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Volksstimme-Serie In Zethlingen saßen die alten Germanen

In der Volksstimme-Sommerserie stellen wir Ausflugs- und Ferienziele in Sachsen-Anhalt vor. Heute: Zethlingen in der Altmark.

Von Gesine Biermann 16.07.2020, 01:01

Zethlingen l Die Altmark – unendliche Weite(n), plattes Land. Fährt man aus einem Dorf raus, kann man schon den Kirchturm vom nächsten sehen. Aber langweilig? Kein Stück. Es gibt viele spannende Orte. Man muss nur mal die ausgetretenen Wege, in diesem Fall die gut ausgebaute Bundesstraße 71, verlassen.

In Cheinitz zum Beispiel. Fährt man in dem kleinen Dorf zwischen Salzwedel und Gardelegen nur zwei Kilometer Richtung Osten und biegt gleich hinter dem Ortseingangsschild von Zethlingen rechts ab, erlebt man unvermittelt einen Zeitsprung. Sobald man die Tür der Langobardenwerkstatt hinter sich hat, findet man sich nämlich mitten in der römischen Kaiserzeit wieder. Denn die Langobardenwerkstatt ist mitnichten nur eine Werkstatt, sondern ein richtiges kleines Dorf, umzäunt von einer Palisade aus angespitzten Baumstämmen. Mittendrin Häuser aus Lehm und Holz, mit Reet gedeckt. Ein kultiger Ort schon auf den ersten Blick.

Und eigentlich auch ein bisschen gruselig: „Wir stehen hier mitten auf einem Friedhof“, sagt Ellen Melzian. Sie arbeitet als museumspädagogische Mitarbeiterin in der Langobardenwerkstatt, führt die Besucher auf Wunsch herum, „und mit dem Satz begrüße ich oft die Gäste“, sagt sie schmunzelnd. Das sorgt dann schon mal für Spannung und natürlich auch für ein bisschen Gänsehaut – vor allem bei den jüngeren Besuchern. Deshalb gibt‘s die Aufklärung immer gleich im Anschluss: Der Friedhof ist nämlich ein Jahrtausende altes Brandgräberfeld. „Mindestens seit dem zweiten Jahrhundert nach Christus wurden hier die Toten aus der gesamten Umgebung bestattet“, erzählt die Fachfrau. Rund 2000 Brandgräber, also Urnen, wurden wissenschaftlich erfasst. Aber sicher sind es noch weit mehr. „Und einige der Funde haben wir hier natürlich auch ausgestellt“.

So können sich die Besucher im Ausstellungshaus mitten im Dorf – dort läuft auch in Endlosschleife ein Dokumentationsfilm – zum Beispiel die Urne mit Brandresten einer Frau anschauen, die wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge nur 38 Jahre alt wurde. Zerschmolzene Perlen fanden sich in ihrer Grabschale ebenso wie zierliche Metallspangen. „Mit denen wurden auch die Kleider zusammengehalten“, erklärt Ellen Melzian und zeigt auf eine Zeichnung an der Wand im Ausstellungshaus, auf der in Lebensgröße gleich eine ganze Langobardenfamilie abgebildet ist. „So könnten sie ausgesehen haben, die Langobarden“, versichert sie. „Und der lange Bart zeigt auch, woher sie wahrscheinlich ihren Namen haben.“

Dass es tatsächlich der berühmte germanische Volksstamm war, der einst die westliche Altmark bevölkerte, vermuten die Wissenschaftler aufgrund etlicher Funde. Dass die Gegend bewohnt war, ist sicher. Archäologen hatten nur wenige hundert Meter neben dem Mühlenberg die Reste einer Siedlung und eines Eisenverhüttungsplatzes gefunden.

Und wie das mit der Roheisengewinnung in grauer Vorzeit unter primitivsten Bedingungen funktionierte, können sich die Besucher dann auch gleich vor Ort anschauen. Am Modell funktionstüchtiger Brennöfen, Röst- und Schlackegruben auf dem Verhüttungsplatz. Gleich nebenan findet sich der Kultplatz, „auf dem gern um die Feuerstelle getanzt werden kann“, sagt Ellen Melzian augenzwinkernd.

Und natürlich gibt‘s noch viel mehr Erlebnismöglichkeiten in der Langobardenwerkstatt. In der Schmiedehütte um die Ecke können die Besucher unter dem Motto „Gib mir ein Zeichen“ zum Beispiel die Wände mit Farbe bemalen. An der Bogenschussbahn, beim Weidenkranz-Zielwurf oder auf dem Steinschleuderplatz können sich die Jüngsten so richtig auspowern.

Besucher können sich unter dem Hochspeicher ansehen, aus welchen Töpfen die alten Germanen so ihr Bier tranken und ihren Hirsebrei löffelten. Besucher können sogar selbst Mehl mahlen, und zwar genau wie die alten Germanen es taten: mit zwei Steinen. „Und die Kinder können das Mehl dann auch gern mit nach Hause nehmen“, verspricht Ellen Melzian.

Wer ein Faible für Pflanzen hat, kann sich außerdem im germanischen Küchen- und Kräutergarten mal anschauen, was unsere Vorfahren so anbauten. Und das ist interessant. Hier finden sich neben heute noch bekannten Hülsenfrüchten und Getreiden wie Erbsen, Hirse und Dinkel auch seltsame Gewächse wie das Getreide Emmer, Färberwaid und Krapp, die zum Färben von Textilien genutzt wurden, oder die Karde, mit der dareinst die Wolle gekämmt wurde.

Wie das funktionierte, kann Ellen Melzian natürlich auch genau erklären, und die Gäste können sich das im Ausstellungsraum auch im Video anschauen.

Schade sei natürlich, dass es derzeit keine Workshops gibt, bedauert die Museumsmitarbeiterin. Leider fallen solche gemeinsamen Erlebnisse derzeit den Corona-Beschränkungen zum Opfer. Ebenso wie das beliebte Kochen an der Feuerstelle in der Langobardenkantine. Hier können Gäste sonst Teigfladen selbst im Ofen backen oder gemeinsam die beliebte vegane Langobardensuppe kochen. „Und die ist echt lecker“, versichert Ellen Melzian.

Zum Trost: Natürlich wird auf Nachfrage das Rezept verraten. Und selbstverständlich können Besucher sich auch ihr eigenes Picknick mitbringen, es mitten im Dorf auf der Wiese verputzen oder sich bei schlechtem Wetter – mit Abstand – ein Plätzchen an einem der Holztische und Bänke unter dem Schleppdach suchen und sich vorstellen, dass hier einst tatsächlich die alten Germanen saßen ...

Denn ein Besuch der Langobardenwerkstatt ist trotz Corona wieder möglich. Immerhin 50 Personen dürfen sich gleichzeitig im Museum aufhalten. Jeweils maximal neun Personen können gleichzeitig an einer Führung teilnehmen. „Selbstverständlich auch weniger“, sagt Ellen Melzian.

Ganz individuell geht das Team unter Leiter Lothar Mittag auch sonst mit Besuchern um. Melzian: „Auf Nachfrage sind Besuche auch vormittags möglich.“ Ganz regulär geöffnet ist die Langobardenwerktäglich außer montags zwischen 13 und 17 Uhr.

Und falls es im Museum länger dauert: Umliegende Urlaubsorte in der Altmark, wo Gäste stets ein Bett und viele andere Angebote finden, gibt es reichlich in der Umgebung. So ist die mittelalterliche Hansestadt Salzwedel nur rund 20 Kilometer entfernt, der Kurort Arendsee, samt Campingplatz, nur rund 30 Kilometer.

Und sogar in Zethlingen selbst können Familien im Erlebnishaus des evangelischen Kirchenkreises komfortabel übernachten, „... um dann gleich am nächsten Tag noch einmal bei uns vorbeizuschauen“, scherzt Ellen Melzian.