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Zandvoort - die zwei Szenarien: Boxendebakel & Taktikkatastrophen

Von Wolfgang André Schmitz 30.07.2007, 09:40

Mugello hat bewiesen: So unmissverständlich die Qualifying-Ergebnisse zurzeit sind, so abwegig können die Rennszenarien sein...

Auch nach dem gestrigen Qualifying scheint wieder einmal alles verdächtig eindeutig zu sein: Fünf Audi-Piloten starten geschlossen an der Spitze, sechs Mercedes-Fahrer starten geschlossen vom Ende des Feldes aus. Für die Stuttgarter kann es nur besser, für die Ingolstädter hingegen fast nur schlimmer werden...

Das erste Szenario

Fiktion... "Champagner, Pokale, Gratulationen: In der Nacht zum Sonntag träumt Timo Scheider bereits vom großen Triumph. Er wacht kurz auf, räkelt sich und will möglichst schnell weiterträumen - doch was folgt, ist ein Albtraum: Die Szenen von 2003 gehen Scheider ein zweites Mal durch den Kopf, als er im Opel in Führung liegend die Phoenix-Box ansteuerte - und am Ende der Boxengasse mit einem unbefestigten Rad ausrollte. Tags darauf hat der Abt-Audi-Pilot den Traum schon längst wieder verdrängt. Souverän führt er das Rennen von der Pole Position aus an und wird zeitgleich mit dem überrundeten Christian Abt in die Boxen gerufen. Das Unheil nimmt seinen Lauf:

Abt steuert versehentlich die Boxenmannschaft seines Bruders an; Scheider sieht sich zur Vermeidung von Wartezeiten gezwungen, dem Phoenix-Team einen Besuch abzustatten. Am Ende der Boxengasse rollt Scheider auf drei Rädern aus, in Reihen der Phoenix-Mechaniker fließen wie vier Jahre zuvor bittere Tränen. Im weiteren Rennverlauf nimmt der neue Führende Tom Kristensen in Tradition von 2006 seine Tankkanne mit auf die Strecke, die sich daraufhin vom A4 DTM löst und auf Martin Tomczyks Audi zuschießt. Vor Schreck zwingt Tomczyk seinen Dienstwagen in einen Dreher und berührt Gary Paffett. Am Ende sieht sich Sieger Mattias Ekström auf dem Podest umrahmt von Bernd Schneider und Bruno Spengler."

... und Realität: Wie gut Timo Scheider mit dem Druck der für ihn neuen Favoritenrolle umzugehen weiß, bleibt abzuwarten. Hinsichtlich seines Speeds ist Scheider der erste Sieg zwar zweifelsohne zuzutrauen, doch der neben ihm in Reihe eins stehende Mattias Ekström darf als der bessere Starter gelten. Dass ein Sieg für Ekström in der Meisterschaft oberste Priorität genießt, wird von den Ingolstädtern nicht verhehlt - und macht die Triumphfahrt für Scheider nicht leichter. Ohnehin hält das Rennen für Audi noch mehr Unabwägbarkeiten bereit als vor zwei Wochen der Mugello-Lauf:

Neben möglichen Safety-Car-Phasen auf dem engen und unübersichtlichen Kurs bildet auch der Regen eine Gefahr. So dürfte das Fahren im Nassen weiterhin eher als eine Spezialität der drei Mercedes-Jahrgänge gelten, auch wenn Audi schon im vergangenen Jahr deutliche Fortschritte auf abtrocknender Strecke gezeigt hatte. Strategisch wird es somit auch für Audi kein Patentrezept geben, nachdem die laut eigener Aussage an den Abt-Audi konstant funktionierenden Reifen alle taktischen Möglichkeiten offen lassen: Zwei frühe Boxenstopps vermindern die Gefahr, in der Safety-Car-Lotterie erneut als Verlierer hervorzugehen - zwei lange erste Stints lassen die Chance, im Fall von Regen den Wechsel auf Regenreifen auch zu einem späten Zeitpunkt noch im Rahmen der Pflichtboxenstopps zu erledigen.

Das zweite Szenario

Fiktion... "Vanina Ickx und Dr. Wolfgang Ullrich besprechen sich einvernehmlich: Während sich die Belgierin sonntags am Zandvoorter Strand von ihren beiden Unfällen erholen und neue Kräfte schöpfen darf, können sich die Futurecom-TME-Mechaniker mit der erneuten Reparatur ihres A4 DTM bis zum Nürburgring Zeit lassen. So wird das Risiko einer weiteren verhängnisvollen Safety-Car-Phase im Rennen bereits etwas reduziert. Im Rennen werden die restlichen neun Audi-Boliden frühestmöglich zu ihren beiden Boxenstopps gerufen - von einer Pace-Car-Phase geht nun keine Gefahr mehr aus.

Doch es kommt anders: Unvermittelt geht ein Wolkenbruch auf den Zandvoorter Asphalt nieder. Wer wie Mika Häkkinen noch keinen zweiten Boxenbesuch absolviert und somit den zweiten Pflichtboxenstopp mit dem Wechsel auf Regenreifen verbinden kann, ist klar im Vorteil. Damit nicht genug: Die Aquaplaninggefahr ruft das Safety-Car auf den Plan - und lässt den knapp für einen dritten Stopp reichenden Audi-Vorsprung zusammenschrumpfen. Tom Kristensen, in der Bereitschaft, alles für einen Ekström-Sieg zu geben, ist alarmiert und versucht, am Ende der Boxengasse das Safety-Car zuzuparken. Alle Mühen sind umsonst: Es siegt Jamie Green vor Mika Häkkinen."

... und Realität: Zandvoort 2006, Barcelona 2006, Mugello: Die Tendenz, dass sich ein führendes Abt-Audi-Quartett mit der Zeit immer wieder dezimiert, dürfte auch Bruno Spengler Hoffnung geben... Selbstbewusst hat der Kanadier, gestern als einziger HWA-Pilot halbwegs auf Augenhöhe mit Audi, das Podest als Ziel ausgegeben - bleibt ihm doch ohnehin nichts anderes übrig, will er seine Titelchancen nicht entschwinden sehen. Spengler hofft auf eine überzeugende Rennstrategie des HWA-Kommandostands, wie sie schon Gary Paffett 2005 zum Sieg und Bernd Schneider im vergangenen Jahr auf Platz zwei geführt hatte.

Ohne den bei den Stuttgartern ersehnten Regen haben es Mika Häkkinen, Bernd Schneider und Jamie Green in den Startreihen sieben und neun naturgemäß schwer: Die wenigen Überholchancen, die sich in Zandvoort bieten, dürfen als noch riskanter gelten als in Mugello - wie Häkkinen und Green 2006 erfuhren, als ihre missglückten Überholversuche gegen Abt und Ekström mit Durchfahrtsstrafen geahndet worden. Auch die Gefahr von Remplern in der Startphase ist im Mittelfeld allzu hoch - wie Schneider erst vor zwei Wochen spürte...