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Reichardt als AfD-Chef: Rechtsaußen-Flügel im Vorstand

Martin Reichardt bleibt AfD-Chef in Sachsen-Anhalt. Bei einem Parteitag versucht er, die oft zerstrittene Partei wenige Monate vor der Landtagswahl zu einen - und holt prominente Rechtsaußen-Vertreter an seine Seite in den Landesvorstand.

20.09.2020, 16:49

Dessau-Roßlau (dpa/sa) - Die AfD in Sachsen-Anhalt fiel in den vergangenen Jahren immer wieder mit heftigem internen Zoff auf. Auch er habe trotz seiner Bemühungen um Einigkeit in seiner ersten Amtszeit nicht alle Streitigkeiten lösen können, sagte Landeschef Martin Reichardt zum Start eines Parteitags am Sonntag in Dessau-Roßlau. Immer wieder musste der 51-Jährige zusehen, wie sich verschiedene Interessensgruppen und Strömungen in öffentliche Grabenkämpfe verwickelten - auf Parteitagen, in den sozialen Netzwerken oder in der Presse. Er selbst brachte seine Position im Landesvorstand zuletzt mehrfach nicht durch und wurde überstimmt.

Doch im kommenden Jahr stehen Wahlen an, bei der die Zerrissenheit stört. Reichardt und zahlreiche andere Redner gaben das Ziel aus, bei der Landtagswahl am 6. Juni 2021 als stärkste statt bisher zweitstärkste Kraft ins Magdeburger Parlament einziehen zu wollen. Im Herbst steht die Bundestagswahl an.

"Jeder innerparteiliche Kampf schwächt uns, das haben wir schmerzlich erfahren müssen", appellierte Parteichef Reichardt an die fast 560 nach Dessau-Roßlau gereisten Parteimitglieder. Die gemeinsame Sache sei allem überzuordnen, "nämlich die Rettung der Heimat".

Es dürfte nicht nur dem Appell zu verdanken sein, dass der laute Krach beim Parteitag nur in Form von Jubel und Johlen ausbrach, Reichardt mit 90 Prozent Zustimmung im Amt bestätigt wurde und seine Wahlvorschläge für den Landesvorstand allesamt durchbrachte. Der gebürtige Niedersachse hatte vorher Strippen gezogen und sich auf einem Treffen der Kreisspitzen grünes Licht geholt, prominente Rechtsaußen-Vertreter in die erste Reihe zu holen.

Dabei gibt es in der Bundes-Partei gerade wegen des Umgangs mit dem offiziell aufgelösten "Flügel" um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke heftige Diskussionen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stufte die Strömung als rechtsextremistische Bestrebung ein und beobachtet sie mit nachrichtendienstlichen Mitteln. Als einen der führenden "Flügel"-Köpfe wertet die Behörde den sachsen-anhaltischen Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider. Zudem wird auch die Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA) vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall im Bereich Rechtsextremismus eingestuft.

Zuletzt hatte die Bundespartei den Ausschluss des Brandenburger Parteichefs Andreas Kalbitz durchgesetzt, der der Rechtsaußen-Strömung zugerechnet wird. In Sachsen-Anhalt beschloss das Landesschiedsgericht im August den Rauswurf des Bundestagsabgeordneten Frank Pasemann wegen parteischädigenden Verhaltens und Antisemitismus. Er wird ebenfalls dem "Flügel" zugerechnet. Weil dem Magdeburger bis jetzt das Urteil noch nicht schriftlich zugestellt wurde, tauchte er am Sonntag beim Parteitag auf - und stimmte auch mit ab.

Reichardt bindet mit breiter Unterstützung der angereisten Basis prominente Vertreter von "Flügel" und Nachwuchsorganisation jetzt in der ersten Reihe ein. Auf seinen Vorschlag hin wurden Tillschneider und der JA-Landeschef Jan Wenzel Schmidt mit 85 beziehungsweise 72 Prozent erstmals in den Landesvorstand gewählt.

Es sei egal, aus welchem Lager und welcher Strömung jemand komme, sagte Tillschneider bei seiner Vorstellungsrede für den Posten eines stellvertretenden Landeschefs und versprach sich als "Adjutant" in Reichardts "blauer Armee" unterzuordnen. Entscheidend sei, ob jemand politisches Gespür habe. Vor ihm werde gewarnt, weil er vom Verfassungsschutz beobachtet werde, sprach der 42-Jährige das Thema selbst an und fügte unter lautem Jubel hinzu: "Wir, die AfD, sind der einzige Verfassungsschutz in diesem Land." JA-Chef Schmidt forderte seine Parteikollegen auf, aktiv auf die Bürger zuzugehen. "Wir können nur als sozial-patriotische Partei stärkste Kraft werden."

Reichardt, Tillschneider, Schmidt und viele andere der 13 neuen Vorstandsmitglieder wurden ohne Gegenkandidaten gewählt - damit wurde das Spaltungspotenzial minimiert. Bei Tillschneider wurde das ermöglicht, weil sich die Kreisspitzen vorab auf den Kompromiss verständigt hatten, auf den Vize-Posten verschiedene Strömungen einzubinden. Der bisherige Partei-Vize Kay-Uwe Ziegler aus Anhalt-Bitterfeld wurde gemäß der Absprache deshalb wiedergewählt, allerdings knapp mit 56 Prozent und mehr als 50 Enthaltungen.

Auf anderen Positionen rief Reichardt wiederholt Gegenkandidaten für die Amtsinhaber auf und setzte sich durch. Mit der Schatzmeisterin Andrea Mähnert wurde auch die einzige Frau im Vorstand abgewählt. Auch andere parteiinterne Kritiker wie der bisherige Schriftführer Steffen Schroeder aus der Börde sind raus.

Ob die Neuaufstellung des Landesvorstands zum seit Jahren angemahnten Frieden in der AfD in Sachsen-Anhalt sowie bundesweit führt, bleibt abzuwarten. Vorab habe sich keiner vom Bundesvorstand wegen der Tillschneider-Personalie bei ihm gemeldet, sagte Reichardt. Sein Amtsvorgänger hatte in den vergangenen Jahren ebenfalls mehrfach versucht, die internen Strömungen zur Einigkeit zu bewegen. Es war André Poggenburg, der 2019 Partei und Fraktion verließ - im Streit.