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SC Magdeburg Steffen Stiebler: "Das Sportlerleben war deutlich leichter und ruhiger"

SCM-Sportchef Steffen Stiebler spricht im Volksstimme-Interview über verpflichtende Traditionen, teuer erkaufte Siege und Probleme im Nachwuchs.

06.06.2015, 01:18

Wie erklären Sie sich, dass sich Magdeburg und die Region immer sehr stark über den Handball definiert hat?
Das hat viel mit Tradition zu tun, die schon zu Zeiten eines Hans-Jürgen Wende im Feldhandball begründet ist. "Bubi" war der Frontmann, er hat die Entwicklung des Handballsports in Magdeburg geprägt. Dann kamen die vielen erfolgreichen Jahre in der Gieselerhalle. Sie wurde zur Kultstätte des Handballs. Und nach der Wende waren wir die einzigen, die die Fahne des Handball-Ostens in der Bundesliga durchgehend hochgehalten haben. Der SCM war zu jeder Zeit am Ball und hat oben mitgespielt.

60 Jahre SCM - 31 Titel auf nationalem und internationalem Handballparkett. Vor allem Ende der 70er Jahre und in den Achtzigern gab es viel zu feiern.
Das war die Zeit der "goldenen Generation". Spieler wie Schmidt, Gerlach, Dreibrodt, Krüger, Wiegert oder Hoppe schrieben die Erfolgsgeschichte des Clubs weiter. Zeitweise waren sechs Magdeburger in der DDR-Nationalmannschaft, fünf wurden 1980 Olympiasieger. Das war auch ein Verdienst von Trainerlegende Klaus Miesner. Er hat über zwei Jahrzehnte eine große Zahl an Top-Spielern geformt. Und den SCM national und international zu einem Spitzenverein gemacht.

Tradition ist nicht nur verbindend, sondern auch verpflichtend. Ist das mehr Last als Lust?
Natürlich wecken Tradition und Erfolge auch gewisse Ansprüche. Aber unsere Fans sind deshalb nicht erfolgsverwöhnter als anderorts. Wir haben kein Eventpublikum, sondern eine fachkundige und sturmerprobte Fangemeinde, die über 30, 40 Jahre gewachsen ist. Gemeinsam haben wir Höhen und Tiefen erlebt, das verbindet. Und wir sehen es als unsere Pflicht, die Tradition weiterzuführen.

Ist der Handball von einst mit dem von heute überhaupt zu vergleichen?
Die Spieler von damals mit denen von heute zu vergleichen, wäre ein Fehler. Die Unterschiede sind immens. Genauso wie sich die gesellschaftlichen Verhältnisse stark verändert haben, haben sich auch unser Sport und die Regeln extrem verändert. Die Ligen sind größer, das Mehr an Spielen auf Vereinsebene, aber auch im Europacup und mit der Nationalmannschaft, die schnelle Mitte, das Tempospiel - das sind zwei verschiedene Welten. Ich habe noch die ruhigeren Zeiten erlebt, da haben wir gegen Düsseldorf zu Hause 14:13 gewonnen - das sind heute Halbzeitergebnisse. Der Handball heute ist athletischer, die Trainingsinhalte und -Häufigkeiten sind andere. Und die Strukturen sind professioneller. Wie in der Gesellschaft ist auch im Profisport das Motto: Höher, schneller, weiter. Ich frage mich nur manchmal: Wo soll das enden?

Sie haben über 20 Jahre gespielt, haben 2009 endgültig die Seiten gewechselt - was ist schwerer, eine Abwehr zu leiten oder eine Geschäftsstelle?
Das Spielerleben war deutlich leichter und ruhiger. Ich hatte nur für mich selbst, meinen Körper und die Mannschaft Verantwortung zu tragen. Jetzt trage ich Verantwortung für viele Bereiche gleichzeitig und der Zeitaufwand ist größer. Ich bin sehr froh, dass wir so engagierte Mitarbeiter in der Geschäftsstelle und im Umfeld haben. Allein wäre der Berg an Arbeit nicht zu bewältigen, es ist extrem wichtig, dass alles Hand in Hand geht.

Die Entwicklung nach der Wende trägt zweifellos auch die Handschrift von Ex-Manager Bernd-Uwe Hildebrandt. Wie sehen Sie dessen umstrittene Rolle mit etwas Abstand?
Sicher hat er einen großen Anteil an der Entwicklung der Mannschaft nach der Wende und den herausragenden Erfolgen 2001/2002. Dennoch darf man nicht vergessen, dass diese Erfolge teuer erkauft wurden und der Verein sehr lange und sehr schwer an den Altlasten zu tragen hatte.

2007 konnte der Verein zweimal die drohende Insolvenz mit einem großen Kraftakt abwenden. Wie haben Sie diese Zeit als Spieler erlebt?
Als Spieler hatten wir kaum Einblick in die Details, das war so gewollt. Für die Außenwirkung war es wichtig, dass der Verein einen soliden, solventen Eindruck macht. Wie schlecht es damals wirklich um den SCM stand und welcher Kraftanstrengungen es bedurfte, dass jeden Monat das Gehalt pünktlich kam, war den Spielern nicht bewusst.

Was ist notwendig, um zukünftig nicht wieder in eine wirtschaftliche Schieflage zu geraten?
Um eine Profi-Handballabteilung zu führen, bedarf es mittlerweile professioneller Strukturen. Besonders wichtige Punkte sind hierbei die Transparenz und das Controlling der handelnden Personen.

Die Nachwuchsförderung des SCM galt immer als beispielgebend. Die Zeiten haben sich geändert, die Erfolgsserie ist gerissen. Ist das Magdeburger Modell ein Auslaufmodell?
Lange Jahre war Magdeburg neben Minden im Bereich Nachwuchsförderung der Standort. Die Talente kamen von weit her zu uns. Inzwischen gibt es nahezu überall in den deutschen Handball-Metropolen Förderzentren mit Handballinternaten. Der Pool an Talenten wird deutlich kleiner, und auch der Handball hat mit den gesellschaftlichen Problemen und dem demografischen Wandel zu kämpfen. Dass beim Fußball die Tendenz dahin geht, die zweiten Mannschaften abzuschaffen, kommt nicht von ungefähr.

Muss man sich in Magdeburg wohl oder übel mit dem Gedanken anfreunden, dass es zumindest die Youngsters bald nicht mehr gibt?
Wir müssen über Alternativen nachdenken, zumal fast alle Verträge unserer Perspektivkader 2016 auslaufen. Vielleicht sind zwei oder drei in der Lage, den Sprung direkt ins Bundesliga-Team zu schaffen. Fakt ist aber auch, dass die Begehrlichkeiten wachsen und viele Vereine Interesse zeigen und mit Verträgen locken. Es wird schwer für uns, diese Spieler dann zu halten. Damit will ich aber nicht sagen, dass wir unser Modell oder Konzept komplett aufgeben, aber wir stehen in den nächsten Monaten vor der Aufgabe, nach neuen Wegen zu suchen. Der SCM hat weiterhin das Ziel, das eine oder andere Eigengewächs in die erste Mannschaft einzubinden.

Was stellt für Sie künftig die größte Herausforderung dar?
Das nunmehr Erreichte zu stabilisieren. Die Entwicklung der letzten drei, vier Jahre verlief relativ schnell. Doch was nützt es uns, kurz durch die Decke zu schießen und danach tief zu fallen? Die Schritte nach oben werden definitiv kleiner, darauf müssen sich alle einstellen. Wichtig ist, dass wir auf dem Boden bleiben und weiter hart daran arbeiten, unsere Position zu verteidigen und zu festigen. Vieles von dem, was wir können und was wir wollen, hängt natürlich auch von den wirtschaftlichen Faktoren ab.