Ein Burger ließ sich wegen Fettleibigkeit an der Uni Magdeburg operieren und schrieb ein Buch über seine Erlebnisse. Übergewicht: "Gespräche mit meinem Bauch"
Klaus-Dieter Vogt ist zurück im Leben: Der 52-Jährige wiegt statt 182 nur noch 134 Kilogramm. Das verdankt er einer am Universitätsklinikum in Magdeburg durchgeführten Magenverkleinerung. Die Uniklinik ist seit Dezember zertifiziertes Adipositaszentrum - als erste in Deutschland.
Burg/Magdeburg l Der Bauch. Jeder hat ihn - mal ist er größer, mal kleiner, mal muskulös, mal weich und rund. Für Klaus-Dieter Vogt spielt sein Bauch eine ganz besondere Rolle. Gut sichtbar, hat er den Mann mit den sanften, freundlichen Zügen ein Leben lang begleitet. "Gespräche mit meinem Bauch", hat Vogt deshalb das Buch genannt, das er über seine Erlebnisse vor, während und nach seiner Magenverkleinerung geschrieben hat.
"Ich war immer dick, kenne mich gar nicht anders", denkt der gebürtige Niedersachse zurück. Ein bisschen war es Veranlagung - die Mutter ist auch übergewichtig - doch die Ursachen liegen auch in der Familie. Gutes Essen ist wichtig in dem von Vogts Großmutter beherrschten Haushalt, Selbstgeschlachtetes und Gemüse aus dem eigenen Garten kommen auf dem Dorf regelmäßig auf den Tisch.
"Der Teller wird immer aufgegessen", lautet Omas wohl noch aus Kriegszeiten stammende Devise - vorher dürfen Klaus-Dieter und sein Bruder nicht vom Tisch aufstehen. Und nur dann gibt es leckeren Nachtisch. Die Familie lebt isoliert, der nächste Schulkamerad wohnt mehrere Kilometer weit weg. Die Kinder stehen deshalb immer unter der Kontrolle von Oma und Mutter. "Hauptgesprächsthema war immer Perfektionismus, wir mussten alles richtig machen, durften nicht anecken", denkt Vogt zurück. Entspricht er nicht Omas Erwartungen, gibt es Ärger. Klaus-Dieter Vogt will nicht anecken, sondern geliebt werden und legt sich allmählich einen Schutzpanzer gegen die Anforderungen der Erwachsenen zu - aus Fett.
Mit zwölf Jahren wiegt er bereits 75 Kilo, wird in der Schule gehänselt, als "Dicker" tituliert. "So schlimm habe ich das damals nicht empfunden", sagt Vogt heute über seine Schulzeit. Doch er ahnt auch, dass sein Leben als Jugendlicher nicht eitel Sonnenschein gewesen sein kann, denn er hat kaum Erinnerungen an seine Pubertät. "Es war wohl doch schlimm."
Erst mit 18 dämmert Klaus-Dieter Vogt, dass er abnehmen und das Leben angehen muss. Noch in der Schule beginnt er mit dem Volleyballspiel, schafft es später im Verein bis zur Kreismeisterschaft und hat erste Kontakte zu Frauen. Sein Gewicht pendelt in dieser Zeit um die 120 Kilogramm. "Deutlich zu hoch, aber relativ konstant", sagt Vogt heute.
In die Höhe schießen die Pfunde nach der Wende, als er beruflich nach Burg (Landkreis Jerichower Land) als Betriebswirt in die Sparkasse wechselt, heiratet und sich häuslich niederlässt. Es gibt viel zu tun in Haus und Arbeit, an Sport ist nicht mehr zu denken. Tagsüber lebt Klaus-Dieter Vogt auf Sparflamme, am Abendbrotstisch langt er dafür richtig zu.
Irgendwann zeigt die Waage 150 Kilogramm an, und Ende der 1990er Jahre kommen auch die körperlichen Probleme. Rückenschmerzen und eine versteifte Achillessehne plagen Klaus-Dieter Vogt, machen jede Anstrengung doppelt unangenehm. Geht es bei der Arbeit stressig und hektisch zu, schnellt auch sein Gewicht in die Höhe.
Jahrelang testet Klaus-Dieter Vogt die verschiedensten Diäten, mal aus der Klatschpresse, mal ärztlich verordnet. Er geht zu Ernährungskursen, erhält eine teure Akupunktur, nimmt Medikamente - dauerhaft geholfen hat nichts. "Sie müssen abnehmen", rät ihm in dieser Zeit lapidar ein Orthopäde. Doch das ist für Vogt leichter gesagt als getan.
Viele Dicke merken nicht, welche psycho-logischen Probleme sie haben."
Klaus-Dieter Vogt, Burg
Er realisiert: Mit "Friss die Hälfte" ist es nicht getan, sein Übergewicht hat auch psychologische Gründe. Von 2003 bis 2006 ist er deshalb in Therapie. "Ich habe festgestellt, ich habe ein Problem mit Nähe. Andere Menschen konnte ich nie wirklich an mich heranlassen", weiß er inzwischen. Die Vergangenheit holt ihn wieder ein - ihm wird klar, er schafft durch sein Gewicht Abstand zu anderen. "Viele Dicke merken nicht, welche psychologischen Probleme sie haben", ist seine Erfahrung. Es sind Jahre der Umbrüche für Klaus-Dieter Vogt, auch privat: Er lässt sich scheiden und beginnt mit dem Schreiben von Texten, um das Erlebte zu verarbeiten. Diese Einsichten sind auch Grundlage für die Magenverkleinerung.
In dieser Zeit drückt sein Hausarzt Klaus-Dieter Vogt eine Fachzeitschrift mit einem Artikel von Professorin Stefanie Wolff in die Hand. Das Thema: Chirurgische Eingriffe bei Fettleibigkeit. Wolff arbeitet als Oberärztin am Universitätsklinikum Magdeburg und leitet an der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie die Adipositas-Sprechstunde. "Ich hatte nach dem Lesen gleich ein gutes Gefühl und dachte, das ist mein Ding", erinnert sich Vogt. Im November 2009 steht er im Sprechzimmer von Chirurg Frank Benedix, einem Mitarbeiter von Stefanie Wolff. "Sie werden nie der Superschlanke sein, aber ein Gewicht haben, mit dem man gut leben kann", macht Benedix Vogt Mut.
"Die Patienten leiden. Sie kommen mit Überweisung des Hausarztes zu uns, wenn die konservative Therapie des Übergewichtes mit Diät, Bewegung oder Verhaltenstherapie ausgeschöpft ist", erklärt Stefanie Wolff. Im Aufnahmegespräch klären ihre Kollegen und sie mögliche Vorerkrankungen, denn eine Operation ist bei übergewichtigen Menschen immer mit einem zusätzlichen Risiko verbunden. "Wir entscheiden bei jedem Patienten individuell, ob ein Magenband, ein Bypass oder die Schlauchbildung des Magens das Beste ist", erklärt Stefanie Wolff. Jede Methode sei unterschiedlich intensiv, in der Regel jedoch minimal-invasiv möglich.
Klaus-Dieter Vogt holt nach dem Gespräch mit Frank Benedix gleich die Zustimmung für den Eingriff bei seiner Krankenkasse ein. Im Februar 2010 untersucht ihn ein Gutachter des medizinischen Dienstes und gibt im März grünes Licht. Vogt zögert nicht und lässt sich noch im gleichen Monat operieren. In einem minimal-invasiven Eingriff wird sein Magen um zwei Drittel verkleinert. Nur wenige Stunden später ist der 182-Kilo-Mann wieder wach, kann schon einen Tag später wieder aufstehen und umherlaufen.
Mit Flüssigkeit und Suppen tastet er sich wieder an eine normale Ernährung heran - und spürt endlich wieder ein Sättigungsgefühl. Die Ärzte raten zur Vorsicht, denn es könne sein, dass man nicht mehr alles verträgt. Nicht so bei Klaus-Dieter Vogt: "Ich esse nach wie vor alles, nur kleinere Mengen. Eine Kartoffel, ein Stück Fleisch und ein bisschen Gemüse, das reicht zum Sattwerden", erzählt er. Erst 100, dann 150 Gramm durften die Mahlzeiten haben. Oft muss sich Vogt zwischen Essen und Trinken entscheiden und lernte, sich seine Nahrung neu einzuteilen.
"Im Alltag funktioniert das wunderbar", sagt Vogt. Er besucht Restaurants, in denen es schöne Vorspeisen gibt, teilt sich das Essen mit anderen oder lässt sich Reste einpacken - "Das ist alles gut möglich." Und die Pfunde purzeln nur so: Im ersten Halbjahr verliert er 30 Kilogramm, jetzt, 22 Monate nach der OP, sind 48 Kilo weggeschmolzen. Klaus-Dieter Vogt ist wieder aktiv, geht ins Sportstudio: "Ich bin so fit wie vor 20 Jahren."
Wie eine Befreiung ist die Operation auch für seine Psyche - Vogt ist nun offen für Neues, geht wieder ins Theater, hat eine neue Freundin. "Ein chirurgischer Eingriff kann nicht die Ursache des Übergewichtes beseitigen, sondern nur die Anatomie verändern", betont Stefanie Wolff. Eine psychologische Begleitung sei deshalb unabdingbar.
Klaus-Dieter Vogt hat als Therapie für sich selbst und Hilfe für andere sein Buch geschrieben. "Ich will andere ermutigen, sich zu öffnen, das Thema Operation anzugehen. Den meisten Betroffenen wird es ähnlich wie mir gehen." Es gebe kaum Literatur für Übergewichtige, weder Ratgeber noch Erlebnisberichte. Sein Tagebuch während und nach der OP-Zeit hat Vogt verschriftlicht, Fiktives beigemischt und literarisch verpackt. Herausgekommen ist ein eindrucksvoller Erlebnisbericht, der mal zum Schmunzeln und oft zum Nachdenken anregt - und sicher viele Leser finden wird.
Denn die Zahl der fettleibigen Deutschen steigt. 1997 haben Ärzte der Uniklinik Magdeburg die ersten Übergewichtigen operiert. Inzwischen sind es 60 bis 70 Patienten pro Jahr, meist aus der Region. Das Klinikum hat so mittlerweile nicht nur eine Menge Erfahrung im Umgang mit Adipositas gesammelt, sondern auch die nötigen Spezialbetten und -stühle angeschafft. Bis zu 300 Kilogramm müssen sie aushalten. Ein großes Expertenteam kümmert sich vor, während und nach der Operation um die Patienten. Ärzte aus Innerer Medizin, Endokrinologen, Gastroenterologen, Psychologen, Ernährungsberater, Radiologen, plastische Chirurgen - alle ziehen an einem Strang, denn die 24-Stunden-Versorgung der Patienten muss gewährleistet sein. Und nach der OP ist eine lebenslange Nachbetreuung erforderlich - "Das gibt es nicht mal bei Krebs", sagt Stefanie Wolff.
Die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie hat das an der Uniklinik gesammelte Wissen gewürdigt und sie Ende 2011 als "Kompetenzzentrum Adipositas und metabolische Chirurgie" ausgewiesen - als einzige Uni-Klinik deutschlandweit. Das klingt nicht nur gut, die Kassen bemessen auch ihre OP-Zusagen danach, ob eine Klinik zertifiziert ist. Klaus-Dieter Vogt will noch zehn Kilo abnehmen und aktiv weiterleben. "Das habe ich mir versprochen." Um sich Kleidung zu kaufen, muss Vogt zwar immer noch ins Übergrößengeschäft, hat dort aber wesentlich mehr Auswahl. In seinem Kleiderschrank hängt nur noch ein Anzug aus 180-Kilo-Zeiten - als Erinnerung und als Mahnung.