wiederrum zu astronomisch hohen Preisen verkauft – meist sind sie sogar teurer als Bier. Unglaublich. Ich habe im Internet bereits unzählige Theorien darüber gelesen, warum die deutschen Restaurants so erpicht darauf sind, ihre Kundschaft verdursten zu lassen. Einige sagen, dass das Wort „Leitungswasser“ den Kunden an Abwasser denken lässt. Ich muss an dieser Stelle zugeben, dass unsere englische Bezeichnung „tap water“ tatsächlich appetitlicher klingt.

Die logischste Erklärung ist, dass Restaurants ihre größten Einnahmen durch Getränke erzielen, da das Essen verhältnismäßig günstig ist. Persönlich glaube ich jedoch, dass es noch einen anderen Grund dafür gibt, dass Deutsche nicht nach Leitungswasser verlangen. Ganz einfach: weil sie kaum Wasser trinken. Und das ist nicht nur in Restaurants so.

Ich bin seit kurzem Mitglied in einem Fitnessstudio. Als ich beim ersten Training dort meine Flasche wieder auffüllen wollte, suchte ich das gesamte Studio nach einem Wasserspender ab. Vergeblich. Letztendlich musste ich auf der Toilette am Wasserhahn Nachschlag holen. Und damit war ich scheinbar der Einzige. Denn alle anderen schienen mit so wenig Wasser auszukommen, dass ich mich ernsthaft fragte, warum niemand in Ohnmacht fiel.

In London war ich bereits in echt miesen Fitnessstudios. Doch selbst dort gab es Wasser gratis. Das ist auch im Park, im Museum und auf der Arbeit der Fall. Während wir in Großbritannien über „staying hydrated“ sprechen, ist mir aufgefallen, dass es in Deutschland noch nicht einmal ein griffiges Wort dafür gibt. Hier spricht man erst darüber, wenn es zu spät, also jemand dehydriert ist.

Trinken, so haben wir Briten es gelernt, hält uns gesund. Es steigert die Konzentration und – das hat die Londoner City-Universität in einer Studie herausgefunden - auch die Produktivität um bis zu 14 Prozent.

Können Sie sich vorstellen was passieren würde, wenn die Deutschen 14 Prozent produktiver wären? Für mich ist das ein beängstigender Gedanke, denn das Land zählt eh schon zu den produktivsten Europas.

Vielleicht haben die Deutschen eine andere Geheimwaffe für ihren Erfolg? Wasser kann es zumindest nicht sein. Aber Moment mal, sind Deutsche nicht überall für ihren hohen Bierkonsum bekannt? Sind etwa die günstigen Bierpreise das Rezept für hochproduktive Arbeitskräfte? Ähm, und jetzt entschuldigen Sie mich, ich müsste schnell mal in die Kneipe.

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