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Hallenradsport „Radfahren verlernt man nicht“

Was macht die derzeitige Coronakrise mit vermeintlichen Randsportarten? Eine Bestandaufnahme beim RC „All Heil“ Lostau.

Von Björn Richter 03.04.2020, 01:01

Lostau l Inzwischen ist es ruhig geworden in der vereinsinternen WhatsApp-Gruppe. Das sah vor zwei Wochen noch anders aus. Da drohte das Smartphone von Nicky Rogge an jenem Dienstag, 17. März, heißzulaufen. „Wir konnten in dem Moment nicht mehr machen, als die Eltern per Nachricht zu informieren. Wir standen ja aufgrund der dynamischen Entwicklung von heute auf morgen vor einem Sportverbot“, blickt der Vereinsvorsitzende des RC „All Heil“ Lostau zurück.

Seit von der sachsen-anhaltischen Landesregierung die Verordnung zur Eindämmung des Coronavirus‘ ausging, ist auch in der Lostauer Sporthalle das Licht erloschen. Vorerst bis zum 19. April, doch ob die Sportler des RC „All Heil“ dann tatsächlich ihren gewohnten Trainingsbetrieb wieder aufnehmen können, erscheint fraglich. Auch Vereinschef Rogge lässt die Glaskugel lieber in der Vitrine stehen, denn: „Derzeit wissen wir auch nicht viel mehr als das, was im Netz steht.“ Und was in den Posteingang gespült wird. Dort traf am Freitag vergangener Woche ein Schereiben vom Bund Deutscher Radfahrer (BDR) ein. Darin informiert die Kommission Leistungssport Hallenradsport über die Absage der Deutschen U 19-Meisterschaften Anfang Mai im hessischen Wetzlar.

Ob und wann die Meisterschaft, bei der Lostaus amtierende Juniorinnen-Champions Alina Wittig und Lea Lubisch ihren Vorjahrestitel nur allzu gern verteidigt hätten, nachgeholt wird, bleibt ebenso fraglich wie die Austragung der Halbfinalturniere. Diese sind für Sonnabend, 25. April, angesetzt. Aktuell sind die Spiele beider Vorschlussgruppen noch nicht abgesagt, doch das scheint mit geschärftem Blick für die Realität nur eine Formalie zu sein. Schließlich würden die teilnehmenden Duos quasi „aus dem Kalten“, also ohne angemessene Vorbereitung ins Rennen gehen – gesetzt den unwahrscheinlichen Fall, dass die Sporthallen ab dem 19. April wieder ihre Türen öffnen.

BDR und der angeschlossene Landesverband Radsport Sachsen-Anhalt (LVR) fahren dieser Tage wie so viele andere Sportarten terminlich auf Sicht. Lediglich Großveranstaltungen wie Deutsche Meisterschaften oder die U 23-EM im schweizerischen Altdorf (22./23. Mai) wurden bereits vorsorglich abgesagt. „Der Organisationsaufwand bei solch großen Turnieren ist natürlich ungleich höher als bei Ein-Tages-Veranstaltungen. Da geht es auch um wirtschaftliche Belange. Ohnehin dürfte sich die Suche nach Sponsoren schwierig gestalten, wenn die Krise erst einmal ausgestanden ist“, bemerkt Rogge.

Mit dem 20. Altherren-Radballturnier mussten die Lostauer Mitte März selbst einen der Höhepunkte im jährlichen Wettkampfkalender kurzfristig canceln. „Der Aufwand war aber überschaubar. Wir haben glücklicherweise mit dem Caterer eine Lösung gefunden. Die Präsente für die Spieler stehen seitdem bei mir im Keller.“ Auf mittelfristige Sicht fällt zudem der Radpolo-Landespokal der Schülerinnen am 19. April in eigener Halle flach.

Übrig bleiben so in nahezu allen Mannschaften und Altersklassen beim RC „All Heil“ viele Fragezeichen über den Fortgang der Saison. Neben den U 19-Juniorinnen hatten sich mit Paula Rogge und Lotte Eberhardt auch die U 15-Schülerinnen auf der bundesdeutschen Radpolo-Bühne viel vorgenommen. Wie so vieles stehen nun sämtliche Medaillenambitionen in Frage. „Gerade unsere Mädels sind natürlich derzeit sehr traurig. Sowohl für Alina und Lea, wie auch für Paula und Lotte ist es das letzte Jahr in ihrer derzeitigen Altersklasse. Die Chance auf einen Titel ist da natürlich am größten. Daneben ist es auch unter den Radballern für unsere erste Mannschaft problematisch.“

Bekanntlich ist durch den Zeitzer Verzicht die Teilnahme an der Aufstiegsrelegation zur 2. Bundesliga an Denny Schwiesau und Benjamin Biedermann übergegangen. Die Entscheidung, ob die Turniere ebenso wie die abgesagte Landesmeisterschaft der Elite zu einem späteren Zeitpunkt neu angesetzt werden, oder die Saison komplett annulliert wird, steht noch aus.

Über mögliche Auswege „müssen andere kluge Köpfe entscheiden“, so Rogge. Doch Lostaus Vereinschef hat eine präferierte Lösung, um zumindest dem Nachwuchs vielleicht doch noch die Chance zu geben, sich zu beweisen: „Es wäre eine Überlegung wert, etwa die Deutschen Meisterschaften nicht in einem so großen Rahmen aufzuziehen. Warum für die einzelnen Entscheidungen nicht Tagesturniere mit sechs Mannschaften anberaumen? Das hätte den Vorteil, dass Aufwand und Zuschauerzahlen überschaubar blieben.“ Denn auch wenn der Betrieb zu gegebener Zeit wieder anläuft, ist kaum vorhersehbar, wann wieder Sportveranstaltungen vor großer Kulisse stattfinden können. Der Seitenblick auf den Fußball, wo Experten davon ausgehen, dass frühestens zu Beginn des Jahres 2021 wieder 80 000 Menschen ein Stadion bevölkern sollten, um der Virus-Ausbreitung keinen Vorschub zu leisten, verheißt selbst für den bedeutend kleineren Hallenradsport-Zirkus im Land nichts Gutes.

Daneben gestaltet sich die Suche nach Trainingsalternativen in einem Teamsport wie dem Radball und Radpolo schwierig. Laut Rogge sind die Folgen jedoch überschaubar: „Radfahren verlernt man ja nicht. Wer das Abc dieses Sports einmal gelernt hat, ist schnell wieder drin. Maximal leiden ein bisschen das Spielverständnis und die Kondition, aber in dieser Hinsicht ist jeder ohnehin für sich selbst verantwortlich.“ Weil gemeinschaftlicher Sport aber verbindet, bleibt auch bei den Lostauern die fehlende soziale Komponente wohl derzeit der größte Wermutstropfen. „Wirklichen Kontakt zu unseren Mitgliedern gibt es natürlich zur Zeit nicht. Höchstens, wenn man sich zufällig auf der Straße begegnet.“ Oder beim Blick auf das Smartphone.