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Wahlfälschung Holger, der Kümmerer

Zeugen im Stendaler Wahlfälschungsprozess geben sich naiv. Holger Gebhardt soll im Herbst 2014 zur Falschaussage animiert haben.

18.01.2017, 23:01

Stendal l Wie arglos und naiv man Wahlfälschungen übersehen, einfach auch nur wegsehen oder einem alles egal sein kann, demonstrierten praktisch alle sechs Zeugen, die die Erste Strafkammer des Stendaler Landgerichtes am gestrigen Mittwoch im Stendaler Wahlfälschungsprozess geladen hatte.

Jede Befragung ergab, dass der ehemalige CDU-Stadtrat Holger Gebhardt Vertrauen ausgenutzt habe. Das Gericht unter Vorsitz von Simone Henze-von Staden und Staatsanwältin Annekathrin Kelm reagierten mit Stirnrunzeln und erstaunten Nachfragen, im 50-köpfigen Publikum war auch schon mal ein Lacher zu hören.

Dass sie eine von Gebhardt übergebene Vollmacht gar nicht einlösen konnte, da der Wähler schon gewählt hatte, will CDU-Kreisgeschäftsführerin Yvette Below nicht stutzig gemacht haben. Sie habe keinen Verdacht gehegt. Ob sie Gebhardt denn darauf angesprochen habe, wollte die Staatsanwältin wissen. „Nein“, räumte Below kleinlaut ein.

Ihre Kollegin Angela B. bekannte: „Ich habe nicht hinterfragt und gedacht, es ist alles in Ordnung.“ Dass längst nicht alles in Ordnung war, hätte auch den anderen Zeugen auffallen müssen. Sie hatten Gebhardt ihre Wahlbenachrichtigungskarte mit ihrer Unterschrift quasi als Blankovollmacht übergeben – doch Stimmzettel erhielten sie nicht. Für Michael K. war damit alles erledigt. „Um alles andere kümmert sich der Holger“, erklärte K. freimütig. Sie hätten in der Spielothek am Tresen rund ein Dutzend Vollmachten für Gebhardt hinterlegt.

Übrigens nicht das erste Mal: Bereits 2009 sei so sein Stimmzettel bei Gebhardt gelandet, gab Michael K. zu.

Candy W. wirkte vor Gericht etwas beschämt. Sie hatte in Familie und Freundeskreis um die zehn Vollmachten für Gebhardt gesammelt – Stimmzettel gab es auch hier nicht. Wegen „Prüfungsstress“ habe sie dies „verdrängt und vergessen“. W. erklärte, sie sei von ihrem ehemaligen Partner Hardy Güssau um Unterstützung gebeten worden. Sie habe es „aus Sympathie“ für Güssau gemacht, obwohl sie Gebhardt gar nicht leiden könne.

Die 37-Jährige, die angab, auf 100-Euro-Basis für die CDU zu arbeiten, berichtete gestern aber auch, dass ihre Nettigkeit ein Ende gehabt hätte. Als die polizeilichen Vernehmungen anstanden, habe Gebhardt sie gebeten, ob sie aussagen und auch bei den anderen dafür werben könne, dass die von ihm gefälschte Unterschrift auf dem Wahlschein echt sei. Eine Falschaussage sei für sie nicht infrage gekommen.

Gebhardts Verteidiger konfrontierte sie indes mit der Aussage einer Bekannten bei der Polizei, die genau einen solchen Anruf erhalten habe.

Es ist jedenfalls eine illustre Mischung in diesem Prozess, die ein bemerkenswertes lokales Geflecht offenbart.