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Sportart im Portrait Geschwindigkeit, Kraft und der blanke Asphalt

Was lassen sich die Sportler in den schwierigen Zeiten nicht alles so einfallen.

Von Thomas Koepke 27.04.2020, 05:00

Gardelegen l Die Schwimmer benutzen Zugseile, um das echte Training zu simulieren, die Fußballer halten sich mit Laufeinheiten fit. Es gibt aber auch Sportler, die ihr Training kaum umstellen müssen.

Dazu gehören eindeutig auch die Rennradfahrer. Diese Sportart fasziniert auch mich schon sehr lange, selbst ausprobiert habe ich sie aber erstmals im Jahr 2015 - mit stolzen 41 Jahren.

Die Story von meinen mehr oder weniger erfolgreichen Radanfängen in den späten 70ern spare ich mir diesmal, der eine oder andere dürfte schon beim Selbstversuch Mountainbike etwas darüber geschmunzelt haben. Das erspare ich mir dann doch lieber ein weiteres Mal.

Dennoch beginnt mein Interesse für das Rennradfahren ziemlich frühzeitig. Ich besuchte gerade die zweite Klasse und im Röhren-TV der Marke Chromat lief ein Radrennen. Da ich sportlich ohnehin multiinteressiert war und selbst auch zu der Zeit kickte und mich von Herrn Schoeps und Eckhard Schulz in der Leichtathletik trainieren ließ, blieb ich - zumindest vor dem Fernseher - auch beim Rennradfahren hängen.

Das Rennen, was ich da sah, nannte sich internationale Friedensfahrt und führte damals mit mehreren Etappen durch Polen und die damalige DDR. Noch früher, als sich eher mein Opa damit auseinandersetzte, war auch noch die Tschechoslowakei mit dabei.

Namen wie Olaf Ludwig oder Falk Boden klangen wie Musik in den Ohren der Kenner. Beide gewannen auch zu meiner TV-Zeit Etappen und 1982 und 1983 sogar die gesamte Rundfahrt. War die Rundfahrt wieder vorbei, packte ich den Rennradsport auch wieder in Hippocampus und Großhirnrinde und holte ihn erst ein Jahr später wieder heraus.

Dennoch war er immer präsent. Rico Kaiser aus meiner damaligen Grundschulklasse zog es nämlich zu diesem Sport. Er war groß, schlacksig und nicht zu schwer für das Rennrad. Immer mal wieder erzählte er von Rennen oder dem Training. Es dauerte lange und war anstrengend. Damals absolut nichts für mich. Meine TZ-Trainer können sicher bestätigen, dass alles, was über die 60 Meter hinausging, eben nicht meine Baustelle war.

Ein weiteres Erlebnis bot sich mir im Rahmen eines Ferienaufenthaltes in Meerane. Dort verbrachte ich oft einige Zeit mit meiner Cousine. Liebend gern gingen wir damals ins Stadtzentrum und besuchten den Spielwarenladen Schmutzler. Der hatte immer so viele außergewöhnlich Dinge, von denen aber die allermeisten im Schaufenster blieben, anstatt in meine Spielzeugsammlung zu gelangen. An einem Nachmittag war der Weg dorthin aber abgesperrt. „Es findet ein Radrennen statt“, hieß es.

 Ich bin mir ehrlich gesagt nicht einmal mehr sicher, was es für ein Rennen war, doch die Fahrer schoben sich kraftvoll, leidend und schnaufend die steile Wand von Meerane hoch. Dieser Anstieg ist kurz, aber knackig. Knapp 250 Meter sind mit gut 12 Prozent Steigung zu absolvieren. Wahnsinn, wie sich die Fahrer mit ihren Rädern das Kopfsteinpflaster hochkämpften. Genau in diesem Moment wollte ich natürlich auch ein Rennradfahrer sein, doch mit gerade einmal zehn Jahren auf dem Buckel, hätte ich die Wand nicht mal im Traum geschafft.

Geschafft hatte ich es dann auch wieder nach Hause, und wieder begann die Friedensfahrt. Ich fieberte erneut am Bildschirm mit, wollte natürlich Uwe Ampler Siegen sehen, doch der musste sich später mit fast 8:20 Minuten Rückstand mit Platz drei zufrieden geben. Sieger war der Pole Lech Piasecki. Verfolgt habe ich die „Tour de France des Ostens“ wie die Friedensfahrt auch genannt wurde, in einem gelben Nikki. Auch der Führende der Rundfahrt trug solch ein Jersey, genau wie der Leader der Tour de France. Damit mein Outfit auch komplett war, nähte mir Oma Lotte eine weiße Friedenstaube auf den Rücken. Ich war also mittendrin, statt nur dabei.

So vergingen die Jahre, ein Trikot zog ich irgendwann natürlich nicht mehr über und nahm nur noch am Rande Notiz von der Rundfahrt. Kurz: Mein Rennradinteresse wurde in den Dornröschenschlaf versetzt. Dennoch verfolgte ich auch nach der Wende vor allem die Tour, den Giro und die spanische Vuelta. Doch nach den vielen Dopingskandalen, die den Radsport ereilten, verlor ich zwischenzeitlich wieder das Interesse. Erst, als die erfolgreichen Jahre von Lance Armstrong begannen, war ich wieder mit dabei. Mittlerweile hatten sich meine sportlichen Aktivitäten eher in Richtung Ausdauersport verschoben. Ich lief weit mehr als nur die früher so geliebten 60 Meter und fuhr auch gern Rad. Warum also kein Rennrad? Ja, warum eigentlich nicht?

Mittlerweile schrieben wir das Jahr 2015 und endlich sollte ich den Sport, den ich seit meiner Kindheit immer gern verfolgte, auch selbst ausprobieren. Ich leistete mir ein Einsteigerrad mit Alurahmen. Es wiegt nur 8,7 Kilogramm und ist mit einer Ultegra-Schaltgruppe bestückt. Nach dem wirklich recht einfachen Zusammenbau sollte also im Oktober - die Rennradsaison war also fast schon vorüber - meine erste Ausfahrt mit dem Renner erfolgen.

Im Selbststudium zuvor hörte ich von bösen Verletzungen, weil das Ausklicken aus den Pedalen nicht klappte, oder aber die Fahrtechnik nicht stimmte. Immerhin sind die viel schmaleren Reifen, bei mir waren es 25er Contis, und der gewöhnungsbedürftige Lenker schon eine Umstellung. Und obwohl ich mich zunächst sehr vorsichtig bewegte, merkte ich dennoch einen großen Unterschied zu einem normalen Fahrrad oder einem Mountainbike. Das Ding rollte quasi von ganz allein. Hatte ich sonst viel Mühe, einen Schnitt von 25 Kilometer pro Stunde zu erreichen, so waren die mit dem neuen Renner überhaupt kein Problem. Ein Problem war eher meine Anzugsordnung, denn es war Oktober, zwar sonnig aber dennoch keine 14 Grad mehr.

Ich absolvierte eine Runde von knapp 30 Kilometern, benötigte nur etwas mehr als eine Stunde und war begeistert. Was für ein Fahrgefühl, was für eine Kraftübertragung auf die Straße und was für Geschwindigkeiten... Rennradfahren war große Klasse.

Im Oktober fuhr ich fast jeden Tag, sobald es das Wetter zuließ, beim Ankleiden entwickelte sich ein feines Gespür und auch der erste 30er Schnitt - zumindest auf 30 Kilometern - sollte noch folgen. Einzig die Einstellung des Setups dauerte ein wenig länger. Besonders mit dem Sattel wurde ich nicht richtig warm. Drei Modelle und vier Wochen später war es aber soweit, alles passte und das Rennradjahr 2016 konnte kommen.

Hier hatte ich auch gleich zwei Highlights für mich geplant. Zum einen war das die Teilnahme an den Hamburger Cyclassics im August - Ich hatte mich als Anfänger für die Einsteigerdistanz über 60 Kilometer entschieden - und zum anderen eine fünftägige Bergtour durch die Dolomiten in Südtirol. Auf Bildern und aus Berichten hatte ich erfahren, dass diese Region ein wahres Rennrad-Mekka sein soll.

Das Training für diese beiden Events begann für mich im März. Bloß keinen schönen Tag auslassen, die Kilometer könnten mir später fehlen. Der August kam auch schnell näher. Der Tag des Rennens war sehr aufregend. Toilettenbesuche in der Regionalbahn, die mich mitten in der Nacht von Uelzen nach Hamburg bringen sollte, blieben ungezählt. Als ich aber mit knapp 20000 Gleichgesinnten am Start stand, war das ein absolut geniales Gefühl. Das Rennen wurde in Wellen gestartet. Da ich Neuling war und mich mit einem Schnitt von 30 km/h angemeldet hatte, durfte ich aus Block E starten. Das waren die langsamen Fahrer und die mit Freizeiträdern. Na toll, dachte ich zuerst, doch es ging ordentlich die Post ab. Die Gruppen ließ ich ziehen, das war mir zu schnell und vor allem zu gefährlich. Vorderrad an Hinterrad, Ellenbogen an Ellenbogen - später vielleicht.

Ich genoss das Rennen für mich. Es gab mir auch die Bestätigung, dass auch der Rennradsport mein Ding ist. Auspowern, den Schweinehund besiegen, auch wenn es einmal bergauf geht oder der Wind einem frontal ins Gesicht bläst. Nach etwas über 1:40 Stunden und knapp 57 Kilometern rollte ich durchs Ziel. Mein Radcomputer zeigte einen Schnitt von 32,7 km/h an. Wahnsinn, dachte ich. Grinsend ließ ich mir die Finisher-Medaille um den Hals hängen und ließ mir mein Astra aus dem Plastikbecher schmecken.

Und genau in diesem Moment dachte ich schon an mein nächstes Highlight - die Dolomiten-Tour. Gut vier Wochen nach den Cyclassics war es dann auch soweit. Mein treuer Touran brachte mich und mein Bike nach 14 Stunden Fahrt sicher ans Ziel. Schon aus dem Auto war zuerkennen, was auf mich die nächsten Tage warten sollte. Meine Base war Wolkenstein. Diesen Ort hatte ich bewusst gewählt, weil es von dort aus fix auf die von mir auserkorene Sellaronda ging und noch einige andere Pässe gut zu erreichen waren. Den ersten Tag nutzte ich dazu, um mich zu orientieren, rollte mich auf dem Etschtal-Radweg locker ein und war für den nächsten Tag gut gerüstet. Sellaronda ich komme.

Nach einem guten Frühstück in der Unterkunft ging es auch gleich los. Nur kurz den ersten Anstieg hoch, links abbiegen und die Runde konnte starten. Auf mich warteten die wohl schönsten 2000 Höhenmeter, die ich mir vorstellen konnte. Anstrengend, aber eben auch wunderschön. Ich musste mehrmals in einem Anstieg, an einem Pass anhalten und kurz verweilen, einfach nur den Anblick genießen und natürlich etwas verschnaufen. Auch die Abfahrten nach einem Pass waren großartig. Selbst Autos zu überholen war kein Problem. Die digitale Nadel am GPS-Gerät zeigte mehrfach auf 70 plus. Ein tolles Gefühl.

Am letzten Radtag gönnte ich mir wieder eine gemütliche Runde über Bozen und Meran, ganz ohne die großen Anstiege. Höhenmeter hatte ich genug in den Beinen. Das merkte ich auch am Abend, als ich mich für das Abschlussessen in der Trattoria des Vertrauens in Wolkenstein fertig machen wollte. Anstatt der Jeans, musste die Jogginghose herhalten, zu aufgepumpt waren die Oberschenkel. Kurz: Ich kam einfach nicht mehr in die Jeans. Aber egal, ich schmunzelte selbst darüber und die Pizza mit Hirschsalami, Knobi und Basilikumöl schmeckte auch in Wohlfühlkleidung hervorragend.

Auch nach diesen Erlebnissen - oder vielleicht gerade deshalb - blieb ich dem Rennradsport treu. Zum einen natürlich vor dem TV, zum anderen als aktiver Hobbysportler. Ich fahre heute noch mein 2015er Rose-Bike, dass mich mittlerweile schon über 7000 Kilometer durch die Gegend gefahren hat. Sogar an den Garda-See durfte es mich begleiten und natürlich mehrfach in Hamburg bei den Cyclassics. Mittlerweile darf ich mit ihm auch aus Startblock C das Rennen beginnen, zuletzt gab es nämlich ein 38er Schnitt über die kleine Distanz.

Das Rennradfahren an sich hat mich mittlerweile auch so gefangen, dass ich seit diesem Winter sogar auf der Rolle trainiere. Nach der Beratung von Triathlet Philipp Lenz wurde es ein Smarttrainer der Marke Tacx. Den verknüpfte ich mit der Zwift-Software und drehe halt virtuell mein Runden. Artig eingespannt in den Tacx ist natürlich mein Rose-Renner, nur ohne Hinterlauf. Dort absolvierte ich in diesem Winter gute 1500 Kilometer vor dem Bildschirm. Okay, das habe ich nicht ganz allein geschafft, meine Frau und der jüngere Sohn halfen mir etwas dabei, denn sie fanden auch Gefallen an meinem Renner.

Mittlerweile steht das Bike schon wieder auf zwei Rädern, der Tacx ist eingemottet und wartet auf den nächsten Herbst. Die ersten Runden habe ich mit dem Rennrad auch schon wieder in den Beinen und mich eigentlich auf meine erste 100 Kilometer-Distanz in Hamburg gefreut, doch auch dieses Rennen musste wegen der anhaltenden Corona-Krise abgesetzt werden. Dennoch ist mein Fahrwille ungebrochen, und die nächsten Kilometer werden mit Sicherheit folgen.