Wissenschaftler der Hochschule Magdeburg-Stendal haben das Projekt "Seniorenfreundliche Kommunalverwaltung" gestartet Von wegen Methusalem-Komplott - Alte sind die Chance für unser Land
Sachsen-Anhalts Senioren wollen nicht zum "alten Eisen" gehören. Landauf, landab engagieren sie sich in Vereinen und nehmen über Seniorenbeiräte und -vertretungen immer mehr Einfluss auf die Kommunalpolitik. An der Hochschule Magdeburg-Stendal erforschen nun Sozialwissenschaftler, welche Auswirkungen der demografische Wandel auf die Kommunen und ihre Verwaltung hat. Für sie steht schon jetzt fest: Die Generation 65+ ist keine Last, sondern eine Chance für das Land.
Magdeburg. Unsere Gesellschaft altert. Die Babyboom-Jahrgänge der Nachkriegszeit sind in Rente oder steuern darauf zu, gleichzeitig werden immer weniger Kinder geboren. Der ausgiebig und kontrovers diskutierte demografische Wandel ist in Sachsen-Anhalt besonders offensichtlich, weil hier nach der Wende noch weniger Kinder zur Welt kamen und gleichzeitig Jahr für Jahr die Bevölkerung einer kleinen Stadt das Land verlässt --meist junge, gut ausgebildete Leute, die der Arbeit hinterherwandern.
Zurück bleiben die Alten. In 14 Jahren wird ein Drittel der Bevölkerung 65 Jahre und älter sein, prognostiziert das Statistische Landesamt (siehe Infokasten). Das Problem ist lange bekannt, und fast genauso lange versuchen die Entscheidungsträger mit aller Macht, Jobs zu schaffen und so junge Menschen zu halten.
Dieser Ansatz greift zu kurz, findet Peter-Georg Albrecht, Sozialwissenschaftler an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Dort gibt es den Master-Studiengang "Soziale Dienste in der alternden Gesellschaft", aus dem in Kooperation mit dem Institut für Politikwissenschaften der Otto-von-Guericke-Universität und der Stadt Magdeburg das Projekt "Seniorenfreundliche Kommunalverwaltung" entstanden ist. Für Peter-Georg Albrecht und Projektleiter Professor Jürgen Wolf ist klar: Bevölkerungsentwicklung findet immer statt und ist nicht per se gut oder schlecht. Steigende und sinkende Geburtenzahlen, Nord-Süd-, Ost-West- und Stadt-Land-Wanderungen wechseln sich naturgemäß ab.
"Bevölkerung lebt noch lange und kann viel tun"
Deswegen schlagen sie vor, nicht mehr nur zu schauen, wie man Abwanderung verhindern und die Menschen zum Kinderkriegen animieren kann. "Wir müssen auch eine Bevölkerung stabilisieren, die noch sehr lange lebt und noch viel tun kann - die Senioren", erklärt Albrecht. Dieser neue Ansatz stößt nicht nur auf Wohlwollen, manch Kritiker fürchtet gar eine "Seniorisierung" des Landes. Doch die Wissenschaftler fordern: Nehmen wir die Alten ernst! Sie muss man besser beteiligen, ihr Wohlbefinden und ihre Lebensqualität steigern, denn: Sie haben eine Menge Potenzial.
Zwar gebe es hier keine engagierten Hausfrauen und "Generalswitwen", die das bürgerliche Engagement in Westdeutschland tragen - dafür aber um so mehr engagierte Arbeitnehmer in Vor- und Unruhestand, die sich selbst noch längst nicht auf dem Abstellgleis sehen.
Wenn Albrecht und seine Mitstreiter mit dem demografischen Wandel im Hinterkopf ins Jahr 2020 blicken, treiben sie deshalb Befürchtungen und Hoffnungen um. Da sind die ALG II-Empfänger, die keine vernünftige Rente erwirtschaftet haben und auch im Alter arm sein werden. Sind auch die Verwandten mittellos, muss die Kommune über die Grundsicherung für sie sorgen.
Gleichzeitig nehmen die Alterskrankheiten wie z. B. Demenz zu, immer mehr Menschen in Heimen und den eigenen vier Wänden werden pflegebedürftig sein. Alleingelassene Alte, jetzt noch die Stütze der bürgerlichen Mitte, könnten in Zukunft extreme Parteien wählen. "Da müssen wir vorbeugen", sagt Albrecht.
Die Kommune muss das Potenzial der Senioren nutzen
Doch die Chancen einer alternden Gesellschaft überwiegen die Probleme, sind die Sozialwissenschaftler überzeugt. Senioren haben eine Menge Kompetenzen, Erfahrung und engagieren sich im sozialen Bereich, Stichwort Volkssolidarität. Senioren sind es schon und werden es in Zukunft noch mehr sein: Wichtige Konsumenten, die einkaufen, viel reisen und sich für ihre Heimat engagieren - egal ob in der Kleingartensparte oder in einer Stiftung.
Deshalb, erklärt Albrechts Kollege Hendrik Nolde, brauche es eine den Menschen zugewandte Verwaltung und Politik. Die Kommune muss künftig die Senioren aktivieren, motivieren, ihr Potenzial nutzen und in neue Aufgaben kanalisieren. Natürlich sei die Altersgruppe vielschichtig - vom Pflegebedürftigen bis zu den bis ins hohe Alter Aktiven.
Eine echte Zugpferd-Funktion hätten jedoch die umtriebigen Mäzene wie zum Beispiel der Zirkusdirektor im Magdeburger Stadtteil Buckau (gemeint ist der längst im Renten-alter befindliche Geschäftsführer der Firma Abtshof und nebenbei engagierter Direktor des Zirkusmuseums Gerhard Mette, d. Red.). Von denen gebe es in westdeutschen Städten zehnmal so viele wie hier.
Gemeinsam müssen Kommunen und Sachsen-Anhalter dann die Probleme angehen, die der demografische Wandel mit sich bringt, von verlassenen Dörfern, über die Aufrechterhaltung des ÖPNV bis hin zur Wasser- und Stromversorgung in ländlichen Gebieten.
Während bereits in vielen Städten im Land Seniorengremien in der Kommunalpolitik mitmischen, hat sich der Magdeburger Stadtrat 2010 generalstabsmäßig des demografischen Wandels angenommen und seniorenpolitische Leitlinien beschlossen. Der Seniorenbeauftragte wurde deshalb von einem dreizehnköpfigen Beirat abgelöst, dem auch Stadträte angehören und der die Verwaltung in Themen beraten soll, die Senioren angehen.
Aus den Leitlinien heraus ist auch das Projekt "Seniorenfreundliche Kommunalverwaltung" entstanden. Im Bundesministerium für Forschung zeigte man sich beeindruckt und gewährte 250000 Euro zur Deckung der Personalkosten. Deshalb können sich bis 2014 ein Professor, drei wissenschaftliche Mitarbeiter und zwei studentische Hilfskräfte damit beschäftigen, Konzepte für eine seniorenfreundliche Verwaltung zu erarbeiten.
"Wir müssen uns fragen: Wie wollen wir im Alter leben?"
Konkret wollen die Wissenschaftler in den nächsten Monaten die Führungskräfte der Kommune abklappern und die Seniorenfreundlichkeit Magdeburgs in mehreren Arbeitsfeldern untersuchen und weiterentwickeln. Dazu gehören die Telefon- und Interneter-reichbarkeit, Bildungsangebote und Wohnungspolitik, die Gestaltung des öffentlichen Raumes und Sicherheits- aspekte bis hin zu den älter werdenden Mitarbeitern der Stadtverwaltung selbst. Angesprochen werden aber nach und nach alle Institutionen, die etwas mit Senioren zu tun haben, z. B. auch die Sparkassen.
"Ziel ist, dass die Kommune am Ende selbst ein Steuerungsinstrument in der Hand hat. Wie das genau aussieht, wissen wir aber noch nicht", konstatiert Peter-Georg Albrecht. Fest steht, die Stadt als Dienstleister muss ihr Angebot langfristig seniorengerecht ausbauen, schon um nicht die begrenzten Ressourcen zu verschwenden.
Eine wichtige Stütze dabei könnten die Seniorengremien sein, doch auch sie müssen erst in ihre Aufgabe hineinwachsen. Nach und nach könnte so ein Netzwerk aus Engagierten entstehen, von dem ausdrücklich nicht nur die Senioren, sondern alle Bürger profitieren.
"Wir müssen uns alle fragen: Wie wollen wir im Alter leben", sagt auch Ursula Lenz von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen in Bonn (BAGSO). Sie weiß, dass aktive Alte wesentlich länger leben und weniger Kosten verursachen. Ihr Verein führt deshalb gegenwärtig eine bundesweite Internet-Umfrage zur altersfreundlichen Gestaltung der Kommunen durch, an der jeder Interessierte teilnehmen kann. Die Ergebnisse sollen den Seniorengremien vor Ort eine Grundlage geben, auf kommunaler Ebene positive Veränderungen einzufordern und dafür konkrete und praxistaugliche Vorschläge zu machen.
Die Aktion spielt auch den Sozialwissenschaftlern der FH um Jürgen Wolf und Peter-Georg Albrecht in die Hände. "Das Thema Altern ist immer noch angstbesetzt", sagt Albrecht, "dieses Tabu will ich aufbrechen." Denn das Leben reicht bis zum Ende.
www.bagso.de, Kontakt zu den FH-Forschern: (03 91) 8 86 43 28.