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USA Ausgewandert: Im Zentrum der Corona-Krise

Mehr als 50 000 Tote und 26 Millionen Arbeitslose in der Corona-Krise: Ein Sachsen-Anhalter berichtet aus den USA.

29.04.2020, 10:14

Florida/Magdeburg l Ronny Hütter aus Coswig (Anhalt) lebt seit 2015 in Cape Coral, einer Stadt im Südwesten Floridas. Rund drei Jahre dauerte es, bis seine Frau und die beiden Kinder endlich das Familienglück im Sonnenstaat perfekt machen und ebenfalls auswandern konnten. 30 Grad im April, Haus, Pool, Jobs – Familie Hütter lebt den Auswanderer-Traum. Doch mit Träumen ist das so eine Sache. Hat man sie erst einmal verwirklicht, merkt man erst in Krisenzeiten die Schattenseiten seines ehemals größten Wunsches. Und so sagt Hütter heute inmitten der Pandemie: „Wir sind besorgt, aber nicht panisch.“

Seit Beginn der Corona-Pandemie sind weltweit mehr als drei Millionen Infektionen mit dem Virus nachgewiesen worden. Das ging am Montag aus den Daten der Universität Johns Hopkins hervor. Demnach starben bereits mehr als 207 000 Menschen nach einer Infektion mit dem Coronavirus. In den USA, einem Land mit rund 330 Millionen Einwohnern, gibt es deutlich mehr bekannte Infektionen mit dem Virus Sars-CoV-2 als in jedem anderen Staat der Welt – rund eine Million.

Von der Debatte um eine mögliche Aufstockung des Kurzarbeitergelds können US-Amerikaner und Auswanderer nur träumen. Zudem gibt es in den meisten Staaten keine gesetzlich festgelegte Kündigungsfrist, es sei denn Arbeitgeber und -nehmer haben die explizit bei Vertragsabschluss vereinbart. Die Corona-Krise hat die US-Wirtschaft empfindlich getroffen und belastet insbesondere den Arbeitsmarkt. Im zweiten Quartal könnte die Wirtschaft so stark schrumpfen wie seit der Weltwirtschaftskrise der 1920er und 1930er Jahre nicht mehr, hatte der Wirtschaftsberater des Präsidenten Donald Trump, Kevin Hassett, am Montag dem Sender CNBC gesagt.

Bereits jetzt haben mehr als 26 Millionen Menschen ihren Job verloren. „Das größte Problem hier ist das extrem schlechte Sozialwesen“, weiß auch Hütter. Die Zahl der Unversicherten nahm laut dem Volkszählungsbüro 2018 wieder zu. So hatten rund 27,5 Millionen Amerikaner 2018 keine Krankenversicherung. „Selbst mit Krankenversicherung muss man hier beim Arzt noch kräftig dazuzahlen, so dass der Besuch beim Hausarzt immer 50 bis 150 Dollar kostet“, erzählt Hütter. „Wir als Familie haben eine jährliche Selbstbeteiligung von 10 000 Dollar, bevor die Krankenversicherung anfängt, alle Kosten zu übernehmen.“

Der 38-Jährige arbeitet als Mechaniker für H&E Equipment, einen Konzern mit rund 100 Niederlassungen im Land. Hier wurden gleich zu Beginn der Pandemie viele Sicherheitsvorkehrungen getroffen. „Wir mussten alle Türen und Tore verschließen, unsere Außendienstler wurden zum Innendienst verdonnert, Buchungen und Anfragen wurden auch nur noch per E-Mail oder Telefon bearbeitet.“ Hütters Frau arbeitet bei einer Ferienhaus-Vermietung und ist für die Korrespondenz mit Touristen und Hausbesitzern verantwortlich. „Hier hat die Pandemie eingeschlagen wie ein Hammerschlag“, sagt Hütter.

Und so hat seine Frau am Anfang zwar noch gut zu tun gehabt, die täglichen Anrufe von besorgten Touristen oder Hausbesitzern anzunehmen. Doch aktuell geeb es kaum noch Arbeit. Die sechs- und elfjährigen Kinder betreut sie nebenbei im Homeoffice. Ein Pluspunkt: Bereits in der Grundschule haben Hütters Kinder mit Laptops gearbeitet und durften diese nun mit nach Hause nehmen. Virtuelle Lern-Plattformen kannte der Nachwuchs bereits vor der Pandemie. „Über Apps, die bereits seit Jahren hier üblich sind, stehen Eltern und Lehrer in Kontakt“, so Hütter. Seit Beginn der Schulschließungen habe es täglich automatisierte Anrufe der Schulen bei den Eltern mit neuesten Updates gegeben.

Hütter berichtet davon, dass viele US-Amerikaner in seiner Umgebung die Pandemie lange Zeit nicht ernst genommen hätten. Das fange auf Baustellen an, wo bis vor rund drei Wochen sich niemand wirklich um Mindestabstände scherte, und hört an den Stränden auf, von denen einige im Norden Floridas in der vergangenen Woche schon wieder teilweise geöffnet wurden. Seit heute sind auch die Strände im Lee County und damit in dem Landkreis, in dem Hütter wohnt, wieder geöffnet. In Florida haben sich bisher mehr als 31 000 Menschen mit dem Coronavirus infiziert. Rund 60 Prozent aller nachgewiesenen Fälle stammen aus Miami-Dade, Broward und Palm Beach – und damit aus dem Süden Floridas, wie die Zeitung „Tallahassee Democrat“ berichtet.

Ein Grund: „Viele Menschen aus den Nordstaaten besitzen hier Zweitimmobilien“, erzählt Hütter. „Im März sind dann viele nach Florida geflüchtet. Allein Ende März kamen noch über 180 Flugzeuge täglich aus dem Norden nach Florida geflogen.“ Besonders in der Kritik: Floridas Gouverneur Ron de Santis. Er erklärte unter anderem Wrestling als „existenzielles Geschäft“ und wurde in US-Medien dafür kritisiert, keinen klaren Kurs bei der Eindämmung der Pandemie zu fahren.

So durften US-Amerikaner aus New York, Conneticut und New Jersey vorerst weiter gen Süden flüchten. Lediglich am Flughafen, so erzählt Hütter, wurde den Reisenden ein Info-Zettel in die Hand gedrückt, verbunden mit dem freundichen Hinweis, sich doch bitte in Quarantäne zu begeben. „Auch einreisende Fahrzeuge wurden Anfang April nur angehalten, jeder bekam den Zettel und dann weiterhin gute Fahrt“, so Hütter.

Nach ersten Lockerungen im Bundesstaat Georgia ziehen nun weitere Staaten nach. In Tennessee dürfen Restaurants unter bestimmten Bedingungen wieder öffnen. In Texas soll morgen die Anordnung auslaufen, dass Bürger weitgehend zu Hause bleiben müssen. Die Corona-Beraterin von Präsident Donald Trump, Deborah Birx, machte allerdings deutlich, dass an Normalität noch lange nicht zu denken sei. Besonders schwierig dürfte es in der dicht besiedelten Millionenmetropole New York werden. Dort hatte sich das Virus deutlich mehr und schneller verbreitet als in anderen Städten.

Hütter versucht, das Beste aus der Situation zu machen, und sagt: „Zum Glück brennt jeden Tag die Sonne vom Himmel, so dass die Kinder im Garten toben und im Pool baden können. Das macht den Hausarrest natürlich angenehmer.“(Mit dpa)