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Halbzeitanalyse - Teil 1: IQ-Test auf 80 Rädern?

Von Wolfgang André Schmitz 04.07.2007, 09:40

Die erste Saisonhälfte der DTM präsentierte sich unterhaltsam - und kompliziert. Ein Umstand, der für die DTM nicht zum Imageproblem werden darf...

Der Blick auf die Meisterschaftstabelle sagt mehr als tausend Worte: Mit 25,5 Punkten führt Bernd Schneider die Meisterschaft nach der ersten Saisonhälfte nicht nur mit einer ungewöhnlichen Dezimalstelle, sondern auch mit ungewöhnlich wenigen Zählern an. Nur langsam kommt die DTM wieder zur Ruhe - nachdem extravagante Rennverläufe und chaotisch scheinende Ergebnisse bis zum Exzess getrieben worden waren. Plötzlich schien es kaum noch durchschaubar, was alle 14 Tage um die 20 DTM-Boliden geschah...

Die DTM als Rennserie für Abiturienten, Akademiker und Mathe-Genies? Eine zwar neue und interessante Nische in der Welt des Motorsports, die die DTM allerdings keineswegs besetzen will: Die DTM präsentierte sich bislang weit komplizierter, als sie eigentlich sein will - und als sie eigentlich ist:

Heiteres Gewichterechnen

Groß war das Erstaunen, als das neue Gewichtsreglement - von offizieller Seite erst gar nicht kommuniziert - durchdrang: Stellten die Gewichtsregeln der Vorjahre die Fans nur vor einfachste Kopfrechenaufgaben, so schienen diesmal die Mathematiker der DTM-Welt gefordert. Gleich alle drei Jahrgänge statt nur die Neuwagen waren nun in ihrem Gewicht variabel, im Fall X unter dem Umstand Y können Fahrzeuggewichte auch ohne Erreichen von Minimal- oder Maximalgewicht gleich bleiben. Bei genauerer Betrachtung zeigte sich: Es sind nur Einzelfälle, in der die Gewichtsrechnung ein wenig Konzentration erfordert. Der Ruf des Gewichtsreglements als mathematisches Wunderwerk ist dennoch spätestens seit den Lausitzer Nachkommastellen zementiert...

Obwohl die Mercedes-Neuwagen schon seit dem zweiten Saisonlauf weniger Gewicht mit sich trugen als die 2006er-Mercedes, hatten die Gewichtsregeln auf die Mercedes-internen Kräfteverhältnisse nur bedingten Einfluss - zur Freude der Fans. Von den hohen Fahrzeuggewichten ließen sich die Fahrer der Stuttgarter 2005er- und 2006er-Boliden nicht an beachtlichen vier Podestplätzen hindern, während die immer leichteren Audi-Jahreswagen an Konkurrenzfähigkeit gewannen. Neuwagenintern verwunderte es zwar, wieso die Audi-Neuwagen auf dem Norisring trotz nur einen Sieges noch immer mehr Zusatzgewichte zu stemmen hatten als ihre Mercedes-Pendants. Doch mit den Kuriositäten der ersten Saisonhälfte hatten wohl auch die Regelmacher nicht gerechnet...

Obwohl den Mercedes-Neuwagen keineswegs überlegen, wurde die Abt-Truppe für Timo Scheiders vierten Platz hinter den Podestlern aus Jahres- und Gebrauchtwagenpiloten mit einer weiteren Gewichtszunahme "belohnt", die Halbierung der Lausitzer Gewichts- und abnahmen geriet für Audi zum Nachteil. Dass das Gewichtsreglement unter normalen Bedingungen noch mehr zur Chancengleichheit beigetragen hätte als ohnehin schon, blieb somit unbeachtet. Dem Fahrervorschlag, Zusatzgewichte künftig nur noch team- und nicht mehr jahrgangsweise zu vergeben, begegnet Mattias Ekström mit Gelassenheit: "Wenn man Zusatzgewichte bekommt, ist man der Meinung, dass es schlecht ist, wenn man im Gewichtsvorteil ist, findet man sie gut..."

Duell der Kommandostände

An Überraschungen mangelte es auch aus Zuschauersicht in diesem Jahr wahrlich nicht: Wer hätte vor Mattias Ekströms zweitem Stopp in Hockenheim gedacht, dass sich der Schwede auf Siegkurs befindet? Wer hätte Gary Paffett, bevor er nach seinem zweiten Boxenbesuch zurück auf die Strecke einbog, für den Sieger von Oschersleben gehalten? Die seit Einführung der beiden Pflichtboxenstopps ohnehin nicht unstrategische DTM entwickelt sich zum Fernduell der Kommandostände - so zumindest sehen es ihre Kritiker. Und obwohl das Maß an Strategie bei nüchterner Betrachtung keineswegs zu einem Rückgang an Überholmanövern geführt hat: Für den Zuschauer gab es schon einmal unkompliziertere Rennen als die diesjährigen.

Zwar lässt das Sportliche Reglement den Kommandoständen keine größeren Möglichkeiten als in den Jahren zuvor. In der Praxis eröffnen jedoch die neuen Dunlop-Reifen ganz neue taktische Spielräume: "In diesem Jahr spürt man den Grip weniger als im letzten Jahr, die Reifen sind härter und konstanter geworden. Auf den Longruns hat man es so natürlich leichter", stellte auch Bruno Spengler fest. Die Konsequenz: Die einzelnen Stints können beinahe beliebig in die Länge gezogen werden, Frühstopp- und Spätstopp-Strategien können oft gleichermaßen zum Erfolg führen. Das Erfolgsgeheimnis besteht vor allem darin, sich vom Verkehr fernzuhalten.

Eine Entwicklung, die Rosberg-Pilot Lucas Luhr kritisch sieht: "Die Strategie ist wichtig und entscheidend, und fest steht: Wenn man ein Rennen gewinnen will, muss man dem Rennen aus dem Weg gehen, um nicht in den Verkehr zu kommen. Das kann nicht Sinn und Zweck von Tourenwagenrennen sein." Die unvorhersehbaren Ergebnisse sowie den nicht uninteressanten Strategiekampf muss man der DTM keineswegs zum Nachteil auslegen. Verbesserungspotenzial hat die erste Saisonhälfte dennoch aufgezeigt: Sei es die Beschränkung auf nur einen Pflichtboxenstopp oder aerodynamische Beschneidungen für mehr Überholmanöver - viele Wege führen zum Ziel...

Auf dem Weg zur Berechenbarkeit?

Bereits 2006 verging kaum ein Rennen, ohne dass nicht leidenschaftlich über Sinn oder Unsinn einer Durchfahrtsstrafe diskutiert worden wäre. Die aktuelle Saison knüpfte nahtlos an mehr oder minder liebgewonnene Traditionen an: Ein berechtigtes Durchgreifen sah die Mehrheit der DTM-Welt bei der Strafe gegen Bruno Spengler in Hockenheim, die Strafe für Jamie Green in Oschersleben erntete einvernehmliches Kopfschütteln. Für Fahrer wie Fans schien die Systematik bei der Strafvergabe kaum noch durchschaubar. Mit dem viel zitierten Lausitzer Chaos stellte sich die bisherige Rennleitung selbst ein Bein - für Brands Hatch wurde ein Nachfolgertrio präsentiert.

Schon in England erntete die neue Rennleitung einige Lorbeeren, nachdem sie bei der Bewertung von Berührungen und Unfällen einheitlicher und nachsichtiger vorgegangen war. Auch in Fahrerreihen lobte man Sorgfalt und Dialogbereitschaft der neuen Rennleitung - bevor es in Nürnberg wieder ungeordneter zuging. Die Kontroverse um Spenglers Rotlichtverstoß sowie manch vergessene blaue Flagge brachten die Rennleitung in Verlegenheit, obwohl ihr selbst nur wenig vorzuwerfen war. "Es ist zu diskutieren, ob die Rennleitung hinsichtlich ihrer Manpower nicht stärker besetzt werden sollte", schlägt adrivo.com DTM-Experte Manuel Reuter für eine noch geringere Fehlerquote vor.

Auch eine Abschaffung der neuen, von der Formel 1 abgeschauten Safety-Car-Regel, wonach die Boxengasse während der Gelbphase geschlossen bleibt, rät Reuter an: "In US-amerikanischen Rennserien sind Safety-Car-Phasen wesentlich einfacher geregelt: Solange sich das Safety-Car und das Feld nicht am Eingang der Boxengasse befinden, bleibt die Boxenausfahrtsampel grundsätzlich grün - auch für die DTM wäre dies eine gute Lösung." Der Rennleitung wie den Zuschauern würde so das Leben wieder einfacher gemacht, sollte das neue Motto der DTM doch lauten: Warum kompliziert, wenn es auch einfach geht...