Behindertensport: Sitzvolleyballerin vom HSV Medizin Magdeburg träumt von einem Start bei den Paralympics in London Anett Jelitte - die Liebe zum Sport hat über das Handicap gesiegt
Anett Jelitte kann den Sport nicht sein lassen. Nach ihren Erfolgen mit der Sitzvolleyball-Nationalmannschaft hat sie nun ein neues Ziel vor Augen: die Paralympischen Spiele 2012.
Von Rieke Mitrenga und Maria Sadewasser*
Tangerhütte l In London will Anett unbedingt dabei sein - allerdings nicht als Sitzvolleyballerin, sondern als Kugelstoßerin. Denn ihre durch den Sport trainierten Oberarme lassen sie in der Leichtathletik überzeugen.
Dieser Meinung war auch ein befreundeter Zehnkämpfer und motivierte sie, an den Leichtathletikmeisterschaften im Sommer letzten Jahres teilzunehmen. Anett stieß die Kugel auf Anhieb über acht Meter und sicherte sich damit einen Platz auf dem Treppchen. Seitdem trainiert sie hart, um ihren Traum von den Paralympics zu verwirklichen.
Ein verregneter Samstagmittag in Tangerhütte. Eine großgewachsene, schlanke Frau öffnet das Tor des Landesbildungszentrums, einer Schule für Behinderte. Hier findet das Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft im Sitzvolleyball statt. Die Sportlerin mit dem braunen Pferdeschwanz ist Anett Jelitte, die Spielführerin. Schnellen Schrittes geht sie den Weg entlang zu einer Turnhalle, wobei sie leicht mit dem linken Bein hinkt. Sie drückt einen extra für Rollstuhlfahrer angebrachten Knopf, um die Türen der Halle zu öffnen.
Das Geräusch aufprallender Bälle wird vom Lachen der Mannschaftskolleginnen begleitet, welche unüberhörbar viel Spaß haben. "Jette", wie sie liebevoll genannt wird, kann nicht mittrainieren. Bei der EM im Oktober 2011 in Rotterdam, wo ihre Mannschaft sich den fünften Platz sicherte, zog sie sich eine langwierige Verletzung zu. Diese hält sie jedoch nicht davon ab, auch weiterhin Sport zu treiben: "Man muss sich eben auch quälen können, das gehört einfach dazu", sagt sie und lächelt.
Ihr neues Ziel ist es also, im Sommer in London bei den Paralympics als Kugelstoßerin zu starten. "Dass ich jüngst berufen wurde vom Landesverband heißt nicht, dass ich das Ticket schon habe, das muss ich erst noch offiziell lösen", erklärt Anett. Dabei spielt sie auf die nationalen und internationalen Normen an, die jeder erfüllen muss, um an den Paralympics teilnehmen zu dürfen.
Die nationale Norm liegt für Anett im Kugelstoßen bei 8,82 Metern. Der Richtwert ist abhängig vom Grad der Behinderung. Anett startet in der Schadensklasse F 42. Diese umfasst Sportler mit einseitiger Oberschenkel-Amputation, doppelter Unterschenkel-Amputation, kombinierter Arm-/Bein-Amputation oder Behinderung eines Beines durch Kinderlähmung. Wenn es "Jette" gelingt, die ihr vorgegebene Norm bis Juli zu erfüllen, hat sie beste Chancen, das Ticket für London zu lösen.
Der Weg dahin ist hart, doch Jette machen die wöchentlich fünf bis sechs Trainingseinheiten zu je zwei Stunden nichts aus. "Ich muss mich einfach bewegen, weil es mir guttut und weil ich es liebe, mich auszupowern", erzählt sie, das rechte über das linke Bein geschlagen, mit einem Lächeln auf den Lippen. Im Umkleideraum, zwischen mehreren Beinprothesen sitzend, berichtet sie weiter, wobei sich unter ihrer blauen Jeans ihre Behinderung nur erahnen lässt: "Nach der Amputation hab ich eine Weile gar nichts gemacht,."
Anett Jelitte war gerade in der Ausbildung, als sie sich 1996 während eines Handballspiels einen Kreuzbandriss zuzog. "Ich war gerade als Physiotherapeutin exmatrikuliert und wollte in Absprache mit meinem zukünftigen Arbeitgeber noch mein Knie operieren lassen, bevor ich anfange," erzählt sie.
Doch es gab Komplikationen. Infolge der bakteriellen Infektion musste die junge Frau ganze drei Jahre im Krankenhaus verbringen. "Ich hab nur durch diesen Kreuzbandschaden mein linkes Bein verloren. Das war schon hart." Mehr möchte sie zu dem Thema nicht sagen. Sie blickt nach vorn.
Denn die junge Frau war nie der Typ, der einfach aufgibt. Im Jahr 2000 steigt sie als Physiotherapeutin wieder in das Arbeitsleben ein, und weil Bewegung für sie schon immer ein Muss war, fängt sie auch wieder an Sport zu treiben. "So richtig abgefunden mit der Amputation hab ich mich eigentlich erst, seitdem ich wieder Sport treibe", berichtet die gebürtige Froserin.
Heute, elf Jahre später, weiß sie: "Wenn man gut mit seiner Amputation zurechtkommt, dann bemerken das andere fast gar nicht." Und tatsächlich ist "Jette" ihr Handicap kaum anzusehen. Ihre Begeisterung zum Sport hingegen schon. Ihre leuchtenden Augen beweisen: "Ich liebe den Sport, und ich liebe den Ball."
Und Anett Jelitte liebt ihren Verein, den HSV Medizin Magdeburg. "Wir suchen permanent Leute, die Lust haben, sich sportlich zu betätigen. Nicht nur ,Einbeiner\', sondern auch ,Zweibeiner\'", sagt die ehrgeizige Sportlerin.
Mit ihrer Sitzvolleyballnationalmannschaft hat sie es leider nicht nach London geschafft, doch Anett lässt sich nicht entmutigen. Obwohl Mannschaftssport immer ihr Favorit bleiben wird, wagt sie jetzt den Alleingang mit der Kugel. "Mein Traum geht weiter!"
*Dieser Beitrag wurde in einem Germanistik-Seminar der Magdeburger-Universität erarbeitet. Betreut wurde das Seminar von den Volksstimme-Redakteuren Oliver Schlicht und Andreas Stein.