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Zugreisen Politik auf der Schiene

Während Aktivistin Greta Thunberg per Katamaran Richtung Klimakonferenz schippert, steigen manche Politiker wieder in den Zug.

Von Marco Krefting, dpa 08.12.2019, 00:00

Frankfurt l Als Konrad Adenauer im Februar 1958 Urlaub an der französischen Riviera machte, gab es offensichtlich einen eklatanten Mangel: In seinem Feriendomizil fehlten Kopfkissen, die dem CDU-Mann ausreichend geruhsamen Schlaf ermöglichten. Kurzerhand borgte er sich zwei Stück aus dem Eisenbahnwagen 10 205 des Kanzler-Sonderzuges. So ist es im „Mängelbuch“ notiert, wie aus Angaben der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hervorgeht.

Bahnfahren war für Politiker damals en vogue. Adenauer reiste auf Wahlkampftour mit dem Zug quer durch die Republik: 9930 Kilometer kamen vom 4. Juli bis 16. September 1961 zusammen. Auf diplomatischem Parkett hatte der Salonwagen 10 205 seinen wohl größten Auftritt, wie das Haus der Geschichte formuliert, als er im September 1955 nach Moskau fuhr: „In Ermangelung einer diplomatischen Vertretung nutzten Adenauer und die deutsche Delegation den Salonwagen in Moskau als Refugium für ungestörte Gespräche.“ Er diente also als „Botschaft“ und galt als abhörsicher, wie ein Sprecher erklärt. Im Sonderzug fuhr auch Adenauers erster Dienstmercedes mit, der Adenauer 300.

Nach Willy Brandt war die Zeit des Bahnreisens mit Sonderzügen und Salonwagen weitgehend vorbei, so der Sprecher. Helmut Schmidt bekam noch einen neuen Salonwagen. „Dann waren Flugzeug, Hubschrauber und Auto erste Wahl.“ Jahrzehntelang stand die Bahn für die deutsche Politprominenz auf dem Abstellgleis. Noch heute gelten Zugreisen für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) aus logistischen Gründen als schwierig.

Anders sieht es international aus: Unvergessen sind die Fotos des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong Un, der Anfang des Jahres mit dem Zug zu seinem Gipfeltreffen mit US-Präsident Donald Trump nach Hanoi fuhr und bei der Inspektion einer Ehrengarde am Bahnhof von Pjöngjang winkte.

Zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse im Oktober reiste das norwegische Kronprinzenpaar, Thronfolger Haakon und Frau Mette-Marit, mit einem Literaturzug – einem speziellen ICE – an. Das belgische Königspaar feierte fast zeitgleich eine „Premiere in der jüngsten Geschichte der Staatsbesuche“: Mit dem Zug ging es ins benachbarte Luxemburg. König Philippe und Königin Mathilde hätten sich „aus Rücksicht auf die Umwelt und um eine nachhaltige Mobilität zu fördern“ für den Zug entschieden, hieß es. Greta lässt grüßen.

Wer sich über die glorreichen Zeiten deutscher Zugdiplomatie informieren will, muss in Archiven wie dem des Hauses der Geschichte stöbern. Dort erfährt man etwa, dass der Salon in Waggon 10 205 in mattem Grün gehalten war, der Teppich hatte einen beigefarbenen Grundton, Sessel waren mit rötlich-beiger Karo-Steppseide bezogen oder hatten grün-beige Gobelin-Bezüge. Die Seidenvorhänge waren milchkaffeefarben. Für Türen und Fenster wurden unter anderem schwedische Birke, Tabasko-Mahagoni, Nuss- und Kirschbaum genutzt.

Oder Interessierte gehen ins Museum. Das Deutsche Dampflokomotiv Museum in Neuenmarkt in Oberfranken zeigt künftig dauerhaft den Salonspeisewagen 10 242. Er ist in ähnlich dunklem Grün gehalten wie Nr. 10 205. Das Museum kündigt ihn als „ein einmaliges Zeugnis über die Regierung- und Repräsentationszwecke der deutschen Eisenbahn“ an. Denn das Fahrzeug steht in der offiziellen Liste beweglicher Denkmäler und ist eng mit der politischen Geschichte Deutschlands der vergangenen 80 Jahre verbunden.

Die Nationalsozialisten hatten nach Museumsangaben 26 sogenannte Dienstwagen mit Sonderausstattung bestellt. Der „Kanzlerwagen“ 10 242 sei 1937 bei den Gebrüdern Crede in Kassel entstanden. Adolf Hitler habe ihn als persönlichen Speisewagen genutzt. Nach Kriegsende fuhr er für den Hochkommissar der Britischen Besatzungszone, Bernard Montgomery. 1946 erhielt er ein neues Interieur mit Schlafabteil und Badezimmer samt Wanne.

1953 wurde der Wagen laut Chronik dann an die Deutsche Bundesbahn übergeben. 10.242 und 10.205 wurden in Köln stationiert und waren ausschließlich für den Bundeskanzler reserviert. „Auch die englische Königin Elizabeth II. fuhr auf ihrem ersten Deutschlandbesuch mit diesem Wagen durch die Republik“, heißt es beim Museum. „Für diesen Einsatz erhielt das Fahrzeug sogar eine eigene Lackierung.“ Die Geschichte von Nr. 10.242 wurde sogar verfilmt. 1988 dann wurde er ausrangiert. Waggon 10 205 konnte laut Haus der Geschichte seit 1974 sogar als Gesellschaftswagen gemietet werden, bis er am 5. Oktober 1990 in das Museum in Bonn Einzug hielt – als erstes Exponat.