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Halle-Fluchtversuch: Ministerium bekam Hinweise

Eigenständig gelockerte Haftbedingungen machten den Fluchtversuch des Halle-Attentäters laut der Justizministerin überhaupt erst möglich. Sie muss jetzt aber einräumen, dass ihrem Haus diese Bedingungen vor dem Vorfall hätten bewusst sein können.

26.06.2020, 15:23
Klaus-Dietmar Gabbert
Klaus-Dietmar Gabbert dpa-Zentralbild

Magdeburg (dpa/sa) - Viele Fragen um den gescheiterten Fluchtversuch des Halle-Attentäters sind auch knapp einen Monat nach dem Vorfall ungeklärt - immer mehr Details deuten aber auf Versäumnisse im Justizministerium hin. Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) räumte am Freitag im Rechtsausschuss des Landtags ein, dass die JVA Halle die erleichterten Haftbedingungen für den Gefangenen am 13. Mai, also zweieinhalb Wochen vor dem Fluchtversuch, an das Ministerium übermittelt hat. Am Dienstag hatte Keding im Landtag bereits von einer Mail im März berichtet, die ebenfalls Hinweise auf die gelockerten Sicherheitsbedingungen enthielt.

Keding hatte vor allem die erleichterten Haftbedingungen für den Vorfall verantwortlich gemacht und der Justizvollzugsanstalt (JVA) vorgeworfen, sie eigenständig gelockert zu haben. So war der 28 Jahre alte Gefangene am 30. Mai nicht wie vom Ministerium erlassen von drei, sondern zunächst nur von zwei JVA-Bediensteten und später während eines Hofgangs gar nicht mehr bewacht worden. Das nutzte der Sachsen-Anhalter, kletterte über einen Zaun im Gefängnis und versuchte zu fliehen, bevor er nach fünf Minuten wieder geschnappt wurde.

Am 21. Juli soll in Magdeburg der Prozess zum Attentat in Halle starten. Der Angeklagte versuchte am 9. Oktober 2019 schwer bewaffnet, in die gut besuchte Synagoge in Halle einzudringen. Als das misslang, erschoss er zwei Menschen in der Nähe und verletzte mehrere schwer, ehe er festgenommen wurde.

Das Justizministerium hatte am 21. Februar Sicherheitsregeln für die Unterbringung des Häftlings erlassen, die unter anderem die Bewachung durch drei Bedienstete vorsah. Am 25. Februar setzte die JVA dann eine Sicherheitsverfügung in Kraft, die die Vorgaben des Ministeriums allerdings deutlich unterschritten. Das geschah laut Keding ohne Einwilligung ihres Hauses.

Am Freitag berichtete die Ministerin nun, dass die Sicherheitsverfügung in der Mail der JVA vom 13. Mai an eine Mitarbeiterin des Ministeriums übermittelt wurde. Die Kollegin habe offensichtlich nicht erkannt, dass die Verfügung der JVA vom Erlass des Ministeriums abweiche, sagte Keding. In dem Mailwechsel war es demnach nicht primär um die Sicherheitsbestimmungen, sondern vor allem um die Einschätzung der Suizidgefahr des Mannes gegangen.

Schon am Dienstag im Landtag hatte die Ministerin berichtet, dass ihr Haus deutlich vor dem Fluchtversuch Hinweise auf die gelockerten Haftbedingungen hatte. "So hat ein Bediensteter der JVA Halle am 3. März 2020 in einer Mail an den dienstlichen Account einer Referatsleiterin der Vollzugsabteilung und an den Leiter der JVA Halle tatsächliche Hinweise vorgetragen, dass die Untersuchungshaft nicht erlasskonform umgesetzt werde", sagte die Ministerin im Parlament. "Diese Hinweise sind offenbar nicht aufgenommen worden."

Weiter für Verwunderung sorgte auch die Entscheidung, den 28-Jährigen überhaupt in der veralteten JVA Halle untergebracht zu haben, statt ihn direkt in das Hochsicherheitsgefängnis in Burg zu bringen, wohin er nach dem Fluchtversuch verlegt wurde. Laut Keding ist das ein normaler Vorgang, da der Tatort in Halle lag, der Angeklagte aus der Region kommt und auch der Prozess ursprünglich dort stattfinden sollte. Am Freitag sagte Keding, dass es zu dieser Frage, jedenfalls mit ihr, keine Debatte gegeben habe. Auch Hinweise aus dem Innenministerium, das die JVA in Burg für die Unterbringung empfohlen haben soll, waren der Ministerin nach eigenen Angaben nicht bekannt.

Mit der Verlegung nach Burg wurden die Haftbedingungen dann deutlich verschärft. So müssen dem Angeklagten nun immer, wenn er seine Zelle verlässt, die Hände gefesselt werden, und er muss von drei Bediensteten bewacht werden. Auch die Bedingungen in Burg wurden inzwischen etwas gelockert, allerdings im Einvernehmen mit dem Ministerium. So dürfen dem Mann die Handschellen inzwischen beim Duschen abgenommen werden.

In den kommenden Wochen soll nun eine externe Expertenkommission den Vorfall und die Zusammenarbeit von JVA Halle und Justizministerium untersuchen. Sobald der Bericht vorliegt, will der Rechtsausschuss die Personalräte und die Leitung der JVA hören.

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