Leichtathletik-EM: Nadine Kleinert muss bereits heute ran Die Hoffnung liegt auf dem letzten Versuch
Nadine Kleinert trinkt eigentlich gar nicht gern Alkohol – "höchstens mal ein Gläschen Bier in meiner Dorfkneipe in Dreileben". Und trotzdem zieht die Kugelstoßerin vom SC Magdeburg gern einmal den Vergleich zum "alten Wein, der mit den Jahren immer besser wird", wenn es um ihre Karriere und Leistungsfähigkeit geht. "Ich bin vielleicht sogar schon so etwas wie ein edler Portwein", trägt die 34-jährige Vizeweltmeisterin es mit Selbstbewusstsein und Würde, dass sie die älteste deutsche EM-Teilnehmerin ist.
Magdeburg/Barcelona.
Doch "Kleini" ist nicht nur das. Die "Grande Dame des Kugelstoßens" ist nach den Rücktritten von Diskus-Ass Franka Dietzsch und Speerwurf-Weltmeisterin Steffi Nerius im Vorjahr auch die international erfahrenste und zudem erfolgreichste Athletin, die dem DLV geblieben ist. Und so wurde der Magdeburgerin nunmehr späte Reputation zuteil: der Verband "schlug" sie vor dem EM-Start zur Ritterin - sprich Teamchefin.
Seit 1988 ist Kleinert im Kugelstoßring zu Hause und dabei überaus beständig. Bei internationalen Großveranstaltungen schien sie oftmals ein Abonnement auf Silber zu haben: Bei Olympia in Athen - sie rückte nach der Disqualifikation der des Dopings überführten Siegerin Irina Korschanenko einen Rang vor -, bei der WM 1999 und 2001, bei der Hallen-WM 2006 und bei der Hallen-EM 2000 sprangen jeweils zweite Plätze heraus. Was der frischgebackenen deutschen Meisterin (19,18 Meter) noch fehlt, ist – sieht man von der U-23-EM mal ab, wo sie vor 13 Jahren Gold gewann - eine EM-Medaille unter freiem Himmel.
Doch am Rande der nationalen Meisterschaft in Braunschweig auf Titelträume angesprochen, kam die sarkastische Gegenfrage: "Wieso, machen die Weißrussinnen nicht mit?" Drei von ihnen thronen nämlich an der europäischen Rangliste vor Kleinert, die es in dieser Saison – ohne Druck – auf 19,64 Meter brachte.
"Das ist in meinem Alter normal"
"Vor allem Ostapchuk ist derzeit eine Klasse für sich, sie stößt in dieser Saison stabil über 20 Meter. Wenn ich vorn mitmischen will, müsste ich um meine Bestleistung herum stoßen, aber dazu fehlt mir doch das Training, denn ganz störungsfrei verlief die Saison nicht. Aber dass ich nach Verletzungen längere Regenerationszeiten brauche, ist in meinem Alter normal."
Dabei besteht für Tiefstapelei eigentlich kein Grund, denn wie kaum eine andere Kugelstoßerin der letzten 13 Jahre beherrscht es Kleinert trotz oder vielleicht sogar wegen ihres Alters, auf den Punkt genau fit zu sein und ihre Leistung abrufen zu können. Auch bei der Heim-WM in Berlin gelang ihr das Kunststück in Perfektion. Im "Wettkampf ihres Lebens" wuchtete die 1,90 Meter große Sportsoldatin die Vier-Kilo-Kugel auf die persönliche Bestleistung von 20,20 Metern und musste sich nur Titelverteidigerin Valerie Vili (Neuseeland/20,44 m) geschlagen geben.
Allerdings forderte das "schönste und beste Jahr" ihrer Karriere auch seinen Tribut. Die Leistungen in dieser Saison schwankten ungewöhnlich stark. Trainer Klaus Schneider hat dafür eine einleuchtende Erklärung: "Das WM-Jahr war lang und hat Nadine unheimlich viel Kraft gekostet. Der mentale Druck war enorm, und danach war erstmal der Akku leer und die innere Anspannung weg. Sich in ihrem Alter nach einem so emotionalen Ereignis wie WM-Silber neu zu motivieren, ist gar nicht so einfach."
Bei der Suche nach einer neuen "Triebfeder" ist Nadine Kleinert aber fündig geworden: Sie will Spaß. "Ich sehe die Saison einfach etwas locker und nehme, was kommt und wie es kommt. Erstmals verdiene ich auch durch die Diamond League etwas Geld als Kugelstoßerin und genieße es, dass wir mehr als früher in den Fokus gerückt werden", so Kleinert, die mit der neugewonnenen Lockerheit auch im Wettkampf "eine ganz neue Qualität" (Schneider) erreicht hat. In den zurückliegenden Wochen gelang es der Sportsoldatin fast immer, wie auf Befehl, im letzten Versuch zu kontern: "Eine alte Frau bringt halt so schnell nichts mehr aus der Ruhe. Ich hoffe, dass ich mich auch bei der EM auf meinen letzten Versuch verlassen kann."