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TV-Geschichte Erste Nachrichtenfrau war Halberstädterin

Die erste Nachrichtenfrau im deutschen TV war Halberstädterin. Im Interview sprach Wibke Bruhns auch von ihrem Wahlkampf für Willy Brandt.

05.09.2018, 23:01

Halberstadt l Die gebürtige Halberstädterin Wibke Bruhns ist Journalistin und Bestseller-Autorin. Und sie schrieb TV-Geschichte: Als erste Frau las sie 1971 im bundesdeutschen Fernsehen die Nachrichten. Am 8. September wird Wibke Bruhns 80 Jahre alt. Im Volksstimme-Interview erzählte sie von Anfeindungen, ihren Anfänge im Journalismus und ihrem Wahlkampf für Willy Brandt.

Volksstimme: Frau Bruhns, wenn Sie abends Nachrichten schauen, wofür schlägt Ihr Herz mehr – ARD oder ZDF?
Wibke Bruhns: Das ist nicht eine Frage des Herzens, sondern eine Frage der Uhrzeit.

Bei beiden Sendern sind Frauen heute als Nachrichtensprecher selbstverständlich. Waren Sie eine Vorreiterin?
Ich denke, ich habe schon eine Tür aufgemacht. Und das gefällt mir.

 

Bei Ihnen war es eine Sensation, als Sie am 12. Mai 1971 auf Sendung gingen. Können Sie sich noch an den Tag erinnern?
An den Tag nicht, aber an den nachträglichen Wirbel.

War der für Sie überraschend?
Ja, weil ich schon eine ganze Weile für das ZDF Sendungen moderiert hatte. Ich war ja kein Newcomer auf dem Bildschirm. Aber die Zuschauer waren auf Männergesichter wie den ARD-Nachrichtenchef Karlheinz Köpke fixiert.

Aber Sie hatten doch sicher auch positive Reaktionen?
Sie waren vor allem negativ, was mich verblüfft hat. Und noch mehr verblüffte mich, dass die heftigsten Negativreaktionen von Frauen kamen. Ich solle gefälligst zu Mann und Kindern gehen. Und wieso ich mich mit Sachen auseinandersetze, von denen ich keine Ahnung hätte.

Das hat man der Fußball-Kommentatorin Claudia Neumann zur WM in Russland auch vorgeworfen. Es gab einen wahren Shitstorm.
Ich hatte das verfolgt und mir gedacht, wir sind vielleicht noch nicht so weit, wie wir es denken.

Die Politiktalks in der ARD und im ZDF werden von Frauen wie Maybrit Illner, Sandra Maischberger und Anne Will geführt.
Das ist wunderbar. Sie machen das auch hochprofessionell. Und es gibt keinen Unterschied zu männlichen Kollegen. Den gibt es nur beim Geld.

Was haben Sie denn damals bekommen?
150 Mark pro Sendung. Und kein Garderobengeld.

Sie sind in die Geschichte eingegangen als erste Nachrichtensprecherin, aber lange haben Sie den Job nicht gemacht. Warum?
Er ist unendlich langweilig gewesen. Ich war eine ausgebildete Redakteurin und ich habe nur Texte vorgelesen. Das war mir zu wenig.

1972 waren Sie auf einem Plakat zu sehen, auf dem stand: Willy Brandt muss Kanzler bleiben. Sie hatten Wahlkampf für Brandt gemacht und zugleich Nachrichten im ZDF gesprochen. Hatten Sie keine Sorge, dass da gewaltig Interessen kollidieren?
Damals nicht. Ich habe immer gesagt, Nachrichtensprecherin zu sein, bedeutet nicht den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Ich habe das einfach für mich in Anspruch genommen, es so zu machen. Natürlich gab es Reaktionen. Das ZDF hatte in der Hauptnachrichtensendung, in der ich keinen Dienst hatte, geäußert, dass es keine Veranlassung sehe, sich von mir zu trennen. Das fand ich einen erstaunlichen Schritt.

Heute hätte man Sie rausgeschmissen.
Man hätte mir nahegelegt, zu kündigen. Und mit Recht. Zwei verschiedene Ebenen sollte man nicht miteinander verknüpfen. Wahlkampf zu führen, war in meiner Position nicht einwandfrei.

Es hielt sich das Gerücht um eine Affäre mit Willy Brandt. In Ihrem Buch „Nachrichtenzeit“ hatten Sie damit aufgeräumt. Aber Sie waren von Brandt begeistert. Er war einer der bedeutenden Politiker der Bundesrepublik, er hat einen anderen Stil in die Politlandschaft gebracht. Gibt es heute noch Politiker seines Formats?
Das ist schwer zu beantworten. Mich hat einfach immer seine Biografie beeindruckt. Dass jemand wie er – Widerstandskampf, Exil, andere Staatsbürgerschaft, Wiedereinbürgerung – so weit kommt in der Politik, das hat mich fasziniert. Ich dachte, er braucht jede Hilfe. Ich wollte ihm helfen.

Was unterscheidet heutige Politiker von damaligen?
Ich denke, es sind diese Kriegsbiografien, die die Politiker auf eine ganz besondere Art geprägt haben. Heute ist das Umfeld nicht mehr so signifikant. Man hat schnell das Gefühl, es verfängt sich vieles im Klein-Klein. Damals trieb es die Menschen auf die Straße. Aber aus ganz anderen Gründen als heute. Das war ein positiver Aufbruch.

Sind Sie politisch erzogen worden?
Ich glaube, ich bin überhaupt nicht erzogen worden. Meine Mutter war froh, wenn wir zu essen hatten und wenn wir irgendwo unser müdes Haupt betten konnten. Die Nachkriegszeit war schwierig für sie, aber diese Zeit war schwierig für Millionen Frauen. Ich glaube, ich habe die Zivilcourage von ihr wie auch von unseren Bekannten, die damals eine neue Republik, eine neue Gesellschaft aufbauen wollten.

Sie kamen aus einem wohlhabenden Haushalt. Dann wurde Ihr Vater 1944 als Mitwisser des Hitlerattentats in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Sie erlebten Armut. Inwieweit hat Sie das geprägt?
Als ich erwachsen war, hatte ich ein starkes Bestreben danach, finanziell unabhängig zu sein. Unter anderen Umständen wäre ich bestimmt nicht in ein Volontariat der „Bild“-Zeitung gegangen. Andere zahlten 150 Mark im Monat, die „Bild“ fing mit 600 Mark an. Das war ein großer Unterschied. Die Entscheidung war nicht verkehrt. Ich habe dort eine Menge gelernt.

Trotzdem kündigten Sie bald.
Ich war die erste Volontärin, die aus politischen Gründen gekündigt hatte. Ich kann mich noch gut an die Diskussion um die Schlagzeile erinnern: „1933 geschah Unrecht. Da haben wir geschwiegen. 1961 schweigen wir nicht.“ Es ging um den Mauerbau. Für mich war das eine unzulässige Verknüpfung.

Sie haben eine Reihe von hochgelobten Büchern geschrieben. Können Sie sich ein neues Buch vorstellen?
Ganz ehrlich: Sehr gern, aber ich habe kein Thema. Ich verspüre keine Mission.

Weil Sie Ihre Familiengeschichte und das eigene, ungewöhnliche Leben abgearbeitet haben?
Ja. Und sie müssen wissen, dass Schreiben ein einsames Geschäft ist. Das muss man wirklich unbedingt wollen.

Arbeiten Sie noch journalistisch?
Nur ab und an. Wenn ich angefragt werde, schreibe ich noch Beiträge.

Der Journalismus steckt in einer schwierigen Zeit. Was wünschen Sie ihm?
Vor allem genügend Geld für gute Leute.