1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Drogenhandel und Geldwäsche: Neonazi-Netzwerk im Visier

Drogenhandel und Geldwäsche: Neonazi-Netzwerk im Visier

Der Hinweis kam vom Verfassungsschutz: Unter anderem in Thüringen ist die Polizei gegen ein mutmaßlich kriminelles Neonazi-Netzwerk vorgegangen. Es geht um den Verdacht des organisierten Drogenhandels und der Geldwäsche. Aber auch politisch sind die Gruppen aktiv.

Von Stefan Hantzschmann, dpa 26.02.2021, 16:18
Michael Reichel
Michael Reichel dpa

Erfurt (dpa) - Es geht um rechtsextreme Rocker, die mit Drogen gehandelt und Geldwäsche betrieben haben sollen: Mit einer großangelegten Razzia ist die Polizei in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Hessen gegen ein Neonazi-Netzwerk vorgegangen. Die Beamten fanden am Freitag nach Angaben des Landeskriminalamtes (LKA) Thüringen bei Durchsuchungen von 27 Wohnungen und Geschäftsräumen unter anderem insgesamt ein Kilogramm Drogen, rund 120 000 Euro Bargeld, rechte Devotionalien und Schusswaffen. Ob die Waffen noch schussfähig seien, müsse erst noch überprüft werden, sagte der Präsident des Thüringer LKA, Jens Kehr.

Insgesamt wurden zehn Personen festgenommen. Gegen acht Verdächtige mit deutscher Staatsangehörigkeit im Alter zwischen 24 und 55 Jahren lagen Haftbefehle vor. Vor Ort wurde dann noch ein weiterer Haftbefehl vollstreckt. Bei den Ermittlungen geht es um den Verdacht des organisierten Drogenhandels und der Geldwäsche. Insgesamt gibt es 21 Beschuldigte.

Ermittler sicherten unter anderem auch Kreditkarten, Handys und diverse Speichermedien. Unter den Drogen, die gefunden wurden, waren Crystal Meth und Heroin. Kehr sagte, die Ermittlungen zeigten einmal mehr, dass sich die rechtsextreme Szene teils durch Rauschgiftkriminalität finanziere. Die Durchsuchungen fanden ihm zufolge auch in zwei Rotlicht-Etablissements in Gotha statt.

Nicht nur das Polizeiaufgebot bei dieser Aktion war groß: Mehr als 500 Polizisten waren nach Angaben des Thüringer Landeskriminalamts am Freitag seit dem frühen Morgen beteiligt, darunter Spezialeinsatzkommandos (SEK). Auch politisch wurde der Aktion ein großer Stellenwert beigemessen. Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) nannte sie einen "harten Schlag gegen eine der herausragenden rechtsextremen Strukturen in Thüringen".

Der Schlag, von dem Maier spricht, richtete sich gegen die rechtsextreme "Bruderschaft Thüringen", zu der laut dem Landesverfassungsschutzbericht 2019 die Gruppen "Turonen" und "Garde 20" gehören. "Die Gruppen pflegen unter anderem durch das Tragen von Lederkutten einen Rocker-Habitus, ohne jedoch dort angebunden zu sein", heißt es in dem Bericht. Zuvor hatte der MDR darüber berichtet.

Die Rechtsextremismusexpertin der Thüringer Linke-Fraktion, Katharina König-Preuss, sprach von einer der "gefährlichsten Neonazistrukturen, die wir in Thüringen haben". Die Kontakte des Netzwerkes reichten demnach auch ins Ausland. Zudem stehe es hinter zahlreichen Neonazi-Konzerten in dem Bundesland.

Während einer Pressekonferenz zur Razzia wurden Bilder der Durchsuchungen gezeigt. Darauf zu sehen waren unter anderem Fitnessräume, aber auch Waffen, die wie Granaten aussahen sowie Maschinenpistolen. Ob es sich tatsächlich um einsatzfähige Waffen handelt, blieb jedoch zunächst unklar.

Gegen Mitglieder der "Bruderschaft Thüringen" wurde in der Vergangenheit bereits unter anderem wegen Körperverletzung, Hehlerei, Volksverhetzung, Bedrohung, Betrug, Urkundenfälschung und Drogendelikten ermittelt, wie aus einer Antwort des Thüringer Innenministeriums auf eine Kleine Anfrage von König-Preuss aus dem vergangenen Jahr hervorgeht. Sollten die aktuellen Vorwürfe gegen die Beschuldigten auch vor Gericht Bestand haben, hätte dieser Schlag ihrer Meinung nach Auswirkungen "auf die komplette Neonazi-Struktur in Thüringen und darüber hinaus".

Das hofft auch Innenminister Maier, der sich in den vergangenen Jahren mit einem rigiden Vorgehen gegen Rechtsextremismus in Thüringen profilierte. Er hoffe, dass "diese Ermittlungen dazu führen, dass wir diese Strukturen der organisierten Kriminalität und des Rechtsextremismus beseitigen können", sagte Maier.

Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) sagte er, dem Schlag gegen das Netzwerk seien jahrelange Vorbereitungen vorausgegangen. Der Hinweis sei vom Landesverfassungsschutz gekommen.

An der Razzia am Freitag waren Polizisten aus Thüringen, Spezialeinheiten aus Sachsen-Anhalt sowie Spezialisten des Bundeskriminalamtes (BKA) und des Hessischen LKA beteiligt. Durchsuchungen gab es in Thüringen in Gotha, dem Landkreis Gotha, Saalfeld-Rudolstadt und in Bad Langensalza; in Sachsen-Anhalt im Burgenlandkreis und in Hessen im Lahn-Dill-Kreis.

Der Schwerpunkt der Durchsuchungen lag laut LKA im Raum Gotha. Zu den Durchsuchungsobjekten gehörte auch das sogenannte "Gelbe Haus" in Ballstädt. In dem 700-Einwohner-Ort im Landkreis Gotha war es im Jahr 2014 zu einem Überfall auf eine Kirmesgesellschaft gekommen, bei dem mehrere Menschen verletzt wurden, einige davon schwer. Das Landgericht Erfurt verurteilte daraufhin elf Personen aus der rechtsextremen Szene teils zu Haftstrafen. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil jedoch später wieder auf. Der Fall könnte in diesem Jahr neu aufgerollt werden.

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Gera gibt es Verbindungen auch zu dem aktuellen Fall: Einige Angeklagte von damals gehörten auch zu den jetzt 21 Beschuldigten.

Das "Gelbe Haus" in Ballstädt sei ein "Stachel im Fleisch der Gesellschaft, einer Kommune, die darunter leidet", sagte Maier. "Ich hoffe, dass wir diesen Stachel heute herausgezogen haben."

© dpa-infocom, dpa:210226-99-605179/4