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Uniklinik Magdeburg Aufsichtsrat kritisiert Kritiker

Der Aufsichtsrat der Magdeburger Uniklinik spricht kaum über die Mängel in der Einrichtung und warnt vor „kurzsichtigem Alarmismus“.

Von Alexander Walter 22.05.2019, 01:01

Magdeburg l Fünf Aufsichtsratsmitglieder, Pressesprecher und Ministeriumsmitarbeiter haben Platz genommen. Ein ganz großes Aufgebot. Auslöser ist die Volksstimme-Berichterstattung der zurückliegenden Tage. Darin wurden schlimme Missstände in Teilen der Uniklinik geschildert, die schon lange bekannt sind. Zuletzt war die Krebsstation geschlossen worden.

Beleuchtet wurde auch die Rolle des Aufsichtsrats, dessen Vorsitzender Armin Willingmann (SPD) ist. In diesem Gremium wird die vom Klinikvorstand angeordnete Schließung der Krebsstation, von der man erst aus der Volksstimme erfahren habe, kritisch gesehen. Dafür habe es „keinen Automatismus“ gegeben, sagte Wissenschaftsminister Willingmann. Und überhaupt: Die ganze Angelegenheit hätte „diskreter“ abgewickelt werden können.

Sozialministerin Petra Grimm-Benne (SPD), die ebenfalls im Aufsichtsrat sitzt, warf dem Klinikvorstand um den neuen Ärzte-Chef Hans Jochen Heinze (seit März im Amt) vor, „grob fahrlässig“ agiert zu habe. Er habe nicht davor zurückgeschreckt, Patienten in Angst und Schrecken zu versetzen. Das sei „unverantwortlich“. Willingmann fügte hinzu: „Wir sollten vermeiden, das Klinikum kaputtzuschreiben.“

Grundlage der Volksstimme-Berichterstattung sind vor allem kritische Äußerungen von Klinikdirektoren und Gutachten zum als katastrophal bewerteten Zustand in Teilen der Uniklinik. Missstände sind dem Aufsichtsrat um Willingmann spätestens seit Januar 2018 bekannt. Warum schritt das Gremium nicht ein? „Der Aufsichtsrat kann nicht in das operative Geschäft eingreifen“, sagte Willingmann. Das Gremium begleite Prozesse und überwache das, was der Klinikvorstand mache.

Laut Hochschulmedizingesetz trägt der Aufsichtsrat insbesondere dafür Sorge, dass das Universitätsklinikum die ihm obliegenden Aufgaben erfüllt. Dafür kann er von umfassenden Informations-, Einsichts- und Prüfungsrechten Gebrauch machen.

Auf das Gutachten des Prüfunternehmens Ernst & Young vom Mai, welches sich in Teilen wie der Auszug aus der Inventur einer Abbruch-Einrichtung liest, wurde bei der Pressekonferenz auch auf Nachfrage nicht näher eingegangen. In mindestens vier Bereichen des größten Krankenhauses im Landesnorden besteht demnach als Ergebnis lange bekannter baulicher und hygienischer Mängel jetzt höchste Patienten- und/oder Mitarbeitergefährdung. Es bestehe das Risiko, dass die Patientenversorgung eingestellt werden muss. Dies ist im Bericht jeweils vermerkt.

Die Gutachter dokumentierten ihre Ergebnisse auch mit Fotos.

Nach Auffassung des Aufsichtrats besteht indes keine Gefahr für das Wohl der Patienten. Diese würden vielmehr durch die Berichterstattung verunsichert. Willingmann warnte davor, den guten Ruf der Universitätsmedizin „durch kurzatmigen und kurzsichtigen Alarmismus zu beschädigen“. In der gestern verbreiteten Pressemitteilung wird er mit dem Satz zitiert, das allermeiste laufe sehr gut oder gut.

Es sei über die vergangenen Jahre zwar ein Investitionsstau entstanden, den der Klinikvorstand auf rund 800 Millionen Euro beziffert. „Es entsteht ein Zerrbild, wenn suggeriert wird, das Land kümmere sich nicht um seine Universitätsklinika“, sagte Willingmann.

Es liefen in Magdeburg große Baumaßnahmen im Gesamtumfang von rund 144 Millionen Euro, in Halle seien es insgesamt rund 114 Millionen Euro.

In Magdeburg entstünden etwa ein Herzzentrum für mehr als 100 Millionen Euro, ein zentrales Tierlabor (20 Millionen Euro) und eine neue Hautklinik für 15 Millionen Euro.

Laut aktuellem Gutachten weist das 1902 erbaute Hautklinik-Gebäude „systematische Mängel“ bei Brandschutz und Hygiene auf. Die Traglast der Decken sei gering, Betten für schwergewichtige Patienten könnten erst gar nicht aufgestellt werden. Der OP-Bereich – in „desolatem Zustand“. In den Sanitäranlagen gebe es Schimmelbildung. Das denkmalgeschützte Gebäude sei allenfalls noch für Verwaltungsarbeitsplätze oder die Tagesklinik für Psychosomatik verwendbar.

Von katastrophalem Zustand schreiben die Prüfer auch mit Blick auf die Krebsklinik für Hämatologie und Onkologie. Rohrverschlüsse seien mit Keimen belastet, die Belastung mit Legionellen habe mehrfach den Grenzwert überschritten, ab dem technische Gegenmaßnahmen einzuleiten sind. In Isolationszimmern für schwerkranke Patienten – oft mit künstlich heruntergefahrenem Immunsystem – gebe es mitunter nicht einmal eigene Duschen. Dadurch, dass die Station mit der benachbarten Infektionsstation gemeinsame Infrastruktur nutze, bestehe hohes Hygiene- und Infektionsrisiko für Patienten und Mitarbeiter. Konkret geht es vor allem um Gefahren durch sogenannte multiresistente Keime.

Die Klinikleitung hat inzwischen die Notbremse gezogen. Die hochspezialisierte Station wurde vor Tagen geschlossen und wird derzeit saniert.

Alternativlos wäre das indes nach Ansicht von Sozialministerin Grimm-Benne nicht gewesen. Sie berief sich gestern auf Schreiben des zuständigen Magdeburger Gesundheitsamts. Dieses habe regelmäßige Hygiene-Begehungen vorgenommen. Es habe „zu keinem Zeitpunkt“ Gefahr für Leib und Leben bestanden, sagte sie. Die Schließung schaffe Verunsicherung und beschädige den Ruf der guten medizinischen Versorgung.

Die Leitung des Uni-Klinikums widersprach dem gestern Abend entschieden. Die kaufmännische Direktorin Kerstin Stachel berief sich dabei ebenfalls auf Schreiben des Gesundheitsamts von 2014. Darin reagiert die Behörde auf einen Hinweis der Uniklinik, wonach in zwei Fällen ein für Krebspatienten hochgefährlicher Erreger festgestellt worden sei. Das Gesundheitsamt empfahl, auch den Einsatz technischer Mittel zu überprüfen.

Krebs-Klinikdirektor Thomas Fischer teilt in einem Positionspapier vom Januar dieses Jahres mit, dass es zwischen 2014 und 2017 sogar den Ausbruch eines multiresistenten Stammes auf der Station gegen habe. Der Erreger war demnach regelmäßig in Duschen, Waschbecken und Toilette nachweisbar. Insgesamt drei Patienten hätten schwere Infektionen bekommen. Fischer schrieb: „Ein Patient ist an einer Infektion verstorben. Angehörige gehen den Beschwerdeweg.“

Diese Situation könne sich jederzeit wiederholen und stelle „ein inakzeptables Risiko für die Leben der Patienten dar“.