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Wirtschaftsminister Felgner kassiert Ansage vom SPD-Chef

Jörg Felgner machte in der Affäre um zweifelhafte Beraterverträge keine gute Figur. Was nun für ihn kommt, ist offen.

11.11.2016, 23:01

Magdeburg l Es ist der Anfang vom Ende. Am 1. Juli – Jörg Felgner ist noch nicht einmal zehn Wochen im Amt – wird die Affäre um die Beraterverträge öffentlich. Die Volksstimme berichtet, dass der Landesrechnungshof zweifelhafte Beraterverträge, Studien und Gutachten unter die Lupe genommen hat. Seit 2005 müssen Ministerien Beraterverträge ab 20.000 Euro dem Finanzausschuss vorlegen. Dieser entscheidet, ob es grünes Licht gibt. Die Kassenprüfer durchleuchteten 360 Vorgänge aus den Jahren 2010 bis 2013. Ergebnis: Etwa 70 Prozent der Gutachten wurden freihändig und oft am Parlament vorbei vergeben, viele davon sogar ohne Vergleichsangebote. Vielfach ist nicht einmal ermittelt worden, ob die ausgeschriebene Leistung nicht auch im eigenen Haus hätte erbracht werden können. Auch dem Rechnungshof fällt in diesem Zusammenhang auf, dass das Institut für Strukturpolitik und Wirtschaftsförderung (ISW) in Halle mit Millionen-Aufträgen bedacht wurde.

Besonders in der Kritik steht ein Geschäftsbesorgungsvertrag des Finanzministeriums mit der landeseigenen Investitionsbank (IB) über 6,3 Millionen Euro. In diesem Rahmen hat die IB Aufträge von mehr als 4,4 Millionen Euro an das ISW vergeben. Unterzeichnet wurde der Vertrag im November 2013 vom damaligen Finanz-Staatssekretär Jörg Felgner (SPD) – obwohl der Landtag den Haushalt noch nicht einmal beschlossen hatte. Als die Volksstimme dies am 19. August 2016 enthüllt, gerät Felgner erstmals unter Druck. Der neue Finanzminister André Schröder (CDU) kündigt an, den Geschäftsbesorgungsvertrag „in seiner derzeitigen Form“ nicht fortführen zu wollen.

Nur einen Tag später wird bekannt, dass die eigenen Fachebenen im Finanzministerium vor der Unterzeichnung des Geschäftsbesorgungsvertrages mit der IB gewarnt haben. Die Beamten rieten ausdrücklich davon ab, den Landtag bei der Auftragsvergabe zu umgehen. Aus Akten geht hervor, dass Felgner frühzeitig in den Vorgang eingebunden war. Diese legen auch den Verdacht nahe, dass die damalige Hausspitze im Finanzministerium von Anfang an plante, das ISW mit dem Millionenauftrag zu versorgen.

Felgner verteidigt das Vorgehen zunächst. Doch am 23. August rudert er zurück. Der SPD-Politiker kündigt künftig mehr Transparenz an. „Ich werde als Wirtschaftsminister bei allen Entscheidungen, die das Parlament betreffen, künftig dafür sorgen, dass die Landtagsabgeordneten stets vollumfänglich beteiligt werden“, teilt er mit. SPD-Landeschef Burkhard Lischka vermeidet die volle Rückendeckung. Die CDU schaltet auf Angriff. Einige halten Felgner schon damals für „nicht mehr tragbar“ als Minister.

Die Stimmung zwischen CDU und SPD ist angespannt. Die Union nimmt SPD-Landeschef Burkhard Lischka krumm, dass er in der Stendaler Wahlaffäre als Erster den Rücktritt von Landtagspräsident Hardy Peter Güssau (CDU) gefordert hatte. Die SPD wiederum vermutet, dass die CDU die Berichterstattung über fragwürdige Auftragsvergaben von Wirtschaftsminister Jörg Felgner befördert.

Doch auch innerhalb der SPD ist der Rückhalt für Felgner zunächst im kaum messbaren Bereich. Die Wunden aus dem März sind noch lange nicht verheilt. Nach dem desaströsen Abschneiden der Sozialdemokraten bei der Landtagswahl hatte Felgner noch vor dem Rückzug von Fraktionschefin Katrin Budde angekündigt, für ihr Amt kandidieren zu wollen. Das nimmt ihm ein Teil der Partei krumm. Dieser Flügel beäugt Felgner als Zögling von Ex-Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) sowieso äußerst kritisch – denn von Bullerjahns rigidem Sparkurs wollen sich die Genossen emanzipieren. Budde, die selbst gern Wirtschaftsministerin geworden wäre, sieht in Felgner den Verräter.

Und nun auch noch die Affäre um die Beraterverträge. Die Kritik wächst. „An die IB geht immer mehr Geld. Das ist ein riesengroßer Schattenhaushalt“, wird in der SPD Ende August geschimpft. Auf den Ministeriumsfluren wird über ein „Konjunkturprogramm“ für das ISW gelästert.

Nach außen hin versuchen die Genossen weiterhin, Felgner zu stützen. In einer Landtagsdebatte hält SPD-Finanzpolitiker An­dreas Schmidt eine War-eigentlich-was?-Rede. „Ich habe Akten gesehen. Nach erster Einsicht ist mir deutlich geworden, dass zahlreiche Vorwürfe so nicht in den Akten belegbar sind.“ Der Vorgang eigne „sich ganz bestimmt nicht für eine Skandalisierung.“

Der Wirtschaftsminister kämpft um sein Amt. Seine Rettung ist zu dieser Zeit womöglich, dass Anfang September weitere fragwürdige Beraterverträge bekannt werden. Die Volksstimme deckt auf, dass das Land im Dezember 2015 einen Vertrag über knapp zwei Millionen Euro mit einer Consulting-Firma aus Magdeburg abgeschlossen – wieder am Landtag vorbei. Auftraggeber war das seinerzeit von Angela Kolb-Janssen (SPD) geführte Ministerium für Justiz und Gleichstellung. Thema: die „Umsetzung von Maßnahmen zur Gleichstellung der Geschlechter-Gender Mainstreaming“. Teilweise galt ein Stundensatz von 480 Euro. Die Ex-Ministerin erklärt, der Vorgang sei ihr „im Moment nicht erinnerlich“. Es werden Forderungen nach noch schärferen Regeln laut.

Staatsminister Rainer Robra (CDU) wird es zu bunt. Er hält am 12. September in der Staatssekretärskonferenz eine Brandrede. Robra warnt vor „Schnüffelbrigaden“. Er fordert gegenüber den Amtsvorgängern eine Grundloyalität. Die früheren Hausspitzen sollten durch die neuen nicht belastet werden. Robra droht sogar: Eine Entlassungsurkunde sei in weniger als 45 Minuten geschrieben.

Drei Tage später erreicht die Affäre den Finanzausschuss. Felgner räumt erneut Fehler ein. Die AfD fordert seinen Rücktritt. Linke-Fraktionschef Swen Knöchel rückt den früheren Finanzminister in den Fokus. Er spricht vom „System Bullerjahn“. Es sei zu erkennen, dass Felgner „nicht der Verantwortliche war, sondern Teil einer Verantwortungskette“.

Als bekannt wird, dass es zu den Beraterverträgen einen Untersuchungsausschuss geben wird, scheint sich die Lage zunächst ein wenig zu beruhigen. Die Volksstimme recherchiert in der Zeit wochenlang zu einem weiteren fragwürdigen Beratervertrag. Spitzenbeamte des nun CDU-geführten Finanzministeriums prüfen einen Vertrag mit der Investitionsbank aus dem Jahr 2012. Diesmal geht es um 80.000 Euro. Die Rekonstruktion des Falls ist schwierig. Klar ist jedoch: Der Auftrag landete über die Investitionsbank letztlich wieder zu großen Teilen beim Wirtschaftsinstitut ISW. 60.000 Euro hat es für den „Immobiliendialog 2020“ kassiert – wofür, ist immer noch unklar. Klar ist jedoch: Auch diese Sache ging über Felgners Tisch.

Als die Volksstimme die Vorgänge öffentlich macht, schaltet die AfD die Staatsanwaltschaft ein. Eine zweite Rettung für Felgner scheint ausgeschlossen.

Wie es für den 44-Jährigen nun weitergeht, ist offen. Eine Art Absicherung, sein Landtagsmandat, gab der Diplom-Verwaltungswirt im Frühjahr auf. Die krachende Niederlage der SPD bei der Landtagswahl hatte zur Folge, dass weniger Abgeordnete als gedacht den Sprung ins Parlament schafften. Felgner machte nach seiner Ernennung zum Minister uneigennützig Platz, damit ein anderer nachrücken konnte.

Nun wird der Wirtschaftsminister wohl gehen müssen. Der Rat zum Rücktritt von SPD-Landeschef Burkhard Lischka ist überdeutlich. Nach dem Krisengespräch am Freitag in Magdeburg war Jörg Felgner nicht zu erreichen.