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ZeitreiseRitter oder Burgfräulein für einen Tag

Auf Schloss Neuenburg bei Freyburg haben Kinder die Möglichkeit höfisches leben kennenzulernen. Stilecht verkleidet als Ritter.

Von Janette Beck 27.05.2018, 01:01

Freyburg l Noch ist es himmlisch ruhig auf dem Schloss Neuenburg, einem beliebten Ausflugsziel an der Straße der Romanik. Von hier aus bietet sich dem Besucher ein grandioser Blick hinab in das maigrüne Winzerstädtchen Freyburg. In der Ferne sind Kinderstimmen zu vernehmen. Nur wenig später erfüllt Lachen, Toben und Geschrei den Schlosshof. Die 16 Mädchen und Jungen, allesamt Vorschulkinder der Kita „Freundschaft“ aus dem 20 Kilometer entfernten Karsdorf, nehmen die vor der Kinderkemenate aufgestellten Spielgeräte in Beschlag. Die Holzpferdchen müssen bis zu drei Reiter tragen, die bunten Schilder und Schwerter aus Holz gehen von Hand zu Hand. Es werden Kämpfe ausgefochten, dass es nur so kracht ...

Bald darauf ist es jedoch mucksmäuschenstill. Die kleinen Schlossbesucher betreten ehrfürchtig die schummrige, aufs Mittelalter getrimmte Kemenate (lateinisch caminus; Kamin, Feuerstelle – beheizbare, kleine Kammer in einer mittelalterlichen Burg). Die kindgerechte Ausstattung mit Thronstühlen, Bauernschrank, Fellen, Ritter-Helmen, Schwertern und bunten Schildern zieht die Sechsjährigen sofort in ihren Bann. Auf Holzbänken sitzend, blicken sie mit großen Augen auf Ellen Kleindorff.

Die 38-Jährige ist eine von zwei über die Kulturstiftung Sachsen-Anhalt festangestellten Mitarbeitern im Schloss Neuenburg, die sich speziell für die Kinderkemenate verantwortlich zeichnen. Diese wird seit 1996 hier veranstaltet, hält verschiedene Themenbereiche bereit und gehört zu den vielfältigen Programmen an der Straße der Romanik, die sich mit „Geschichte zum Anfassen und Mitmachen“ ganz gezielt an Kinder richten.

Inzwischen ist die unter der Woche fast täglich stattfindende Kinderkemenate laut Kleindorff „als fester Bestandteil unseres Gesamtkonzeptes im Schloss nicht mehr wegzudenken“. Wohl auch aus wirtschaftlicher Sicht nicht, wenn man die Besucherzahlen betrachtet: 5600 Gäste zählte 2017 alleine die Kinderkemenate, das Gros machten Mädchen und Jungen im Alter von fünf Jahren bis hin zu Schülern der 5. und 6. Klassen aus. „Wir sind über Wochen im Voraus ausgebucht“, freut sich die Museumswissenschaftlerin über eine „stetig steigende Resonanz“. Aber auch die Kindergeburtstage inklusive der Schatzsuche, die im Rahmen der Kinderkemenate angeboten werden, sind ein Geheimtipp, verrät sie: „Die sind der Renner. An den Wochenenden in den Sommermonaten sind kaum freie Termine zu finden. Das zeigt, dass wir mit unserem Konzept, Kindern das Leben im Mittelalter sowie die Bedeutung der Neuenburg und ihre Geschichte auf spielerische Art und Weise nahezubringen, genau richtig liegen und ankommen.“

Und wie! Lia, Patrick, Maja und die anderen Vorschulkinder aus Karsdorf sind vom ersten Moment an hin und weg. Auf die Frage von Ellen Kleindorff, ob sie Lust hätten auf eine Reise in eine andere Zeit, 900 Jahre zurück ins Mittelalter auf das Schloss Neuendorf – schallt ein lautes „Jaaaaaaaa!“ Und so beginnt die Geschichte vom Burggrafen „Ludwig der Springer“ und seiner wunderschönen Frau Adelheid dann auch mit geheimnisvoller Stimme – ganz in Manier einer Märchenerzählerin – mit ..? „Richtig, Kinder!, mit: es war einmal ...“

Die Kleinen sind ganz Ohr (außer wenn es gruselig wird, halten sich einige ängstlich dasselbe zu). Geschickt werden sie in die Erzählungen, zum Beispiel wie Graf „Ludwig der Springer“ zu seinem Namen kam oder warum Adelheid als Gespenst noch immer in der Burg herumspukt, mit eingebunden. Fast alle machen begeistert mit. „Wer will denn den Burgherren spielen?“ Die Finger schnellen nach oben. Patrick flitzt eifrig nach vorne und wird von Ellen Kleindorff in Ludwig verwandelt. Auch die Kostüme der Burggräfin, Wachen, des Schwarzen oder Roten Ritters, von König und Königin, Burgfräulein, Knappen und Pagen gehen weg wie warme Semmeln. Die einheitlichen, giftgrünen T-Shirts mit der Aufschrift „Hurraaa, ich werde ein Schulkind“ sind bald unter den originalgetreuen, mit viel Liebe zum Detail maßgeschneiderten Gewändern des Hofstaates verschwunden. Selbst Erzieherin Andrea Fleischer kommt nicht ums Verkleiden herum. Sie mimt samt Mitra und Krummstab den Erzbischof.

Übrigens nicht zum ersten Mal: „Ich war schon öfter mit unseren Vorschulkindern hier, und einmal privat mit meiner Enkelin. Die Kinder erzählen noch lange später vom Besuch der Kemenate. Und meine Enkelin träumt sogar jetzt noch manchmal von Adelheid als Gespenst“, berichtet die Erzieherin über den bleibenden Eindruck, den offensichtlich vor allem der letzte Programmpunkt hinterlässt: Der Rundgang des Hofstaates durchs Schloss hinauf in den Turm, wo das Gespenst wartet.

Nach 90 Minuten ist die Zeitreise beendet. Patrick drückt Ellen Kleindorff zum Abschied: „Das hat dolle Spaß gemacht.“ Beide strahlen. So soll es sein ...