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Urheberrechtsreform Warum der Aufschrei um Artikel 13?

Gegen die EU-Urheberrechtsreform, vor allem Artikel 13, finden Sonnabend europaweit Proteste statt - auch in Magdeburg. Warum eigentlich?

21.03.2019, 23:01

Magdeburg l Für Mika Garau ist die digitale Welt aus beruflicher Sicht so etwas wie das heimische Wohnzimmer, das Internet also der vertraute Lieblingssessel, in dem er sich täglich niederlässt. Seit 2006 besitzt der 41-Jährige die Kommunikationsagentur COGGY in Magdeburg, entwickelt Kommunikationskonzepte und produziert Werbespots, Webseiten und Fotos. „Ich bin Urheber und verdiene damit mein Geld“, sagt der Kreative, und ist als solcher sehr interessiert daran, den Schutz von geistigem Eigentum endlich auch an den digitalen Markt anzupassen.

Doch dafür muss das EU-Urheberrecht nach 18 Jahren erst einmal den Sprung vom analogen ins digitale Zeitalter schaffen. „Seither hat sich die Nutzung urheberrechtlichen Materials massiv geändert“, sagt Sven Schulze, CDU-Europaabgeordneter für Sachsen-Anhalt. Auch Garau ist für „eine Anpassung des Urheberrechts an die digitale Welt“. Zumindest darin sind sich beide einig. Nun könnte es so weit sein: In seiner Plenarsitzung am Dienstag will das EU-Parlament in Straßburg final über die Reform abstimmen. Eigentlich eine Formalie, doch diese orthographisch so schön ungalante EU-Urheberrechtsreform könnte sich im Plenum als ebenso unbequem erweisen. Selten zuvor hat eine EU-Gesetzgebung so viel Widerstand erfahren.

Mehr als fünf Millionen Menschen haben bislang die von der Initiative #SaveYourInternet gestartete Petition „Stoppt die Zensurmaschine - Rettet das Internet“ unterzeichnet. Der virtuelle Protest ist längst auf der Straße angekommen. Europaweit finden morgen erneut Demonstrationen statt. Bereits Anfang März hatten in Magdeburg rund 1500 Menschen gegen die EU-Urheberrechtsreform demonstriert, „Sonnabend erwarten wir noch mehr Teilnehmer“, sagt Mit-Organisator Philipp Janowitz.

Doch woher kommt die Wucht dieser Protestwelle? Sie richtet sich gegen Artikel 11, der ein Leistungsschutzrecht für Verlage vorsieht, vor allem aber gegen Artikel 13. Dieser sieht vor, dass Internet-Plattformen künftig für die von Nutzern hochgeladenen Inhalte haften. Dafür sollen sie vor der Veröffentlichung Lizenzen von den Urhebern einholen. Davon ausgenommen sind Plattformen, die jünger als drei Jahre sind, einen Jahresumsatz von weniger als zehn Millionen Euro und unter fünf Millionen Nutzer im Monat haben.

YouTube, Facebook, aber auch alle anderen Plattformen, die nicht unter die Ausnahmeregelung fallen, sollen also stärker in die Pflicht genommen und Kreative fairer für ihr geistiges Eigentum entlohnt werden. Klingt doch erst einmal gut, oder? „Uns bereitet die Umsetzung des Artikels 13 große Bauchschmerzen“, sagt Mirko Kisser, Vorstandsvorsitzender der Kreativwirtschaft Sachsen-Anhalt. Um Klagewellen zu vermeiden, müssten Plattformen vor dem Upload sicherstellen, dass kein Urheberrechtsverstoß vorliegt.

Wie die Plattformen dies technisch umsetzen, bleibt ihnen überlassen. „Plattformen wie YouTube würde nichts anderes übrigbleiben als Uploadfilter zu verwenden“, sagt Kisser. Um Ärger zu vermeiden, bestehe die Gefahr, dass die Uploadfilter viel mehr Inhalte blockieren als nötig, Artikel 13 würde laut Kisser Tür und Tor für mögliche Zensurmaßnahmen öffnen.

Das befürchtet auch Tim Gerrits, der einen YouTube-Kanal betreibt. „Einerseits finde ich es als Musiker gut, dass meine Rechte gestärkt werden sollen“, sagt der 28-Jährige, „aber im schlimmsten Fall werden meine eigenen Songs, die ich hochladen will, durch einen falschen Algorithmus geblockt. Es entsteht mehr Schaden als Nutzen.“

Und Garau? Der glaubt nicht daran, dass bei der EU-Urheberrechtsreform an sein digitales Wohnzimmer oder das der anderen kleinen und mittleren Unternehmen gedacht wurde. Mit der aktuellen Fassung der neuen EU-Urheberrichtslinie ist er überhaupt nicht einverstanden. „Der Fokus in Artikel 13 richtet sich ausschließlich auf Google und Facebook, die kleinen Unternehmen wurden komplett ignoriert“, sagt er und nennt ein Beispiel: „Ein Start-up will ein Osteuropa-Reiseportal gründen. Dafür will es Bilder von Nutzern verwenden, die schon einmal in den Regionen waren und die die Nutzer freiwillig auf das Portal hochladen. Das Gesetz sagt: Es ist urheberrechtlich geschütztes Material.

Ein möglicher Uploadfilter kann nicht erkennen, ob es sich um ein Bild aus Osteuropa handelt, deshalb muss er den Upload nicht nur mit solchen Bildern vergleichen, sondern mit allen Bildern, die weltweit unter den Urheberrechtsanspruch fallen. Da sagt doch jedes Start-up: ‚Vergiss es, wir machen uns doch nicht so einen großen Aufwand, wenn wir nach drei Jahren unter dieses Gesetz fallen‘.“ Innovationskraft gehe damit verloren, „obwohl wir international gesehen in Europa technologisch sowieso schon weit zurückliegen“. Schulze hingegen betont: „Weder soll das Internet zerstört noch die Vielfalt oder Meinungsfreiheit eingeschränkt werden.“ Die kritisierten Uploadfilter fänden im Gesetzestext keine Erwähnung, „sie widerstreben dem ureigenen Interesse der Online-Plattformen, die deshalb in erster Linie Lizenzvereinbarungen mit den entsprechenden Rechteinhaber abschließen sollen. Wo das nicht möglich ist, sind Pauschalzahlungen eine Alternative. All das ist nicht utopisch, da durch Plattenlabels aber auch Gesellschaften wie die Gema die Rechte gebündelt vertreten werden.“

Demnach müsste die Gema (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte) eine Datenbank mit allen Werken ihrer Künstler führen. Online-Plattformen müssten die Inhalte, die Nutzer hochladen wollen, mit dieser Datenbank abgleichen. „Das klingt nach einem guten Geschäftsmodell für die Gema. Eine Mehreinnahme für Künstler entstünde dadurch aber noch nicht“, kritisiert Kisser, „zudem spielt das Abschließen von Lizenzverträgen mit Rechteinhabern nur großen Portalen in die Hände, für kleinere Anbieter ist das nicht realisierbar“. Uwe Gajowski, Vorsitzender des DJV-Landesverbandes Sachsen-Anhalt, widerspricht: „Wir sind in der digitalen Welt, das lässt sich relativ unproblematisch über Verträge mit den Verwertungsgesellschaften regeln.“

Der DJV ist Teil der „Initiatve Urheberrecht“, die die aktuelle EU-Urheberrechtsreform gern verabschiedet sehen würde. Doch Gajowski relativiert: „Prinzipiell begrüßen wir eine neue Regelung, denn unser Fokus liegt auf den Urhebern, die an der Kommerzialiserung beteiligt werden müssen. Die Umsetzung von Artikel 13 geht aber am Kern vorbei und wird eher zu einer Einschränkung führen. Wir hoffen, dass das Thema Uploadfilter vom Tisch kommt und die Plattformen Verträge mit Urhebern oder den Verwertungsgesellschaften schließen.“

Die Zahl der Artikel-13-Gegner wird größer, die Kritik immer lauter. Und die ist wichtig, so lange sie konstruktiv bleibt. Vor allem, wenn es um eine Reform geht, die unseren Umgang mit Inhalten im Netz auf Jahrzehnte hinweg beeinflussen wird. Auffällig ist jedoch, dass es an Alternativvorschlägen mangelt. So verweisen Garau und Kisser darauf, dass das bisherige „Notice-and-take-down“-System („Informieren und entfernen lassen“) bereits gut funktioniere, nur konsequenter angewandt werden müsse. Arne Lietz, SPD-Europaabgeordneter, spricht sich gegen Artikel 13 aus, „da diese Richtlinie inhaltlich noch nicht wirklich ausgewogen und klar definiert ist“ und hofft, dass Artikel 13 der EU-Urheberrechtsreform entnommen und inhaltlich neu besprochen wird.

Die CDU hatte zuletzt auf den steigenden Druck reagiert und will nun bei der nationalen Umsetzung der Reform Uploadfilter von vornherein ausschließen. „Inhalte werden im Internet geteilt. Ich überlasse es der eigenen Fantasie, zu beurteilen, ob da eine nationale Regelung viel bringt“, kommentiert Gajowski den Vorstoß.

Hier geht es zum Kommentar "Es geht um Freiheit" gegen den Uplaodfilter.

Hier geht es zum Kommentar "Mehr Sachlichkeit bitte!" für Artikel 13.