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Radsport Radsport-Boom zur Jahrhundertwende

Viele Sportvereine haben eine lange Tradition. Manche Clubs ändern ihren Namen, andere verschwinden ganz von der Bildfläche.

Von Marco Heide 13.07.2019, 08:00

Salzwedel l Die Volksstimme widmet sich in der Serie „Vereine, die es einmal gab“ denen, die heute so nicht mehr existieren.

Seit einigen Jahren rückt der Radsport in Salzwedel durch die Renntage im Mai wieder stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. Allerdings gibt es aktuell keinen Radfahrerverein in der Stadt. Das war vor etwa 120 Jahren ganz anders.

Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert finden sich im Salzwedeler Stadtarchiv Belege für die Existenz von sechs Radfahrervereinen in der Hansestadt. Dieser Trend setzte mit der Gründung des ersten Clubs, dem RFV Salzwedel von 1885 ein. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Fahrrad in seiner heutigen Form entwickelt und erreichte damit auch eine immer breitere Masse. Vorläufer, wie das Hochrad, waren gefährlicher oder schlechter zu fahren als das Zweirad mit Diamantrahmen und Kettenübersetzung.

In Zeiten, in denen Autos nur selten über die Straßen fuhren, nutzten die Salzwedeler die freien Chausseen, um diesen Radsport zu betreiben und Rennen zu fahren. Das Salzwedeler Wochenblatt berichtete am 24. August 1897 über eine Wettfahrt des Radfahrer-Vereins von 1885. Im Rahmen des Sommerfestes der Sportler im Bürgerholz bei Hoyersburg gingen die Rennen über die Distanzen von 1000 und 2700 Meter. Dazu absolvierten die Männer ein Vorgabefahren über 1600 Meter. Die 1000-Meter-Strecke legte damals Herr C. Menzel in 1,32 Minuten zurück. Das entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von knapp 40 Stundenkilometern.

Eine Disziplin, die bei modernen Radrennen nicht mehr ausgetragen wird, ist das Ringstechen. Dieses sorgte 1897 beim Sommerfest für viel Heiterkeit, schreibt das Salzwedeler Wochenblatt. Herr O. Brüder traf mit der Lanze in der Hand auf seinem Drahtesel sitzend vier Ringe.

Während bei dem Wettstreit in Hoyersburg offensichtlich der Spaß im Vordergrund stand, ging es beim ersten Rennen des Radfahrer-Vereins „Adler“ Salzwedel schon sportlicher zur Sache. Wie die Salzwedel Gardeleger Zeitung berichtete, veranstaltete der erst kürzlich gegründete Club am 6. Juni 1898 eine Wettfahrt zwischen der Hansestadt und Pretzier. Es ging über 2, 6 und 13 Kilometer. Neben Mitgliedern des gastgebenden Vereins starteten auch Fahrer des RV „Wanderlust 1898 Salzwedel“ und auswärtige Sportler.

Genannt werden ein Herr Pieper aus Magdeburg und ein Holländer namens Karpentier, der zu dieser Zeit in Beetzendorf weilte. Der Artikel über dieses Rennen gibt einen kleinen Einblick, mit welchen Problemen die Radsport-Pioniere zu kämpfen hatten. So musste die Wettfahrt über sechs Kilometer neu gestartet werden, weil ein Wagen die Strecke blockierte. Auch über einige Stürze und aufgrund der Hitze geplatzte „Pneumatiks“, also Reifen, die die Fahrer zu straff aufgepumpt hatten, schrieb der Reporter.

Im Mai 1908 feierte der RV „Wanderlust“ sein zehnjähriges Bestehen und richtete gleichzeitig das Bezirksfest der Radsportler des Bezirkes Westaltmark aus. Unter den Gästen befanden sich zahlreiche Vereine, die mittlerweile von der Bildfläche verschwunden sind. RV Schwalbe-Stendal, RV Wandlust Osterburg, RV Geradedurch Gardelegen, Radfahrerverein Hohenzollern Valfitz, RV Schwalbe Tangeln und Arminius Magdeburg sind Vereinsnamen einer vergangenen Zeit.

Das Vereinsfest war laut Salzwedeler Wochenblatt vom 19. Mai 1908 ein großes Ereignis. Die Stadt sei geflaggt und der Saal des heutigen Hotel „Union“ festlich geschmückt gewesen. Der sportliche Schwerpunkt lag allerdings nicht auf den Wettfahrten. Darüber erwähnte die Zeitung vor 111 Jahren gar nichts. Viel mehr ging es um Radball und das Reigenfahren. Bei letzterer Disziplin fahren die Sportler in einer Gruppe und zeigen Kunststücke auf ihren Rädern.

In ihren Anfangsjahren nahmen die Radfahrer-Vereine übrigens keine Frauen auf. Davon zeugt eine kurze Notiz in der Salzwedel Gardeleger Zeitung vom 14. Juni 1898. Dort steht:

„In den Damenkreisen unser Stadt geht man mit der Absicht um, einen D.-R. zu gründen. Die Mitgliedschaft soll für Herren ganz ausgeschlossen sein und das ist nur gerecht, denn die Herren-Radfahrervereine schließen ja auch die Damen aus.“ Ob es zu der Gründung dieses Damen-Radfahrervereins kam, ist nicht bekannt. Jedenfalls ist Salzwedels Stadtarchivar Steffen Langusch kein Beleg dafür bekannt. Wann die große Radfahreuphorie, die Salzwedel zum Ende des 19. Jahrhunderts erreicht hatte, zu Ende war, ist heute allerdings nicht mehr zu sagen. Berichte über Vereinsauflösungen gibt es im Stadtarchiv nicht. Die Berichterstattung über die Vereine in den Zeitungen versiegte jedenfalls Ende der 30er-Jahre.