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Nach einem halben Leben in " Grün-Rot " verlässt der Abwehrchef des SC Magdeburg die Kommandobrücke / Steffen Stiebler : "Handballer wie ich sind eine aussterbende Art"

Von Janette Beck 04.06.2009, 05:01

Wie immer in den letzten 20 Jahren wird Steffen Stiebler am kommenden Sonnabend das Trikot mit der Nummer 14 überstreifen, seine Schuhe schnüren und darauf brennen, in die " Schlacht " zu ziehen. Doch wenn der Hallensprecher diesmal bei der Begrüßung seinen Namen ruft, dann wird der 38-jährige Handball-" Dino " ein letztes Mal die Faust kämpferisch in die Höhe recken. Noch einmal wird " Stabbel " die Knochen für seinen SCM hinhalten, danach nie wieder. Denn : " Der Akku ist leer. Es ist vorbei !"

Magdeburg. " Es war ‘ ne geile Zeit !" Nach zwei ereignisreichen Jahrzehnten hängt der Spieler mit der Nummer 14 das Trikot des SCM endgültig an den Nagel. Und nichts trifft in diesem Moment die Gefühlswelt von Steffen Stieber wohl besser als der melancholische " Abgesang " der deutschen Pop-Gruppe " Juli ", der bei der offiziellen Verabschiedung in der Bördelandhalle über die Lautsprecher dröhnen wird. " Ja, das war wirklich ‘ ne geile Zeit. 20 Jahre Grün-Rot, das ist mehr als mein halbes Leben. Aber ich wollte nie etwas anderes, und ich möchte diese Zeit mit den Jungs, die all die Jahre Seelenverwandte für mich waren, nicht missen ", meißelt der langjährige Kapitän seine Liebeserklärung an den SCM für alle Ewigkeit gedanklich in Stein.

Die Triumphe, den Spaß, den man gemeinsam hatte, das " Wir-Gefühl ", das zusammen Kämpfen und zusammen Verlieren - das alles werde in schöner Erinnerung bleiben, glaubt der Abwehrrecke. " Das alles werde ich auch schrecklich vermissen, auch wenn ‘ s manchmal ganz schön gekracht hat ", ist Stiebler sich sicher, obwohl ( oder gerade weil ) die letzten zwei Jahre, als der SCM von einer Krise in die nächste schlitterte und mehrfach am finanziellen Abgrund stand, tiefe Spuren in der Seele und erste Falten im Gesicht hinterlassen haben.

" Ich frage mich manchmal, wo ist die Zeit geblieben ?"

" Manchmal erschrecke ich, nicht nur beim Blick in den Spiegel, und frage mich, wo die Zeit geblieben ist. Dabei kommt es mir vor, als habe ich mit Schimrock, Winselmann, Trainer Doering und Co. vor kurzem erst den Pokalsieg gefeiert. Wenn ich zurückblicke, dann ist das schon Wahnsinn. Es war eine sehr schöne Zeit, geprägt von vielen erfolgreichen Jahren ", so Stiebler, der immer noch Gänsehaut bekommt, wenn er an seinen ersten großen Erfolg mit dem SCM und die Stimmung in der Alsterdorfer Sporthalle in Hamburg beim Pokalsieg 1996 denkt. Und auch der Moment, als er 2002 auf dem Rathausbalkon die Champions-League-Trophäe in den Himmel hob, bleibt unvergessen. " Das sind die Dinge, von denen ich meinen Enkeln später vorschwärmen werde. "

Doch 20 Jahre erste Männermannschaft des SCM und 500 Erstligapartien bedeuteten für den gelernten Bürokaufmann aber nicht nur Zuckerschlecken, sondern auch Qualen, Schmerzen und Tiefschläge. In all den Jahren seiner Karriere war Stiebler der " Mann fürs Grobe ", der Angst und Schrecken verbreitet. Er war es, der das Abwehr-Bollwerk zu einem Markenzeichen des SCM machte. Nicht nur deswegen hätte er mehr als jeder andere ein Abschiedsspiel verdient. Das war nach Vereinsangaben aufgrund von Terminschwierigkeiten nicht realisierbar, soll aber nach Volksstimme-Information nun doch im August in der altehrwürdigen Gieselerhalle nachgeholt werden ...

" Ich habe meinem Körper oft keinen Gefallen getan "

Zwar war Stiebler nie derjenige, der sich in den Vordergrund spielte oder den " Lauten " machte, dennoch gab er in der Deckung resolut den Ton an. Seine ruhige, besonnene Art, seine Härte gegen jeden Gegner und sich selbst, haben ihm ebenso Autorität, Respekt und Standing in der Mannschaft verschafft wie sein Kampfgeist, die Trainingseinstellung und Loyalität gegenüber dem Verein. Stiebler blutete " Grün-Rot " – mehr als manch anderer. Er war der Fels in der Brandung, einer, der bis zum Umfallen rackerte, der austeilte, aber oft genug auch einstecken musste.

Die blauen Flecke sind ungezählt, und auch die Liste der Verletzungen, die den Abwehr-Haudegen ab und an zum Pausieren zwangen, ist lang. Die Tage, an denen morgens beim Aufstehen nichts wehtat, hatten zuletzt Seltenheitswert. Ein Zustand, der Stiebler zwang, ans Aufhören zu denken. " Profihandball ist nun mal kein Wattepusten, aber mit etwas Abstand und persönlicher Reife muss ich sagen, dass ich meinem Körper oftmals keinen Gefallen getan habe. " Gerade als Jungspund habe er mit seiner Gesundheit gespielt und ging mit Verletzungen sorglos um. " Als Lehre daraus habe ich mich in den letzten Jahren nicht mehr schmerzfrei spritzen lassen. Wenn absolut nichts mehr ging, dann habe ich meinen falschen Ehrgeiz abgelegt und mir gesagt, es muss auch ohne mich gehen. "

Aber genau hier liegt das Problem. Ein Stiebler, das hat die Vergangenheit eindrucksvoll gezeigt, ist nicht zu ersetzen. Als er vor zwei Jahren schon einmal seinen Rücktritt erklärte, hinterließ er eine große Lücke. Und als schließlich Not am Mann war, da ließ sich der alte Kapitän nicht lange bitten und kam wieder an Bord. " Ich konnte doch nicht zusehen, wie alles den Bach runtergeht ", erklärte er damals lapidar seinen Salto rückwärts.

Alle - auch der " Rückkehrer " selbst - waren glücklich und zufrieden, dass das Ende auf unbestimmte Zeit weggeschoben wurde. Nun, nach einer Saison, in der der SCM das defensivstärkste Team der Liga stellte, ist also der Moment des Abschieds gekommen. Unwiderruflich heißt es : Klappe, Rücktritt, die Zweite.

Doch diesmal, da ist sich Steffen Stiebler sicher, ist es ein Abschied für immer : " Beim Rücktritt vom Rücktritt vor zwei Jahren hatte ich das Gefühl, ich kann der Mannschaft helfen und den jungen Spielern auf ihrem Weg noch etwas mitgeben. Und wir hatten Erfolg, das wog viele Schmerzen und unangenehme Nebengeräusche auf. "

Jetzt sei die Situation eine völlig andere : " Mein Akku ist leer, ich bin müde und fühle mich körperlich und mental ausgepowert. Auch wenn ich mir im Training meine Auszeiten nehmen durfte, ich vielleicht nur noch 60 Prozent mitgemacht habe, so habe ich doch immer versucht, 100 Prozent auf dem Spielfeld zu geben. Das fiel mir aber zuletzt immer schwerer. Wenn man das Gefühl hat, nicht mehr mit dem vollen Herzen und vollem körperlichen Einsatz bei der Sache dabei sein zu können, dann sollte man einen Schlussstrich ziehen. Und das tue ich jetzt. " Ein erneutes Zurück gebe es in seiner Gedankenwelt nicht : " Ich habe den Schritt mittlerweile so verinnerlicht, dass ich ohne wankelmütig zu werden sagen kann : Ich habe fertig. Schluss, aus, vorbei - definitiv. "

Vorbei sind aus Stieblers Sicht auch die Zeiten, in denen ein Spieler – wie er – 20 Jahre ein und demselben Verein angehört. " Man kann schon sagen, dass Handballer wie ich eine aussterbene Art sind. Leider. Heute gibt es in der Liga doch kaum noch einen, der wie ein Holpert, Zerbe, Schwarzer, Kehrmann oder ich über Jahre hinweg einem Verein die Treue gehalten haben. " Der Grund dafür sei die rasant vorangeschrittende Globalisierung des Handball-Systems, glaubt Stiebler. " Ich wusste immer, was ich am SCM hatte und wäre nie auf die Idee gekommen, für 1000 Euro mehr im Monat den Verein zu wechseln. Aber die Zeiten haben sich geändert. Heute ist der Handballsport nur noch Business. Zu jedem Spieler gehört auch ein Spielerberater, der den Markt checkt und das Geschäft wittert. Gerade bei Vereinen, die ganz oben dabei sind und international mitmischen, wird das Legionärsdasein zum Normalfall. "

Der Trend, dass einige Clubs nur noch wegen der Quote ein Eigengewächs oder einen deutschen Spieler in ihren Reihen haben, sei bedenklich und selbstzerstörerisch. " Ich finde das schade, dass alte Traditionen einfach über Bord geworfen werden, denn damit geht die Identifikation der Spieler mit dem Verein mehr und mehr verloren. "

" Ich sehe meine berufliche Zukunft beim SCM "

Dass man sich dieser Entwicklung nicht völlig verschließen kann, weiß Stiebler natürlich. Er will sich den neuen Gegebenheiten stellen – und das nirgend woanders als hier und jetzt : " Ich sehe meine berufliche Zukunft weiter in Magdeburg. Ich möchte mithelfen, das einstige Flaggschiff SCM wieder flott zu machen. "

Doch nicht zuletzt, weil er durch seine zweijährige Tätigkeit im kaufmännischen Bereich der SCM-Geschäftsstelle einen Einblick gewonnen hat, warnt Stiebler davor, Traumschlösser zu bauen : " Sicher wünsche ich mir auch, wieder an alte Erfolge anknüpfen zu können - aber nicht um jeden Preis. Aufgrund der wirtschaftlichen Situation werden wir erst einmal kleinere Brötchen backen müssen. Aber lieber spiele ich mit einer jungen, hungrigen Mannschaft und vielen Eigengewächsen drei, vier Jahre in der zweiten Hälfte der Tabelle, als ein Jahr mit ein paar eingekauften Stars ganz oben – um dann zu merken, ich habe mich übernommen und gehe krachen. "

Steffen Stieblers Herz hängt an dem Verein, und er wünscht sich nichts sehnlicher, als dass er auch die nächsten 20 Jahre beim SCM den Nährboden vorfindet, der seine Visionen vom Profi-Handball der Zukunft wachsen und so gut es geht auch verwirklichen lässt. Optimistisch blickt der " Fels in der Brandung " in die Zukunft : " Es wird immer Handball in Magdeburg geben. Ich sage das aus tiefster Überzeugung, weil über Jahrzehnte hinweg hier viele Ehrenamtliche ihre Zeit für den Verein geopfert haben und sich ihm eng verbunden fühlen. Und auch unsere Sponsoren und Fans – von denen unser Sport lebt – sind verlässliche Säulen. "

Das hätten auch die letzten Wochen und Monate gezeigt, als trotz erneuter Turbulenzen und sportlicher Rückschläge die meisten Anhänger und Förderer weiter zum SCM standen, so Stiebler, der in 20 Jahren vor allem eines gelernt und gelebt hat : " Handball ist Teamwork – stehst du allein auf weiter Flur, bis du verloren. Wir haben nur eine Zukunft, wenn alle Hand in Hand gehen und an einem Strang ziehen. Wenn alle zu uns stehen, die uns bisher die Treue gehalten haben. Gelingt es uns, die Tradition wieder aufleben zu lassen und eine junge Mannschaft auf die Beine zu stellen, die die Leute begeistert und in die Halle holt, dann ist mir um den SCM nicht bange. "