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Angeklagte Mutter des toten Oskar sagt aus

Vor gut sechs Monaten stirbt in einem Bördedorf ein Kind. Haben die Eltern es vernachlässigt und ungewöhnliche Lebensumstände zum Tod des 14 Monate alten Jungen beigetragen? Das soll ein Prozess klären. Die Mutter berichtet zum Auftakt aus dem Familienleben - und spart die Todesumstände nicht aus.

Von Sabrina Gorges, dpa 25.02.2021, 13:52
Peter Steffen
Peter Steffen dpa

Magdeburg (dpa/sa) - Mit umfangreichen Aussagen der Mutter hat am Landgericht Magdeburg der Prozess gegen ein Elternpaar begonnen, das sich wegen des Todes seines kleinen Sohnes verantworten muss. Der 43 Jahre alten Frau und dem 38 Jahre alten Mann werden Tötung durch Unterlassen vorgeworfen. Laut Staatsanwaltschaft sollen die Deutschen den kleinen Oskar unzureichend versorgt und ihm zudem ärztliche Hilfe verweigert haben, als er schwer krank wurde. Am 2. September des Vorjahres starb Oskar im Alter von 14 Monaten - wie die Mutter am Donnerstag vor Gericht mit leiser Stimme und unter Tränen bestätigte. Laut Oberstaatsanwältin Martina Klein war er da "ausgezehrt" und hatte unter großen Schmerzen gelitten. Die Eltern hätten ihn "unbehandelt leiden lassen." 

Die Anklageschrift listet auch die Lebensumstände der Familie in Wefensleben (Bördekreis) auf, zu der noch drei weitere Kinder gehören. Sie waren zum Todeszeitpunkt drei, sechs und sieben Jahre alt, sagte Klein. Ihren Angaben zufolge lebte die Familie in einer spärlich eingerichteten Dreizimmerwohnung und ernährte sich von Fallobst, Viehfutter und Blättern. Nach Angaben der Angeklagten gab es auch keinen Strom, die Ernährung erfolgte oft "aus der Natur." 

In einer zunächst vom Verteidiger vorgelesenen Erklärung der Angeklagten hieß es, Oskar sei "unerwartet" gestorben. Die 43-Jährige habe "keinen Sterbeprozess bemerkt", alles habe einen "tragischen Verlauf" genommen. Die gebürtige Magdeburgerin sprach in ihrer Erklärung und auch persönlich von Angst vor dem Kindsvater. Deshalb habe sie dessen "selbstverwaltendes, systemfernes Lebensmusters" mitgetragen. Staatliche Institutionen und medizinische Hilfe habe er abgelehnt, hieß es. "Ich habe diese Prinzipien mitgelebt." Der Anwalt der 43-Jährigen sprach von einer Zugehörigkeit zum "Rechtskreis der souveränen Menschen".

Auf Nachfrage erzählte die vierfache Mutter, dass sie Oskar allein zu Hause auf die Welt gebracht habe und dass er "gut entwickelt und aufgeweckt" gewesen sei. Die Kinder wurden den Angaben zufolge auf Verlangen des 38-Jährigen nicht behördlich registriert, eine Krankenversicherung und Schule für den ältesten Sohn gab es nicht. "Sie hat ihr Leben und das der Kinder in seine Hände gelegt", sagte der Verteidiger. "Sie traute sich nicht, andere um Hilfe zu bitten." Immer wieder habe ihr Mann ihr damit Angst gemacht, die Behörden würden ihnen dann die Kinder wegnehmen.  

Als Oskar im Juli 2020 immer dünner und schwächer geworden sei, habe ihr Mann den Ernst der Lage heruntergespielt und das Kleinkind etwa mit selbstgemachter Zedernmilch behandelt. In der Erklärung hieß es, er habe sie auch bedroht und geschlagen. "Er war mir überlegen", sagte die Frau. "Das war mehr so psychisch." Gleich nach Oskars Tod war die 43-Jährige mit den anderen drei Kindern geflüchtet - am 19. Januar stellte sie sich der Polizei. Heute wisse sie, dass sie Hilfe hätte holen müssen. Aber sie habe nicht wissen können, dass Oskar an einer Form der Leukämie gelitten habe. Das sei laut Verteidigung erst später festgestellt worden.  

Der Kindsvater ist laut Gericht psychisch krank und möglicherweise schuldunfähig. Die Anklagevertreterin sprach von einer "wahnhaften Störung." Der im sächsischen Wurzen geborene Mann befindet sich momentan im Maßregelvollzug in Uchtspringe. Er wurde zum Prozessauftakt von mehreren Männern gefesselt in den Gerichtssaal getragen und sprach wirr. Das Gericht hat für den Prozess hohe Sicherheitsvorkehrungen angeordnet. Die Kammer will 15 Zeugen und zwei Sachverständige befragen. Der Prozess soll am Freitag fortgesetzt werden. 

© dpa-infocom, dpa:210224-99-577749/4

Mitteilung Landgericht Magdeburg