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Winterdienst Salz aus Marokko auf den Autobahnen

Rund 500 Mitarbeiter des Landes-Winterdienstes stehen im Ernstfall ab dieser Woche mit 328 Räum- und Streufahrzeugen in den Startlöchern.

Von Matthias Fricke 25.11.2015, 00:01

Magdeburg l Benjamin Hahne startet den Motor seines Lkw und stellt über seine Schalter im Cockpit die Dosierung des „Salzstreuers“ ein. Etwa zehn Tonnen befinden sich in dem Behälter hinter ihm. 20 bis 35 Kilometer kommt der 25-Jährige aus Blankenburg mit der Ladung, je nach Dosierung und Streubreite. Sein Revier und das seiner Kollegen ist die Autobahn 2 zwischen Elbbrücke und Marienborn und die Autobahn 14 zwischen Calbe/Saale sowie der Bundesstraße 189 bis Höhe Colbitz.

„Wir werden heute noch 400 Tonnen Salz in Bülstringen bestellen“, sagt sein Chef Jürgen Schulz. Wegen seines Vornamens wird er schon den ganzen Tag aufgezogen. Denn das Tief, das am Wochenende durchzog und am Montagmorgen für den ersten Winterdiensteinsatz des Jahres im nördlichen Sachsen-Anhalt sorgte, trägt den gleichen Namen.

„Jürgen“ hat auf Sachsen-Anhalts Straßen einen großen Teil der insgesamt 32 speziellen Wetter-Sensoren in Alarmmodus versetzt. Das System misst nicht nur Wind, Niederschlag und Fahrbahntemperatur, sondern errechnet auch den Gefrierpunkt. „Der liegt je nach Konzentration der Salzlauge auf der Fahrbahn unterschiedlich“, erklärt Schulz. Ist die Fahrbahn frisch gestreut, bildet sich Eis erst bei minus 20 Grad Celsius. Je mehr die Lauge auf der Straße sich durch die Fahrzeuge zerfährt, desto höher steigt der Gefrierpunkt, bei dem es zu einem Überfrieren der Fahrbahn kommt.

„Und das müssen wir in jedem Fall verhindern“, sagt Winterdienst-Fahrer Carsten Hentschke. Der 31-Jährige hat deshalb für das Revier Börde den Computer im Blick. Auf dem Bildschirm erscheinen die Angaben der 32 an der Fahrbahn befindlichen Messstationen aus dem gesamten Land. Fast minütlich werden dort die Daten aktualisiert. Ist der Rahmen um eine Messstelle rot, droht Glatteisgefahr.

„Und wenn hier alles rot ist, haben wir versagt“, meint er. An diesem ersten Winterdienst­einsatz des Jahres kommt es aber nicht dazu. Das Messsystem hat rechtzeitig Alarm ausgelöst und in der Nacht die Winterdienstmitarbeiter automatisch über das Handy informiert.

Das Team von Jürgen Schulz bringt an diesem Morgen rund 35 Tonnen Streusalz auf die Fahrbahnen. Pro Jahr werden nach Angaben des Verkehrsministeriums etwa 25.000 Tonnen auf Bundes- und Landesstraßen verbraucht. Auf den Autobahnen sind es 10.000 Tonnen pro Saison. Der Rekordwinter der letzten Jahre war 2012/2013. „Da wurden in der Summe etwa 140.000 Tonnen Salz verbraucht“, erklärt Ministeriumssprecher Peter Mennicke. Es gab aber auch schon Jahre mit über 200.000 Tonnen.

In den Jahren 2010/2011 gab es auf Grund des starken Winters bundesweit sogar Lieferengpässe. Das war der Grund dafür, dass damals in Bülstringen im Landkreis Börde die nationale Streusalzreserve geschaffen wurde.

Das Depot ist für die östlichen Bundesländer Brandenburg, Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern für die Belieferung der Autobahnen geschaffen, um solche Engpässe auszugleichen. In Nordrhein-Westfalen lagern die Vorräte für die westlichen Bundesländer.

Der Berg von 40.000 Tonnen soll nun zusammenschmelzen. Denn das Lager wird im nächsten Jahr aufgelöst. Peter Mennicke: „Da alle Länder inzwischen ihre Kapazitäten und Reserven aufgestockt haben, besteht kein Bedarf mehr.“

In diesem Jahr haben die Autobahnmeistereien erstmals nicht an Ausschreibungen teilgenommen. Sie beziehen ihre Lieferung aus der nationalen Reserve in Bülstringen. Dort lagert Salz, das im Jahr 2011 das Land Nordrhein-Westfalen nach einer Ausschreibung angeschafft hat. Damals hatte eine deutsche Firma mit Salz aus Marokko das wirtschaftlichste Angebot abgegeben.

„Inzwischen mischt sich aber wegen der Nachbefüllungen Salz verschiedener Herkunft unter den Bestand“, so Mennicke. Die Auslieferung des Salzes erfolge nach Bedarf. Die Lagerkapazität der Straßenmeistereien spiele dabei eine Rolle. Mennicke: „Sie reichen von 600 bis 3.000 Tonnen.“

Um den Winterdienst in jedem Fall zu gewährleisten, werden an die Lieferanten Anforderungen hinsichtlich der Liefermengen gestellt. So müssen im Extremfall innerhalb von 48 Stunden bis zu 200 Tonnen geliefert werden können.

Für das Auftauen ist es übrigens unerheblich, woher das Salz kommt. Ob aus Bernburg oder Marokko. Entscheidend sei der Natriumchloridgehalt und die sogenannnte Rieselfähigkeit. Zudem kommt noch Lauge. Jürgen Schulz von der Autobahnmeisterei: „Wir mischen die Lauge dazu, damit das Salz besser auf der Fahnbahn haftet. Gerade bei den hohen Geschwindigkeiten auf der Autobahn ist das wichtig.“

Aus diesem Grund ist der Job der Schneepflug-Fahrer auch nicht ganz ungefährlich. „Ein Horror sind überholende Autos, die sich zwischen uns durchdrängeln wollen. Aus diesem Grund nutzen einige von uns den seitlichen Schneepflug nicht, weil dieser schnell übersehen werden kann“, sagt Einsatzfahrer Hentschke. Er selbst habe schon erlebt, dass sich ein Reisebus zwischen die parallel fahrenden Räumfahrzeugen gedrängelt hat.

Da die Schneepflüge mit maximal Tempo 40 auf den Autobahnen unterwegs sind, können schnell 10 bis 12 Kilometer Stau entstehen.

Hentschkes Kollege Benjamin Hahne, der jeden Tag aus Blankenburg zu seinem Arbeitsort nach Irxleben mit dem eigenen Auto fährt: „Wenn ich weiß, dass es schneien soll, fahre ich eben auch eine Stunde eher los. Nicht weil ich meinen Kollegen nicht traue, sondern weil wir nicht überall gleichzeitig sein können.“

Werner Theis von der Gewerkschaft ver.di befürchtet sogar, dass der Winterdienst auf Sachsen-Anhalts Bundes- und Landstraßen nicht sichergestellt sei. „Es gibt einfach zu wenig Personal im Straßenbetriebsdienst. Der Personalabbau der letzten Jahre und die fehlende Ausbildung sowie Übernahme junger Straßenwärter führte dazu“, sagt er. Dies habe auch zu einer Überalterung der Belegschaft geführt.

Wegen der prekären Lage sind bereits im vergangenen Winter 42 Straßenwärter für drei Monate aus den Landes- und Bundesstraßenmeistereien an die Autobahn versetzt worden. Die Landesregierung plant deshalb, ab dem Winter 2016/2017 den Winterdienst auf einigen Landes- und Bundesstraßen teilweise an Fremdfirmen zu vergeben. Die Autobahnen sollen aber ohne dies auskommen.

21 Routen mit 21 Fahrzeugen müssten künftig europaweit ausgeschrieben werden. Insgesamt, vorausgesetzt der Landtag stimmt zu, werden dafür nach den Planungen 20 Millionen Euro für vier Jahre im Haushalt eingestellt.

Kritik gibt es für dieses Vorhaben nicht nur von der Gewerkschaft, sondern auch von der Opposition. Frank Hoffmann, verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke: „In ähnlicher Form hat das auch Thüringen versucht und will das nun rückgängig machen. Dort haben sich die Kosten sogar mehr als verdoppelt.“

Dass der Winterdienst ins Schlingern kommen könnte, sieht der Präsident der Landesstraßenbaubehörde Uwe Langkammer nicht, aber: „Die Situation ist schon kritisch. Deshalb müssen wir jetzt auch den Schritt der Vergaben gehen. Aber wir behalten dennoch die volle Kontrolle.“

 

Deshalb könne man die aktuellen Pläne auch nicht mit der Situation in Thüringen vergleichen. Die neue Qualität seien nur die größeren Verträge.