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Platzeck macht im Osten teils "ungute Grundstimmung" aus

In diesem Jahr liegt der Mauerfall 30 Jahre zurück, im kommenden Jahr die deutsche Einheit. Ex-Regierungschef Platzeck leitet ein Gremium, das Empfehlungen für die Jubiläumsfeiern vorlegt. Er sagt, wie er die Stimmung im Osten, aber auch zwischen Ost und West einschätzt.

Von Oliver von Riegen, dpa 14.08.2019, 14:43

Berlin (dpa/bb) - Der Chef der Kommission 30 Jahre Deutsche Einheit, Matthias Platzeck, sieht in Teilen der ostdeutschen Bevölkerung eine "ungute Grundstimmung", die sich von der Auseinandersetzung zwischen den herkömmlichen Parteien verabschiedet hat. "Wir müssen die Abfolge und die Summe der Ereignisse im Auge haben: Zusammenbruch nach 1990, Finanzkrise 2008 und Flüchtlingskrise 2015, alles in einer Generation", sagte der frühere Brandenburger Ministerpräsident der Deutschen Presse-Agentur. "Bei nicht wenigen Menschen hat sich das Gefühl ausgebildet, der Staat, von dem sie das eigentlich erwarten, habe nicht mehr alles im Griff und schütze sie nicht mehr hinreichend."

Dazu kommt nach Einschätzung des SPD-Politikers eine wachsende Demokratieverdrossenheit und die Entwicklung, dass die "herkömmlichen Volksparteien" die deutsche Gesellschaft nicht mehr überall durchdringten und abbildeten. "Wir haben zumindest bei uns im Osten viele Orte, wo es sie schlicht nicht mehr gibt", sagte Platzeck. "Insgesamt sehe ich unsere Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens, unsere Demokratie am Rande einer Krise." Wenn die exzellenten Wirtschaftsdaten schlechter würden, könne sich diese Krise schnell verschärfen.

Zwischen Ost- und Westdeutschland macht der Kommissionsvorsitzende eine wachsende Kluft aus. "Mein Gefühl ist, dass im Osten das "West-Bashing" wieder ein Stück zunimmt", sagte Platzeck. "Im Westen trifft man eher auf ein Desinteresse am Osten, was man so zusammenfassen kann: Jetzt haben wir über Jahrzehnte so viel Geld bei Euch reingepumpt und Ihr wählt immer noch so einen Quatsch." Dieses Gefühl wird nach seiner Einschätzung nach der Landtagswahl am 1. September wieder stärker.

Dann wird in Brandenburg und in Sachsen ein neuer Landtag gewählt. Nach der jüngsten Forsa-Umfrage für die "Märkische Allgemeine" vom 9. August liegt in Brandenburg die AfD mit 21 Prozent vorn vor der CDU mit 18 Prozent und der SPD mit 17 Prozent. In Sachsen kam die CDU in einer Insa-Umfrage für "Bild" vom 6. August auf 28 Prozent vor der AfD mit 25 Prozent und der Linken mit 16 Prozent.

Der Kommissionschef hofft, mit den Feiern zum Einheitsjubiläum zu einem positiven Grundgefühl beizutragen für das, was nach 1990 gemeinsam geschafft worden sei. "Wir sollten uns vergewissern, dass die Vereinigung, aber auch ihre Folgen mit den vielen Dingen, die beklagt werden und wo Fehler benannt werden, historisch einzigartig ist", sagte Platzeck. "Ich möchte auch gern eine Debatte initiieren, die darauf fußt, dass wir im Osten Deutschlands neue Wege finden müssen." In Ostdeutschland gebe es keine Zentrale eines großen Konzerns. "Wir sind vorwiegend verlängerte Werkbank." Platzeck fordert daher viele innovative Ansätze und unkonventionelle Lösungen: "Kein Nachmachen, sondern neu denken und neu machen."

Platzeck sieht die Chance, Deutsche im 30. Jahr der Einheit wieder ins Gespräch zu bringen. "Es ist allerhand eingeschlafen: die Neugier, die Auseinandersetzung untereinander, die Städtepartnerschaften", sagte er. "Ich möchte, dass wir wieder miteinander reden." Deshalb seien "keine großen Staatsakte" geplant, sondern viele Gelegenheiten der Begegnung, der Debatte und des Austausches - auch mit Frohsinn. "Es muss nicht nur bierernst sein", sagte Platzeck. "Ich hoffe, dass es ein produktives und frohgemutes Jahr wird, was den Leuten ein besseres Gefühl erzeugt, als wir es heute wahrnehmen - auch untereinander."

FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg erklärte bei Twitter zur Sorge um die Stimmung im Osten und gelebte Einheit: "Vorurteile & Verschwörungstheorien bringen uns nicht weiter." Es seien "weniger Pathos & Empörung", mehr Ernsthaftigkeit und Neugier für ein "großes gesamtdeutsches Gespräch auf Augenhöhe" notwendig, schrieb die gebürtige Königs Wusterhauserin. Brandenburgs AfD-Landeschef Andreas Kalbitz warf Platzeck vor, mit seiner Einschätzung über die Stimmung im Osten "politische Stimmungszensuren" zu vergeben. "Nicht die Politiker haben dem Volk das Zeugnis auszustellen, sondern umgekehrt", erklärte der gebürtige Münchner am Mittwoch.

Bundesregierung über die Kommission 30 Jahre Einheit