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Jägerin weist Schuld für den Tod eines 81-Jährigen von sich

Bei einer Gesellschaftsjagd im Harz trifft ein Schuss einen 81-jährigen Jäger in den Kopf. Wer trägt Schuld? Auf der Anklagebank sitzt eine junge Jägerin. Sie meint: zu unrecht.

29.10.2019, 14:23
Klaus-Dietmar Gabbert
Klaus-Dietmar Gabbert dpa-Zentralbild

Quedlinburg (dpa/sa) - Vor zwei Jahren starb bei einer Drückjagd im Harz ein 81 Jahre alter Jäger durch einen Schuss - eine angeklagte junge Jägerin sieht keine Schuld bei sich. Die 22-Jährige, die ein agrarwissenschaftliches Studium absolviert hat und aus einer Jägerfamilie stammt, muss sich seit Dienstag wegen fahrlässiger Tötung vor dem Amtsgericht Quedlinburg verantworten.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, im Oktober 2017 bei der Jagd im Forst Ballenstedt-Meisdorf auf einen Hirsch geschossen, stattdessen aber den rund 200 Meter entfernten 81-Jährigen tödlich am Kopf getroffen zu haben.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die junge Frau gegen eine Unfallverhütungsvorschrift für ausreichend Kugelfang verstoßen hat. Diese schreibt Jägern vor, immer so zu zielen, dass Munition, die das Wild verfehlt, vom Boden verschluckt wird. Die 22-Jährige ist der Meinung, sie habe das eingehalten.

Sie berichtete ruhig und sachlich, der Hirsch habe zu einem Rudel gehört, das vor ihr von links nach rechts am Hang entlang gezogen sei. Sie habe viel Zeit gehabt, um zu zielen und den Schuss mit ausreichend Kugelfang abzugeben. "Ich würde jeden Schuss wiederholen, weil ich mir bei jedem Schuss sicher war", sagte die Jägerin. Der Hirsch wurde nicht gefunden.

Bei einer Drückjagd wird den Jägern eine Kanzel zugewiesen, von wo aus sie schießen sollen. Treiber bringen das Wild in Bewegung.

Nach der Jagd habe sie davon erfahren, dass es einen Todesfall gegeben habe, sagte die Angeklagte. Sie habe das nicht mit ihren Schüssen in Verbindung gebracht. Zeugen, die bei der Jagd dabei waren, berichteten vor Gericht, der Getötete haben entgegen der Regularien keine Signalfarbe getragen. Er sei quasi in Tarnfarben unterwegs gewesen. Es habe ihn aber auch niemand darauf hingewiesen.

"Wir reden in jedem Fall von einem Unfall, von einem tragischen Unfall", sagte der Richter am Amtsgericht, Theo Buß. Die Ermittlungen nach dem Vorfall 2017 hatte sich schwierig gestaltet. Zur Jagdgesellschaft hatten den damaligen Angaben der Staatsanwaltschaft Halberstadt zufolge rund 100 Menschen gehört. Mehr als 60 Waffen waren damals sichergestellt worden, nachdem der Jäger tot gefunden worden war. Ein Vergleich mit einem Projektil war nicht möglich, weil besondere Munition eingesetzt wurde, die sich bei einem Treffer in viele kleine Stücke teilt.

Die Angeklagte ist trotz ihres jungen Alters schon lange mit der Jagd vertraut. Den Jagdschein hat sie seit ihrem 16. Lebensjahr. Sie sei schon bei vielen Gesellschaftsjagden dabei gewesen, als Treiberin und als vollwertige Jägerin, berichtete die 22-Jährige. Ihr sei bei der Jagd vor zwei Jahren eine Jagdkanzel zugewiesen worden. Informationen zu benachbarten Jägern oder Schussrichtungen habe sie nicht bekommen.

Dass Menschen bei der Jagd ums Leben kommen, ist laut dem Deutschen Jagdverband selten. Im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre seien jährlich zwei Menschen durch Jagdwaffen ums Leben gekommen. "2018 war ein schwarzes Jahr mit sechs tödlichen Jagdunfällen", sagte der Sprecher des Deutschen Jagdverbandes, Torsten Reinwald. Zum Vergleich sagte er: Jäger erlegten bundesweit pro Jahr rund 1,2 Millionen Rehe und mehr als 800 000 Wildschweine.

Das Gericht in Quedlinburg hat für den Prozess gegen die 22-Jährige fünf Verhandlungstage bis zum 26. November angesetzt. Ein Sachverständiger und 18 Zeugen sind laut dem Gerichtssprecher geladen. Für den 5. November sei ein Ortstermin in Meisdorf geplant, bei dem sich die Prozessbeteiligten ein Bild des Tatorts machen können.