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Volksstimme-Serie Magdeburger Vater-Sohn-Beziehungen Teil II: Ingolf und Bennet Wiegert Den Frauen sei Dank

Der Vater Ingolf Wiegert, jahrelang bejubelter Kreisläufer des SC
Magdeburg, sagt heute: "Der SCM ist mein Verein, aber nicht mein Leben."
Der Sohn Bennet Wiegert, jahrelang bejubelter Allrounder des SC
Magdeburg, sagt: "Ich liebe diesen Verein." Sie haben alles dem Handball
untergeordnet - aber jeder auf seine Weise.

Von Daniel Hübner 23.12.2013, 02:13

Magdeburg. Da sitzen sie nun, im Halbdunkel der Hermann-Gieseler-Halle auf der Tribüne. In dieser historischen Stätte Magdeburgs, wo der Vater einst große Spiele für den SCM gewann und wo der Sohn sich in den Halbzeitpausen dieser großen Spiele einen Ball organisierte. Ingolf sitzt links, Bennet sitzt rechts.

Zu sagen haben sie gerade nichts, sie müssen nachdenken über eine tatsächlich schwierige Frage, die da lautet: Was war der schönste gemeinsame Moment? Wer kann das schon sagen in diesem ereignisreichen Leben der beiden Handballer?

Aber dann fällt dem Sohn ein Moment ein, der zwar banal klingt, aber doch das Miteinander der Wiegerts prägte: Bennet erzählt: "Wenn wir im Familienurlaub waren, haben wir uns immer eine Auszeit für den Sport genommen. Pädagogisch war mein Vater leider nie so richtig gut drauf, dass er auch mal ein Kind gewinnen lassen konnte. Aber irgendwann im Kenia-Urlaub habe ich es geschafft, ihn im Tennis zu schlagen. Das war das erste Mal. Das war für mich der schönste Moment." Und Ingolf erwidert: "Man kriegt im Leben nichts geschenkt, egal gegen wen und in welchem Spiel. Ich wollte immer gewinnen, das war immer mein Charakter."

Ihr Leben ist ein Schlagabtausch, angetrieben von Diskussionen beim Abendbrot, begleitet vom Umfeld. Als Fluch, ein Wiegert zu sein, wollte es Bennet nie bezeichnen. "Aber ich habe immer gesagt, dass es keine einfache Situation für mich war - vor allem in der Öffentlichkeit." Einen Eindruck davon erhielt er schon als Kind, als Zwölfjähriger bei einem Turnier in Eisenach. "Das muss ein Fan alter Schule gewesen sein, der mir zurief: Ey Wiegert, du wirst nie so gut wie dein ,Alter." Bennet wollte dann besser sein. Er resümiert: "Das ist mir bis zum Schluss nicht gelungen, aber das ist in Ordnung."

Ist es ihm wirklich nicht gelungen? Wo liegen in dieser Vater-Sohn-Beziehung die Maßstäbe? Wer will beurteilen, ob es schwerer war, 1980 Olympiasieger in Moskau zu werden oder 2002 die Champions League mit dem SCM zu gewinnen? Wie schwierig war es, auf 225 Länderspiele für die DDR zu kommen, oder überhaupt fünf für Deutschland zu absolvieren? "Ich denke nicht, dass man das vergleichen kann", erklärt Bennet, "bei allem Respekt meinem Vater gegenüber, aber in der DDR war das anders.

Ich bin auf meine Länderspiele sehr stolz, ich kann meiner Tochter sagen: Ich habe für Deutschland gespielt." Ingolf bestätigt: "Man muss ganz ehrlich sagen: Bennet hat zwölf Jahre Bundesliga gespielt, er hatte einen großen Anteil am Champions-League-Sieg, bei dem hohen Ausländeranteil in der Liga hat er in verschiedenen Vereinen seine Leistung immer wieder nachgewiesen - das kann man auch mit 225 Länderspielen vergleichen."

"Menschlich habe ich mich in dieser Zeit mehr entwickelt als sportlich."

Bennet Wiegert über seine Zeit in Wilhelmshaven und Gummersbach

Kann man Bennet und Ingolf überhaupt miteinander vergleichen? Als Handballer hatten sie nicht viel gemeinsam außer die Trikotnummer "3". Bennet spielte im Aufbau und auf Außen, Ingolf am Kreis. Wieviel Ingolf steckt also in Bennet? "50 Prozent Mutti, 50 Prozent Vati", sagt der Vati lächelnd. Was hat er dem Sohn mit auf den Karriereweg gegeben? "Kampf bis zum Umfallen, nie verlieren wollen, sich charakterlich sauber und im Rahmen der Regeln auf dem Feld verhalten." Alles gelebte Tugenden des SCM.

Bennet Wiegert hat sie mal dorthin mitgenommen, wo Ingolf Wiegert keine Vergangenheit hat - zum Wilhelmshavener HV. 2004 war das, weil der damalige SCM-Trainer Alfred Gislason ihm den Rat gegeben hatte. "Alfred Gislason, mit dem ich heute noch ein sehr gutes Verhältnis habe und den ich als Mensch sehr schätze, sagte mir: Ich würde dich gerne hierbehalten, aber du wärst nur da, um meine Bank stärker zu machen."

Wiegert ging also, zunächst zum WHV für zwei Jahre, dann für eine Saison nach Gummersbach. Er ging nicht als Ausleihe, er wollte kein Söldner sein mit absehbarer Rückkehr zum SCM. Er wollte Bennet Wiegert sein, der seinen eigenen Weg geht, seine eigene Philosophie entwickelt. Er sagt heute: "Menschlich habe ich mich in dieser Zeit vielleicht mehr entwickelt als sportlich." Fernab von Magdeburg "hat uns das noch einmal zusammengeschweißt." Ingolf weiß: "Für seine Entwicklung war der Schritt sehr wichtig, meine Frau und ich haben in dieser Zeit auch viele Freunde und Bekannte kennenlernen dürfen. Es war als Familie eine schöne Zeit."

Den Frauen sei Dank, ohne sie hätte das Leben weder des Vaters noch des Sohnes funktioniert, wie es von ihnen gelebt wurde oder wie sie es nach wie vor leben. Ingolf war im Olympia-Jahr und in den Weltmeisterschafts-Jahren vier Monate lang auf Länderspielreise, weil zu DDR-Zeiten "die Nationalmannschaft wichtiger war als die Liga", erklärt er. Seine Diana saß zu Hause und wartete auf die Rückkehr ihres Mannes.

"Das war natürlich immer schwierig für meine Frau. Aber das war nun mal unser Job." Zur Geburt Bennets war er rechtzeitig zurück, "ich konnte meine Frau dann abends ins Krankenhaus bringen". Bennet Wiegert sagt: "Meine Mutter musste es nicht nur aushalten, wenn Vater nicht da war, wir müssen ihr wirklich mal Dankeschön sagen. Wenn wir beim Abendbrot saßen und nicht immer einer Meinung über Handball waren, was eine Zeitlang sehr extrem war, musste sie schlichten. Sie hat immer alles zusammengehalten."

Jetzt hält außerdem Christine alles zusammen. Christine ist Bennets Frau, die beim Erstellen des Wochenplans jeden Sonntag nur zwei eigene hinter den unzähligen Terminen ihres Mannes einträgt, die "ihre Karriere komplett zurückschraubt, wenn es bei mir brennt", sagt Bennet. Die aber auch "irgendwann mal die Gelb-Rote Karte zeigt, wenn ich am Wochenende die Dreifachbelastung fahre als Aktiver, als Jugendkoordinator, als Jugendtrainer". Und wenngleich sie "in einem logistischen Meisterwerk alles dem Handball unterordnen", betont Bennet, gibt es in diesem Leben eine geliebte Grenze: Sie heißt Elba.

Elba ist am Neujahrsmorgen des Jahres 2012 zur Welt gekommen, und wenn Bennet es in Worte fassen könnte, würde er von diesem Ereignis seinem Vater berichten, der wiederum bei der Geburt seines Sohnes nicht im Kreißsaal weilte. "Das war nicht meine Sache", sagt Ingolf, 56 Jahre. Seine Generation hat dieses Ereignis als Aufgabe der Frau gesehen, die Generation Bennet sieht es "als den wahrscheinlich schönsten Moment meines Lebens", weiß der 31-Jährige. Eine Handballerin soll Elba nicht werden. Nicht nach dem Willen ihres Vaters. "Handball ist ein harter Sport, ich stelle mir für meine Tochter etwas anderes vor. Ich freue mich aber, wenn sie sportlich geprägt aufwächst, und ich freue mich noch mehr, wenn sie dann einen Mannschaftssport betreibt. Aber letztlich wird sie ihren eigenen Charakter haben und ihre eigenen Entscheidungen treffen, die ich nur unterstützen möchte."

Am Dienstag ist Heiligabend, und für Bennet Wiegert ist der 24. Dezember 2013 der Beginn einer Tradition. Die Familie, seine und Christines, sind eingeladen zu ihm nach Hause, und es wird "das erste Mal ganz traditionell Wiener mit Kartoffelsalat geben", berichtet Bennet euphorisch. In den vergangenen Jahren gab es immer Ente oder Gans, weil Wiegert am zweiten Weihnachtsfeiertag ja grundsätzlich spielen musste in der Bundesliga. Zumindest hatte er schon immer den Luxus, Heiligabend in seiner Familie zu feiern. "Den Luxus hatten andere Spieler nicht", weiß Wiegert.

Das Comeback, das er nach seinem Karriereende im vergangenen Sommer zwischenzeitlich wieder gegeben hat beim SCM, wird keine Rückkehr von Dauer sein, wenngleich sein Vater den Sohn gerne noch drei Jahre im Handball-Oberhaus sehen würde. Bennet hat seine neue Aufgabe als Jugendkoordinator längst akzeptiert - und mehr: "Trainer zu sein, ist das, was mir Spaß macht. Wir haben in Magdeburg so viele tolle Jungs, die hungrig nach Weiterentwicklung sind, die die Augen aufreißen und dich anschauen, wenn du etwas erklärst, die alles aufsaugen.

Das gibt mir sehr viel Kraft." Dass er als einer der Lehrgangsbesten die A-Lizenz gemacht hat, sagt der studierte Sportlehrer Ingolf, selbst 20 Jahre lang als Coach unter anderem der Frauen-Nationalmannschaft und der SCM-Männer in der Bundesliga tätig, über einen seiner schönsten gemeinsamen Augenblicke mit dem Sohn, "war ein bewegender Moment. Das zeigt, dass man doch einiges richtig gemacht hat". Und Bennet Wiegert steht erst am Anfang dieser Karriere.