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Fußball „Umweg“ verbunden mit großem Ziel

Stendaler Niklas Tille ist Kapitän bei der Reserve der Hansa-Kogge und hofft auf den Sprung in den Profifußball.

Von Florian Schulz 06.02.2016, 04:00

Stendal/Rostock l Der FC Hansa Rostock war und ist nach wie vor einer der erfolgreichsten und populärsten Vereine im ostdeutschen Fußball. Wobei der Erfolg an der Küste sich in letzter Zeit etwas in Grenzen hielt. Mittlerweile kämpfen die Hanseaten gar um den Verbleib in der 3. Liga. Diesen Kampf würde auch gern der gebürtige Stendaler Niklas Tille aufnehmen, der aktuell die zweite Hansa-Mannschaft in der Oberliga als Kapitän auf das Feld führt.

Abstiegskampf? Das ist für Niklas Tille, gerade erst 21 Jahre alt geworden, genau genommen ein Fremdwort. Der in Stendal geborene Verteidiger ist mit der A-Jugend des VfL Wolfsburg bereits Deutscher Meister geworden und spielt auch aktuell mit der zweiten Vertretung des FC Hansa Rostock in der Oberliga Nord um den Aufstieg in die Regionalliga mit. Allerdings träumt der junge Altmärker nach wie vor vom Profigeschäft. In diesem befindet sich unter anderem auch die erste Rostocker Mannschaft. Doch die Elf von Trainer Christian Brand muss um die Drittklassigkeit bangen, belegt sie doch aktuell einen Abstiegsplatz.

Schon bevor ihn seine Eltern mit gerade einmal sieben Jahren in der F-Jugend des FSV Lok Altmark Stendal, wo Trainer Albrecht Strohmeyer als Trainer das Sagen hatte, anmeldeten, hatte sich Niklas Tille bereits ausgiebig mit dem runden Leder auseinandergesetzt. Mit seinem Vater Volker kickte der junge Stendaler bereits nach den ersten erfolgreichen Gehversuchen auf dem heimischen Hof – getreu dem Motto: Nur der frühe Vogel fängt den Wurm. „Seitdem ich laufen konnte, habe ich eigentlich schon immer gegen den Ball gekickt“, erzählt der Youngster selbst. Der erarbeitete sich in Stendal schnell seinen Stammplatz in der Verteidigung – als Rechtsfuß zumeist auch auf der rechten Seite. Neben mehreren Kreismeisterschaften freute sich Niklas, der damals noch genau wie sein Senior dem Rekordmeister FC Bayern München die Daumen drückte, mit den Eisenbahnern auch über zwei Landesmeisterschaften. „Mich hat eigentlich schon immer der Kampf ausgezeichnet“, verrät der 21-Jährige. Auf dem Platz fiel er zudem durch seine Schnelligkeit und Technik auf. So wurden auch schnell andere, größere Vereine auf das Lok-Talent aufmerksam. In Stendal genoss der Defensivakteur eine gute Ausbildung und ist dafür nach wie vor dankbar. „Bei Lok habe ich meine ersten Schritte gemacht. Ich verfolge die Ergebnisse aufgrund meiner alten Freunde noch immer und hoffe, dass die Herren in Zukunft aufsteigen“, so der Youngster.

Wirklichen Einblick ins fußballerische Leben in seiner Heimatstadt hat Niklas Tille allerdings nicht mehr. „Der Verein hat viele talentierte Spieler und eine sehr gute Sportanlage“, schwärmt Tille jedoch vom 1. FC Lok Stendal. Die aktuelle Männermannschaft, die unter der Leitung von Trainer Sven Körner in der Verbandsliga spielt, kann das Talent allerdings schwer einschätzen. Niklas ist zu selten in der Heimat, um sich in den Pflichtspielen ein Bild von der Truppe um Kapitän Philipp Groß zu machen. In sportlicher Hinsicht verließ Niklas Tille den 1. FC Lok bereits im Januar 2007. Durch die Kooperation mit dem VfL Wolfsburg leiteten deren Nachwuchstrainer einmal wöchentlich Trainingseinheiten in der Rolandstadt. Genau wie sein Kumpel Paul Seguin, mittlerweile Profi beim VfL, fiel Niklas besonders auf und wurde daher in Wolfsburg auf den Prüfstand gestellt. Noch als Spieler des 1. FC Lok Stendal nahm Tille genau wie Seguin mit Gastspielgenehmigung mit dem VfL Wolfsburg an Turnieren teil. Der Trainer der damaligen U12 (D-Jugend), Dirk Stammann, war vom Duo aus der Altmark schnell überzeugt und wollte es unbedingt in seinem Kader in der Autostadt haben. Auch der 1. FC Magdeburg war interessiert. „Dort musste man das Internat allerdings selbst bezahlen. In Wolfsburg haben wir die Fahrtkosten erstattet bekommen, außerdem wollte ich die Chance nutzen, zu einem Bundesligisten zu wechseln. Davon träumt wohl schließlich jeder Junge“, erzählt der 21-Jährige.

Zusammen mit seinem gleichaltrigen Freund und Teamkameraden Paul Seguin pendelte Niklas Tille, der das Hildebrand-Gymnasium besuchte, jeden Tag unmittelbar nach Schulschluss mit dem Zug zwischen Stendal und Wolfsburg, um an den Trainingseinheiten teilzunehmen. Selbst beim VfL machte sich Tille schnell einen Namen und erarbeitete sich auch dort einen Platz auf der rechten Seite in der Abwehr oder auch in der Innenverteidigung. Mit der U19 der VW-Städter, trainiert von Dirk Kunert, wurde der Stendaler 2013 sogar Deutscher Meister. Traurig für den Youngster: Im großen Finale konnte er selbst nicht mitmischen. „Ich hatte mir sechs Monate zuvor einen Kreuzbandriss zugezogen und befand mich zu diesem Zeitpunkt im Aufbautraining“, erinnert sich der ehrgeizige Altmärker mit gemischten Gefühlen zurück. Mit dem ältesten Wolfsburger Nachwuchs spielte der Youngster unter anderem gegen den FC Barcelona und Tottenham Hotspur. „Vor allem das Spiel gegen Barcelona war schon besonders. Das wird man natürlich nicht vergessen“, erklärt Niklas. Der ist durchaus begeistert von der Nachwuchsarbeit beim VfL. „Dass sie gut ist, sieht man eigentlich schon an den Ergebnissen. Die Jugendteams sind eigentlich immer oben dabei“, so der 21-Jährige. Er selbst war mit den Trainingsbedingungen in der Autostadt („Sowohl im Sommer als auch im Winter“) stets zufrieden, hatte den Verein längst tief ins Herz geschlossen, doch irgendwann trennten sich die Wege dann doch. Während sein Freund Paul Seguin („Er gehört nach einer ganz starken A-Jugend-Saison zu Recht zum Profikader und ich hoffe, dass er bald seine Chance bekommt“) dem VfL treu blieb, wechselte der Verteidiger im Sommer 2014 zum FC Hansa Rostock.

„Der Kreuzbandriss zog leider immer wieder kleinere Verletzungen nach sich und ich konnte nicht mehr an die Zeit davor anknüpfen“, verrät Niklas Tille. Die zweite Mannschaft der „Wölfe“ spielte zudem zum Zeitpunkt der Verhandlungen um den Aufstieg in die 3. Liga („Man hatte damit bereits geplant“) mit. „Dafür hätte meine Leistung nicht ganz gereicht“, erklärt der Stendaler. Was nun? Tille ging den sicheren Weg und kam durch seine Berater Björn Schultz und Marko Rehmer, ehemaliger Nationalspieler mit FCH-Vergangenheit, zu Gesprächen mit den Hanseaten aus Rostock. „Wir waren und sind nach wie vor der Meinung, dass man auch über ‚Umwege‘ in den Profibereich kommen kann“, erzählt der 21-Jährige. Der verfolgt noch immer das große Ziel, ganz nach oben zu gelangen. Vielleicht klappt es nun beim FC Hansa Rostock, wo er sich zunächst vorgenommen hat, in der Reservemannschaft „gute Leistungen“ abzuliefern. „Da die Profis aber in dieser und auch in der letzten Saison fast nur gegen den Abstieg gespielt haben, ist es für junge Spieler wie mich schwer, eine Chance zu bekommen“, weiß der Altmärker. Um allerdings fleißig für sein großes Ziel – das Oberhaus – trainieren und schuften zu können, hat sich Tille nebenbei „nur“ einen Job als Pizzabote gesucht. „Zweimal wöchentlich haben wir Frühtraining. Anschließend geht es zur Arbeit, dann wieder auf den Trainingsplatz“, verrät der Youngster. Nach den Nachmittagseinheiten bleibt Niklas am Abend in seiner Wohnung nur wenig Zeit zur Regeneration.

Auch wenn sich Namen wie „Oberliga“ oder „fünfte Liga“ erst einmal abgedroschen anhören, so ist Niklas Tille überrascht, wie es dort zur Sache geht. „Der Unterschied zwischen A-Jugend-Bundesliga und Männer-Oberliga ist groß“, erklärt der 21-Jährige. Schließlich geht in letztgenannter Spielklasse „viel über den Kampf“. Die Umstellung auf den Herrenbereich („Es wird sehr körperbetont gespielt“) brauchte Zeit, doch mittlerweile hat sich Tille bestens eingewöhnt. „Es läuft erstaunlich gut. Und das, obwohl wir eine jüngere Mannschaft als in der letzten Saison haben und eine U21 sind. Wir liegen auf Platz drei und nur zwei Punkte hinter dem Tabellenführer, stellen zudem die beste Abwehr der Liga“, staunt der gebürtige Stendaler. Der gehört in der Truppe von Trainer Roland Kroos – Vater der Profis Toni (Real Madrid) und Felix (1. FC Union Berlin) – zu den absoluten Leistungsträgern und ist von seinem Vorgesetzten gar zum Kapitän ernannt worden. „Das ist ein Zeichen und eine große Ehre für mich“, erklärt der Außen- und Innenverteidiger. Der fügt selbstbewusst an: „Ich habe in dieser Saison einen großen Schritt nach vorn gemacht und hoffe demnächst auch auf eine Chance bei den Profis.“ Niklas Tille möchte mithelfen, die Hansa-Kogge wieder auf Kurs zu bringen. „Dort, wo der FCH aktuell steht, gehört er definitiv nicht hin. Das Stadion, die Trainingsanlage und vor allem die Fans sind mindestens zweitligareif“, schwärmt der 21-Jährige, der hofft, dass sich die Profis um Trainer Christian Brand schnellstmöglich aus dem Tabellenkeller befreien und die Spielzeit in ruhigerem Fahrwasser fortführen können.

Zumindest Drittliga-Fußball soll an der Ostsee nämlich auch weiterhin gespielt werden. Niklas Tille outet sich durchaus als „Fan“ dieser Spielklasse. „Gerade die Ostderbys würden mich persönlich sehr reizen. Man sieht ja, was dort immer los ist“, verrät der Youngster mit Blick auf die großen Emotionen auf und neben dem Platz. Gerade Dynamo Dresden und der 1. FC Magdeburg hätten ein „riesiges Fanpotenzial“, wie der Stendaler erklärt. Insbesondere für den FCM freut sich Tille, dass er als Neuling die Liga auf- und weit oben in der Tabelle mitmischt. „Mich freut es allgemein, dass die Ostklubs so weit oben stehen. Leider gibt es in den beiden obersten Ligen noch zu wenig davon. Doch wie der FCM als Aufsteiger bisher abschneidet, ist schon sehr beachtlich“, so der Altmärker. Der traut den Landeshauptstädtern um Trainer Jens Härtel durchaus noch mehr zu: „Wer weiß, wo sie am Ende stehen werden, wenn sie die Euphorie weiter mitnehmen.“ Ein späteres Engagement in Magdeburg schließt der 21-Jährige nicht aus. „Der FCM ist schon ein Verein, den ich sehr mag, gerade weil Magdeburg nicht weit entfernt von meiner Heimat ist“, erklärt Niklas. Doch zunächst konzentriert sich der Defensivakteur voll und ganz auf den FC Hansa. „Ich habe erst einmal noch einen Vertrag bis zum Sommer und hoffe, dass ich mich bis dahin für die Profis empfehlen kann“, hat der Youngster die Hoffnung auf den großen Sprung längst noch nicht aufgegeben.

Eher selten zieht es Niklas Tille momentan in seine Heimatstadt Stendal. Im Schnitt zweimal pro Monat ist der junge Fußballer – abhängig vom Spiel- und Trainingsplan – zu Besuch in der Altmark. „Ich freue mich natürlich immer, meine Freunde und meine Familie wiederzusehen, doch ich freue mich genauso, wenn ich wieder nach Rostock fahre“, erklärt das Talent, das seinen Eltern („Sie unterstützen mich in jeder Form“) noch einmal einen besonderen Dank ausspricht. „Wenn ich zu Hause bin, lasse ich mich eigentlich zunächst immer lecker bekochen, doch meine Freunde kommen natürlich nicht zu kurz. Auch mit ihnen verbringe ich viel Zeit“, verrät Tille. Ob es ihn auch sportlich noch einmal in die Altmark verschlägt, vermag der Verteidiger nicht vorauszusagen. „Zurzeit kann ich es mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, doch wenn ich den Sprung ins Profigeschäft doch nicht schaffen sollte, wäre das sicherlich irgendwann schon möglich“, so Niklas. Der Fußballer mit Herz möchte dieser Sportart möglichst auch nach seiner aktiven Laufbahn, in der er noch viel vorhat, treu bleiben. „In welcher Funktion, weiß ich selbst noch nicht“, so der 21-Jährige. Vielleicht wird es sogar eine interessante Aufgabe bei seinem Heimatverein 1. FC Lok Stendal sein.