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Pferdesport Zwei, die sich gesucht und gefunden haben

In den wohl verdienten Ruhestand hat sich Willow verabschiedet.

Von Florian Bortfeldt 26.11.2020, 07:00

Halberstadt l „Tiere waren schon immer meine große Liebe“, beginnt Stefanie Burisch mit ihren Erinnerungen. „Als kleines Kind hatte ich bereits Katzen, Kaninchen, Wellensittiche und auch einen Hund.“ Bei Stadt- oder Volksfesten durfte es dann auch schon mal auf einem Pony etwas höher hinaus gehen.

Willow hat vier Beine, einen prächtigen Schweif und ist ein Schimmel. Auf seinem Rücken nahm in 17 gemeinsamen Turnierjahren Stefanie Burisch aus Halberstadt Platz. Die Geschichte einer tiefen Freundschaft.

„Tiere waren schon immer meine große Liebe“, beginnt Stefanie Burisch mit ihren Erinnerungen. „Als kleines Kind hatte ich bereits Katzen, Kaninchen, Wellensittiche und auch einen Hund.“ Bei Stadt- oder Volksfesten durfte es dann auch schon mal auf einem Pony etwas höher hinaus gehen.

„Schuld“ an der Liebe zu den Pferden war eine Klassenfahrt in der 5. Klasse. Es ging auf einen Reiterhof bei Seesen (Niedersachsen). „Ich war damals zehn Jahre alt. Als wir zurück waren, ging ich mit drei Freundinnen auf das Spiegelsbergengut in Halberstadt. Dort wurde ich Mitglied im Reit- und Fahrverein Halberstadt Spiegelsberge e. V. Die noch kleine Stefanie lernte hier das Pferde-Einmaleins. Es eröffneten sich Möglichkeiten, die ersten Turniererfahrungen in Kinderprüfungen bis hin zu Spring- und Dressurprüfungen der Klasse A zu sammeln.

Andere Hobbys wie das Gitarrespielen mussten fortan zurückstecken. Ab sofort wurde viel Zeit bei den Pferden verbracht. Wichtiger als die Vierbeiner waren nur große Klassenarbeiten und Familiengeburtstage. „Da blieb ich schweren Herzens einen Tag fern“, so die 34-Jährige. Von da an wurde auch ihr Ziel immer konkreter: Gute Schulnoten waren unerlässlich, um später eigenes Geld zu bekommen, damit sich der Traum vom eigenen Pferd erfüllen konnte. Die Worte ihrer Mutti Heidi hat Burisch dazu noch heute klar vor sich: „Ein Pferd kaufen ist das eine, aber jeden Monat die laufenden Kosten tragen das andere.“ So wurde schon während der Schulzeit das Taschengeld für Reitzubehör aufgebessert, zum Beispiel beim Verkauf alter Spielsachen auf Flohmärkten.

2002 beendete sie erfolgreich die Schullaufbahn mit dem erweiterten Realschulabschluss und begann eine Ausbildung bei der Stadt Halberstadt zur Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste im Bereich Bibliothek. „Dies war der Startschuss für die aktive Suche nach einem eigenen Pferd, da es mir nun möglich war, die laufenden Kosten zu zahlen“, erinnert sich Burisch.

Im Dezember des Jahres sollte in der Nähe Oldenburgs das erste Pferd näher kennengelernt werden. Schnee und Eisglätte machten dem einen Strich durch die Rechnung. Auf der Hälfte der Strecke musste Familie Burisch umkehren.

Der zweite Anlauf führte nach Buckau bei Ziesar. Dort war ein 7-jähriger Hannoveraner Schimmelwallach annonciert. Beim Eintreffen auf dem Gestüt der Familie Rathke war Burisch aufgeregt. „‚Mein eigenes Pferd‘, dieser Gedanke war unbeschreiblich.“ Was folgte, war Liebe auf den ersten Blick. „Aber vorerst musste ich Willow natürlich ‚ausprobieren‘. Er wurde mir zuerst vom Besitzer vorgeritten. Anschließend versuchte ich mein Können unter Beweis zu stellen, aber das war leichter gesagt als getan. Willow schien mit allem ausgestattet zu sein, außer einer ‚Bremse“, so die Reiterin. Trainerin Marion Bartels rief damals von außen: „Buri, durchparieren. Halt ihn doch an!“ Sie schlug die Hände über den Kopf zusammen: „Die reitet nicht bei mir Unterricht.“

Irgendwann gelang es Burisch Willow einen Gang zurück zu schalten. Sein Temperament gefiel ihr. Bei den ersten Springversuchen lief es auch besser. Mutter Burisch war sehr verunsichert, Tochter Burisch voller Euphorie. Es wurde noch nichts entschieden. Die Mama hatte Zweifel. „Ich aber schwebte auf Wolke 7.“ Ein Kindheitstraum, mit viel Fleiß erarbeitet, wurde wahr. Am 17. Januar 2003 bestand Willow die Ankaufsuntersuchung beim Tierarzt und war ab sofort in Burischs Besitz.

Eine Schrecksekunde sollte es gleich zu Beginn trotzdem geben. Bei der ersten Springstunde in der heimischen Reithalle stürzte das neue Reiter-Pferd-Paar nach einem Hindernis. Beide kamen zum Glück mit dem Schrecken davon.

Dann ging es los. Schon in der ersten Turniersaison schafften sie gemeinsam auf Grund zahlreicher Platzierungen und Siege den Sprung von der Klasse A (Anfänger) bis zur mittelschweren Klasse M.

Mama Burisch hörte man in diesen Tagen oft wehmütig zu Willow sagen „Und ich habe dich nicht gewollt.“ Mittlerweile war sie komplett umgestimmt.

„Wir hatten uns eben gesucht und gefunden. Kaum ein anderer vom Reiterhof wollte ihn freiwillig reiten, weil er doch sehr speziell war“, blickt die Halberstädterin zurück. Genau das war es, was ihr an ihm gefiel. Eigensinnig, durchgeknallt und immer mit Vollgas auf die Hindernisse zu – egal wie hoch und tief.

In 17 gemeinsamen Turnierjahren wurden rund 250 Platzierungen von Klasse A bis M erritten, darunter 60 Siege. Beide starteten auch in Springprüfungen der schweren Klasse (S*). Jedoch immer ohne Platzierung.

Willow und „Buri“ hatten sich aber bereits auf ein anderes Spezialgebiet eingeschossen - dem „Harzer Springderby“, welches ab 2003 jährlich auf dem Sternwarte-Reitplatz ausgetragen wurde und ein hohes Maß an Training und Disziplin abverlangte. Die Besonderheit dieser Springprüfung: Beim Parcours gibt es nicht nur Stangen, sondern auch diverse Naturhindernisse. In Halberstadt wurde eine abgespeckte Form in der Klasse L entworfen, bei der sie mit Willow erstmalig 2004 an den Start ging. In neun Jahren konnten sie sich fünf Mal als Derbysieger feiern lassen (2004, 2005, 2008, 2011, 2012). 2009 und 2010 reichte es für Platz zwei.

Weitere große Erfolge waren Rangierungen bei den Landesmeisterschaften der Junioren und Jungen Reiter, Kreispokalsieger und Kreismeister des Landkreises Harz sowie Sieger im Drei-Länder-Cup 2014 der Bundesländer Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Hessen und im Vier-Länder Cup (+ Thüringen) im Jahr 2015.

Während viele Turnierreiter meist mit mehr als nur einem Pferd an den Start gingen, um sich in die Platzierungen zu reiten, hatten die beiden immer nur eine Chance. Trotzdem reichte es oft, um die Prüfung für sich zu entscheiden oder zumindest gut platziert zu sein.

Es gab auch andere Zeiten, mit viel Ängsten und Sorgen um Willow, da auch Klinikaufenthalte auf Grund von Koliken die beiden begleiteten. Es ging immer gut aus.

Ab Willows 18. Lebensjahr änderte Burisch ihre Devise: nur noch bis Klasse L reiten, um ihn noch viele Jahre mit Spaß am Springen bei Laune zu halten. „Und dies war, wie ich rückblickend beurteilen kann, wohl die beste Entscheidung für seine kommenden Jahre.“

Viel Freude bereitete der Umstand, dass Willow das bis dahin für unmöglich gehaltene möglich machte, in dem er es zuließ, Burischs Tochter Ruby auf sich reiten zu lassen. „Ohne, dass ich Angst haben musste. Mit ihren dreieinhalb Jahren sitzt sie mittlerweile schon wie eine große Reiterin auf ihm und würde am liebsten mit ihm springen und galoppieren.“

Willow ist nun stolze 25 Jahre alt. Einige Jahre hielten die beiden die Altersspitze in jedem Parcours. Das sahen nicht alle Pferdesportler ohne Kritik. „Es muss doch mal genug sein.“ - „Sie kann ihn doch längst auf die Wiese stellen, damit er seine Rente bekommt.“, waren Meinungen, die sie oft hörte. „Das hat mich sehr traurig gemacht, weil ich immer genau wusste, dass ich mein ‚Seelenpferd‘ niemals dazu zwingen würde, mit mir noch über die Hindernisse zu fliegen. Er selbst hat mich Jahr für Jahr immer wieder motiviert und mir gezeigt, dass er trotz seines hohen Alters die Lust am Springen nie verloren hat. Ganz im Gegenteil. Ich merkte ihm förmlich an, dass er unzufrieden war, wenn wir den Reitplatz verließen, ohne einen Sprung gemacht zu haben.“

Aufgrund Burischs Schwangerschaft hatte Willow von Herbst 2016 bis Frühjahr 2017 eine Art Springzwangspause, die auch davon begleitet wurde, dass er sich vor Langeweile eine Verletzung auf der Koppel zuzog. Diese verheilte langsam, aber sehr gut. Als Burisch im April 2017 wieder mit dem Reiten begann, war ihr klar, dass Willow mehr wollte, als normales Reiten. Also wagten beide springtechnisch wieder einen Anfang und es war, als hätte es nie eine Pause gegeben. Sechs Wochen später startete das Gespann wieder auf einem Turnier und war auf Anhieb in A und L platziert.

Am Ende einer Turniersaison auf die nächste angesprochen, antwortete die 34-Jährige meist: „Warten wir ab, was die Winterpause bringt und schauen, wie er im nächsten Frühjahr drauf ist.“ Ihr Gefühl gab ihr keine Zweifel daran, weiter machen zu können, wenn es keine Gründe als sein Alter gab.

Abgesehen von den Skeptikern gab es aber auch jede Menge Mitmenschen, die sie in der Art und Weise, wie sie Willow von Jahr zu Jahr schonend trainierte, unterstützten. Burisch vertrat ihre Meinung, war damit aber nicht allein. „Nur, weil man nicht mehr der Norm entspricht und man kaum ein Pferd Ü20 auf Turnieren sieht, soll man alles verändern? – Nein!“

Doch dieses Jahr, geprägt durch Corona, hat im Reitsport viel verändert. Da Turnierveranstaltungen reihenweise abgesagt wurden, kam bei Willow eine gewisse Müdigkeit auf. Zudem machte ihm ein Husten lange Zeit zu schaffen, so dass Burisch ihn reittechnisch nur etwas in Kondition halten wollte, ohne dabei zu viel zu beanspruchen. „Sein gesundheitlicher Zustand besserte sich und wir wagten wieder ein paar Sprünge. Wie immer war er dabei voll in seiner Welt und zeigte keine Schwächen.“

Ihr Gefühl sagte ihr trotzdem, dass es nun wohl an der Zeit sein würde, dem Turniersport den Rücken zuzukehren. „Da ich mich all die Jahre auf dieses Gefühl verlassen konnte, entschloss ich mich dazu Willow noch in diesem Jahr letztmalig auf Turnier vorzustellen.“

Am 20. September war es soweit. In Wernigerode setzte sich Stefanie Burisch zur 2-Phasen-Springprüfung Klasse A** in den Sattel ihres treuen Sportgefährten, um mit ihm die letzte Runde im Springparcours auf einem Turnierplatz zu drehen. Die Halberstädterin: „Vorausgegangen war eine schlaflose Nacht voller Aufregung, Traurigkeit, aber auch Stolz. Fragen über Fragen. Sollte dies das Ende der vielen Erfolgsjahre sein?!“ Ihr Gefühl bestätigte immer wieder „ja“.

Das letzte Springen mit 28 Teilnehmern endete mit einem Null-Fehler-Ritt, in der beide bis zum vorletzten Reiter die Führung hielten. Am Ende reichte es „nur“ für Platz zwei. Willow hatte noch mal alles gegeben. Noch besonderer wurde der Tag, da Tochter Ruby am Nachmittag mit ihm in ihrer ersten Prüfung, der Führzügelklasse, startete. Stolz berichtet Burisch: „Er benahm sich sehr in dieser Kinderprüfung. Nie im Leben hätte ich mir das vor ein paar Jahren erträumen lassen.“

Bei der Siegerehrung wartete eine Überraschung. Das Reiter-Pferd-Paar wurde vor dem Publikum geehrt. Organisiert wurde dies von den Vereinskameraden*innen sowie Mutti Heidi, die immer an der Seite der Zwei stand. Viele Tränen liefen, und das nicht nur bei der Protagonistin. „Ich war völlig überwältigt von der Anzahl derer, die mir von ihrer Verbundenheit zu Willow und mir erzählten, da wir über die Jahre für einige zu einem richtigen Vorbild herangewachsen sind.“ Burisch richtet großen Dank an alle, die dazu beigetragen haben, dass dieser sehr bewegende Tag unvergessen bleibt, und auch an die, die sie all die Jahre begleitet und unterstützt haben.

Nun hofft die 34-Jährige auf weitere gesunde Jahre mit Willow, der ab jetzt seine Rente als Freizeitpferd genießt. „Natürlich darf er hin und wieder auch mal einen Sprung machen und hoffentlich beschert er meiner Tochter noch viele tolle Momente, von denen kleine Mädchen sonst nur träumen können.“