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Schach Ein Virus namens Schach

Trotz gesundheitlicher Probleme hat der 68-jährige Volker-Michael Anton die Liebe zum Schach nie verloren.

Von Dennis Uhlemann 28.04.2020, 05:17

Magdeburg l „Kein Tach ohne Schach“, bringt Volker-Michael Anton schmunzelnd über die Lippen. Über den Reim, der sein Leben ziemlich passend beschreibt, musste der Fernschach-Weltmeister nicht lange nachdenken. Er kam ganz spontan, die Magdeburger Mundart des Fermerslebers tat ihr Übriges. Ebenfalls ziemlich schlagfertig stellte er einen zur Corona-Pandemie passenden Vergleich auf: „Schach ist wie ein Virus. Wenn man sich einmal damit infiziert, wird man es nicht mehr los.“

Was er meint? Der Denksport ist „nach wie vor ein wesentlicher Teil meines Lebens“, berichtet der 68-Jährige. „Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht Schach spiele. Meist zwei Stunden, manchmal auch drei.“ Und das trotz „großer gesundheitlicher Probleme“.

Anton leidet an Muskelschwund, ist seit seinem 14. Lebensjahr an den Rollstuhl gefesselt. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Krankheit noch einmal verschlimmert. Sechsmal am Tag bekommt der ehemalige Bankkaufmann Besuch vom Pflegedienst, könnte „ohne diese Hilfe mein Leben gar nicht mehr bewerkstelligen“, wie er sagt.

Doch zwischen den Besuchen sitzt er eben gern noch vor dem Computer. Am Brett spielt er aufgrund seiner Krankheit schon lange nicht mehr. Er verfolgt das weltweite Schachgeschehen, hat online selbst Partien laufen mit Gegnern, die auf dem kompletten Globus verteilt sind. „Mal intensiver, mal weniger“ beschäftigt er sich mit seinem größten Hobby und bewegt die virtuellen Bauern, Springer und Läufer. Er weiß: „Meine aktive Zeit ist längst vorbei.“ Diese erfordere zu viel Konzentration und auch Kondition, die der Rentner nicht mehr aufbringen kann.

Woran er sich aber erinnern kann, ist eine Karriere, die im Fernschach ihresgleichen sucht. Fernschach, ein Metier im Bereich des Strategiespiels, das aufgrund seiner Krankheit wie für Anton gemacht war. Große Reisen waren dem Magdeburger nie möglich. Partien, die aber – erst postalisch, dann auch online – über Wochen, Monate oder sogar Jahre ausgetragen werden, schon.

Gekommen ist er dazu übrigens durch die Volksstimme. 1967 stieß der damals 16-Jährige, der die Grundlagen des königlichen Spiels mit elf Jahren von seinem Vater lernte, auf einen Artikel mit der Ausschreibung zur Bezirksmeisterschaft der Männer im Fernschach. Als Jugendlicher sicherte er sich dabei direkt den Vizetitel. Der Grundstein für eine erfolgreiche Karriere.

Denn während seine progressive Krankheit ihn mehr und mehr einschränkte, machte er sich in Schachkreisen einen immer größeren Namen. 1980 wurde er Mitglied der DDR-Auswahl, sieben Jahre später schon internationaler Großmeister. Ab 1993 zählte er zur Weltauswahl. Über die Schachwelt hinaus bekannt wurde er dann zwei Jahre später, ausgerechnet durch einen dritten Platz. Denn er gewann mit der Nationalmannschaft bei der X. Fernschach-Olympiade Bronze – für die DDR. Der vor der Wende begonnene Wettkampf endete erst 1995. Es war das allerletzte Edelmetall für den längst nicht mehr existierenden Staat.

Das Jahr 2001 beschreibt der bescheidene Schnauzbart-Träger heute – mit etwas Stolz in der Stimme – als „Höhepunkt meines Schaffens“. Er gewann in diesem Jahr das stärkste Fernschach-Turnier der Welt, das Massow-Memorial. Die Partien dieses Turniers hat er – gepaart mit vielen interessanten Geschichten – in dem Buch „Gladiatoren ante Portas“ zusammengefasst, das 2003 erschien.

Doch er ist nicht nur Autor. Sein Name steht auch regelmäßig in der Zeitung. Denn die Anfänge seiner Weltkarriere fußen nicht nur auf der Volksstimme, Anton gibt der Tageszeitung auch bis heute einiges zurück. Nach wie vor, und mittlerweile seit fast 40 Jahren, kümmert er sich im Wochenend-Magazin um die „Schachecke“. 1981 erschien sein erstes Rätsel, mittlerweile sind es fast 1500 an der Zahl. Ideen für die Rätsel hat er nach wie vor, Freude am Erstellen ebenfalls. „Man muss die richtige Synthese zwischen Schwierigkeitsgrad und Lösbarkeit finden. Das macht auf jeden Fall viel Spaß.“

Das sind die kleinen Freuden in einem ohne Frage eingeschränkten Leben, das Volker-Michael Anton führt. Er kennt die „Gefangenschaft“ in der eigenen Wohnung und die Schutzmasken schon viel länger, als sie die Gesellschaft in diesen Tagen beschäftigen. In der heutigen Zeit muss auch er aber noch vorsichtiger sein als ohnehin. Das Coronavirus beschäftigt ihn.

Ein Virus aber noch viel mehr: Schach.