1. Startseite
  2. >
  3. Sport
  4. >
  5. SC Magdeburg
  6. >
  7. Wiegert: "Anstrengend, aber auch lehrreich"

Handball Wiegert: "Anstrengend, aber auch lehrreich"

Die SCM-Handballer haben eine bewegende Hinserie hinter sich. Trainer Bennet Wiegert zog im Volksstimme-Interview eine Zwischenbilanz.

Von Janette Beck 09.01.2017, 00:01

Magdeburg l Die Handballer des SC Magdeburg stehen zur Winterpause auf Platz 6. Trainer Bennet Wiegert ist größtenteils zufrieden.

Wenn Ihnen zum Saisonstart jemand das Angebot gemacht hätte, dass der SCM auf Platz sechs überwintert, hätten Sie sofort unterschrieben?

Bennet Wiegert: Auf Platz sechs zu stehen, punktgleich mit dem Tabellenfünften – ja klar! Aber mit 22:16 Punkten nicht so ganz.

Auch wenn der Weg dorthin sehr steinig war, es zum Start holperte und es auch zwischendurch schwindelerregende Höhen und Tiefen gab?

Natürlich nicht, und vielleicht hätten es auch noch drei, vier Punkte mehr sein können. Aber so was weiß man ja vorher nicht. Gerade zum Saisonstart herrschte Verunsicherung. Es gab viele Fragezeichen, weil die Vorbereitung nicht so lief, wie wir uns das vorgestellt hatten. Wir mussten ohne Spielmacher auskommen, und es fehlten fünf Olympiateilnehmer. Keiner wusste, wie viele Pflichtspiele wir quasi als Vorbereitung benötigen würden, um uns als Mannschaft zu finden.

Größtes Manko ist gleichzeitig ein altbekanntes: Es fehlt die Konstanz. Ein Paradebeispiel ist das Spiel in Kiel: Erste Halbzeit komplett neben der Spur, zweite ein SCM in Bestform. Sehen Sie das ähnlich?

Ja. Es gibt noch zu große Ausschläge. Und ja, die Probleme waren in der Vorsaison die gleichen. Daran wollten wir in der Hinserie verstärkt arbeiten. Vielleicht haben wir uns zu sehr auf das Thema Konstanz versteift. Unterm Strich ist wieder keine Durchgängigkeit gelungen. Es gab Konstanz nur in Intervallen, mal vier Spiele in Folge, dann sieben. Und es gab drei harte Einschläge: Die 24:34-Niederlage in Minden, das 22:37-Heimdebakel gegen Hannover und die erste Hälfte in Kiel.

Dem gegenüber stehen die Highlights: Der höchste Auswärtssieg der Vereinsgeschichte in Coburg (42:27), der Sieg im Kampfspiel gegen Melsungen (27:26) und natürlich der grandiose 35:32-Erfolg gegen die Löwen. Haben Sie inzwischen eine Erklärung für die Ausschläge nach oben und unten?

Sowas ist immer sehr schwer zu analysieren. Wobei ich aber auch sagen muss, solche Niederlagen wie die gegen Hannover sind ja kein Spiegelbild für die Saison. Spiele, wo nichts geht, gibt es vielleicht einmal in zehn Jahren. Dennoch, die Art und Weise, wie wir verloren haben, das hat allen sehr weh getan. Aber wie wir uns da wieder rausgezogen haben, das hat uns als Mannschaft mehr geprägt als die 15 Spiele davor zusammen.

Wo hat Ihre Mannschaft in der Hinserie die größten Fortschritte gemacht?

Unser Tempospiel hat sich enorm entwickelt. Anfangs war das katastrophal: Stabile Abwehr- und Torhüterleistung, dann erste oder zweite Welle – da klappte fast nichts. Ich war erschrocken drüber, wie wir uns präsentiert haben. In den letzten Spielen war es so, wie ich mir das vorstelle: mit Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit nach vorne.

Und wo knirscht noch am meisten Sand im Getriebe?

Wie müssen an unserer Wurfquote arbeiten. Das heißt nicht, dass es immer eine solche sein muss wie in Coburg mit über 80 Prozent. Aber wir sollten ein gewisses Level nicht unterschreiten. Ich denke, da an 50 bis 55 Prozent.

Sie stehen jetzt gut ein Jahr auf der Kommandobrücke bei SCM, was hat Sie am meisten bewegt?

Zunächst einmal muss ich sagen, es war sportlich gesehen das anstrengendste Jahr, das ich je erlebt habe. Aber auch das lehrreichste. Der Höhepunkt schlechthin war der Pokalsieg, der überstrahlt noch immer alles. Aber auch die Heimsiege gegen Kiel und eben die Löwen sind hängengeblieben, ebenso wie das Negativ-Erlebnis, die Niederlage gegen Hannover.

Und wie hat das Jahr Sie persönlich verändert?

Wie gesagt, es war ein lehrreiches Jahr mit vielen schlaflosen Nächten, vor allem nach Niederlagen. Die gegen Hannover war auch die, die mich am Ende am weitesten nach vorn gebracht hat. Ich musste erfahren, dass auf einmal alles auf den Prüfstand kommt, und dass das, was vor drei Monaten noch gut war, plötzlich schlecht sein sollte. Der Schlüssel zum Erfolg war, dass alle im Umfeld ruhig geblieben sind und ich an meinen Plan geglaubt und mit kühlen Kopf und Ruhe weitergemacht habe. Und ich habe gelernt, meine Emotionen besser zu kontrollieren. Anfangs habe ich ganz schön rumgepoltert, da war ich zu authentisch, zu ehrlich. Inzwischen schlucke ich auch mal etwas runter oder schlafe eine Nacht drüber. Doch eine Schwäche habe ich nach wie vor.

Lassen Sie mich raten: Sie können nicht verlieren?

Sagen wir mal so, ich habe immer noch nicht gelernt, richtig mit Niederlagen umzugehen. Vielleicht bin ich überehrgeizig oder übermotiviert, weil ich zu sehr mit dem Herzen dabei bin und immer den maximalen Erfolge will. Niederlagen zermürben und bewegen mich sehr, und die Leidtragenden sind meine Frau und die Familie. Der Familie zuliebe muss ich versuchen, mich etwas zu ändern.

Schauen wir nach vorn: Wo sehen Sie am Ende der Saison die größeren Chancen, sich für den Europacup zu qualifizieren: In der Liga oder im EHF-Cup?

Oh, das ist schwer zu sagen: 60:40. Wäre das Final Four im EHF-Pokal in Magdeburg gewesen, hätte ich gesagt, hier sind die Chancen größer. Aber da das Finale in Göppingen ist, wird es ganz schwer. Da muss an einem Wochenende alles klappen und das Team auf den Punkt fit sein. Nur zwei, drei Verletzte, und es wird eng. Deshalb denke ich, da wir in der Bundesliga über einen längeren Zeitraum bestimmen können, wohin die Reise geht, ist die Chance, uns über Platz fünf zu qualifizieren, größer.

Gegen die Löwen haben Green, Musche, Musa, Damgaard, O‘Sullivan, Christiansen und Weber sowie Lemke als Abwehrchef fast durchgespielt. Dabei sprang die beste Saisonleistung des SCM heraus. War das ein Fingerzeig für die Stammsieben der Rückrunde?

Nein, man sollte da nicht zu viel reininterpretieren. Das kann beim ersten Spiel nach der Winterpause schon wieder ganz anders aussehen. Wenn ich dem einen mehr Verantwortung gebe oder Vertrauen entgegenbringe, spricht das nicht automatisch gegen den anderen. Ich kann versichern, dass ich die Jungs nach besten Wissen und Gewissen einsetze und die in meinen Augen beste Formation spielt. Es geht einfach darum, Spiele zu gewinnen. Da entscheide ich nach Tagesform und Bauchgefühl.

Apropos Bauchgefühl: Grummelt es, wenn Sie an den am 12. Januar beginnenden Trainingsstart denken?

Ja klar, denn es werden uns wieder viele Spieler fehlen, die schon im Sommer keine Grundlagen schaffen konnten, darunter beide Spielmacher. Ich habe einfach Angst, dass sich jemand verletzt, denn auf den einen oder anderen kommt bei der WM eine große Verantwortung und Belastung zu. Ich kann nur hoffen, dass alle gesund heimkehren.

Noch ein Wort zum Nachwuchs. Blutet Ihnen als ehemaliger Nachwuchs-Koordinator und Youngster-Coach nicht das Herz, wenn Sie sehen, dass sich die zweite Mannschaft mitten im Abstiegskampf befindet?

Natürlich, denn ich bin ja nicht weit weg und die Youngsters gehören zu unserem Produkt. Deswegen möchte ich auch noch einmal klar und deutlich sagen: Alle im Verein haben ein hohes Interesse daran, dass die Jungs die Klasse erhalten! Es war uns klar, dass es nach etlichen Abgängen von Leistungsträgern einen Einbruch geben wird. Allein schon aufgrund der Altersstruktur. Sechs oder sieben Spieler sind A-Jugendliche, Jahrgang 98. Dass sie jetzt so unter Druck stehen, tut mir leid. Aber die Youngsters sind und bleiben eine Ausbildungsmannschaft. Und es kommt auch etwas nach, unser Jahrgang 2000, der gerade den Länderpokal gewonnen hat, ist extrem stark. Doch es braucht Zeit, bis diese Jungs Bundesligareife haben.