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Das Portrait der Woche: Handballerin Alexandra Wolke von der TSG Calbe Ankommen, auch auf Umwegen

Von Martin Mandel 05.03.2011, 04:26

Vorurteile gefallen ihr gar nicht, sie will es auch nicht dabei belassen, sie zu hören und sich darauf eine Meinung zu bilden. Lieber geht Alexandra Wolke voran, ergründet persönlich und vertraut dabei ganz ihrer eigenen Nase. So war es auch in ihrem neuen Umfeld. Die aus Frankfurt/Oder stammende Handballerin wohnt seit mehr als einem halben Jahr in Magdeburg, absolviert eine Ausbildung zum gehobenen Dienst der Polizei und hat sich vor wenigen Wochen dem Mitteldeutschen Oberligisten TSG Calbe angeschlossen.

Calbe. Mit dem ersten Vorurteil konfrontiert wurde Alexandra Wolke bereits in ihrer Heimat. Es hieß, die Leute in Sachsen-Anhalt seien etwas verschlossener. Angst bereite ihr das nicht, im Gegenteil. Nachdem die Zusage der Polizei in den Briefkasten des Elternhauses flatterte, hat sie sich gefreut, auf eine neue Herausforderung, auf Sachsen-Anhalt, auf Magdeburg. "Die Stadt ist für mich etwas komplett Neues, etwas Größeres, und ich finde es total schön hier", sagt die 19-Jährige. Anfangs nur mit einem Navigationsgerät unterwegs, braucht sie mittlerweile keine Anleitung mehr, erkundet selbstsicher die Stadt, auch abseits der Hauptstraßen, und vertraut dabei ganz ihrem aufgeschlossenen Naturell.

Ihren Weg zur TSG Calbe könnte man ähnlich beschreiben. Alexandra, die in Frankfurt die Sportschule besuchte, alle Jugendmannschaften des Bundesligisten HC durchlief und bereits mit 16 ihr Debüt im Regionalliga-Team gab, unterschrieb zunächst einen Vertrag bei der SG "Bandits" Magdeburg/Barleben. Bereits nach wenigen Wochen musste sie einsehen, dass ihr Beruf und Zweitligahandball nur schwer zu vereinbaren sind. "Das war eine völlig neue Situation für mich. Erst die Ausbildung an der Polizeischule, die vielen Klausuren, abends Training und dann noch die weiten Fahrten am Wochenende. Das war irgendwann zuviel. Zudem waren die Einsatzzeiten nicht zufriedenstellend."

Da sie jedoch ohne Handball nicht leben kann, wurde sie auf der Suche nach einer neuen sportlichen Herausforderung in der Polizeiauswahl fündig.

Dort traf sie auf ihre späteren Teamkolleginnen Susanne Bartl und Franziska Sprotte - ihre persönlichen Navigationshilfen sozusagen. Auf Anhieb verstanden sich die Handballerinnen, so dass die Vorstellung

"Das ist eine Einstellungssache"

bei der TSG Calbe nicht lange auf sich warten ließ. Nach dem ersten Probetraining musste Alexandra nicht lange überzeugt werden, Anfragen anderer Vereine schlug sie aus dem Wind, seither ist sie in der Mannschaft angekommen. "Das war total unkompliziert. Vor dem ersten Spiel kamen sie alle auf mich zu, gaben mir einfach ein Trikot und einen Trainingsanzug. Das war wunderbar." Und Alexandra, die bisher vorwiegend im Jugend- bereich spielte, vermisst bei der TSG nichts: "Obwohl viele älter sind, als ich es bisher aus Mannschaften kenne und schon mehrere Jahre in Calbe spielen, sind alle trotzdem von ihrer Art her irgendwie jung geblieben. Das ist total super", sagt Alexandra und lacht. Man merkt ihr an, dass sie sich wohl fühlt, dass sie sich freut, nicht nur neue Mitspielerinnen gefunden zu haben, sondern eventuell zugleich Freunde. "Ich denke, dass eine Mannschaft nicht nur auf dem Feld bestehen muss, sondern auch abseits davon. Das ist eine Einstellungssache." Diese teilt sie mit ihren Mitspielerinnen, selbst "wenn es nur kleinere Grüppchen sind".

Es sind die neuen Kontakte, die ihr den Alltag erleichtern, zum ersten Mal ganz ohne Familie. Zu ihr pflegt Alexandra dennoch regen Kontakt, ist häufig zu Besuch. "Mir war es bei der Berufswahl wichtig, nicht ganz so weit wegzuziehen." Frankfurt, das sie immer noch ihr Zuhause nennt, ist vom neuen "Heeme" Magdeburg nur zwei Autostunden entfernt. Dort findet sie die Geborgenheit, kann sich fallen lassen, ihre Sorgen teilen. Mit ihrer Mutter pflegt sie ein freundschaftliches Verhältnis, das vor allem in den schwierigen Phasen der Pubertät immer wieder vor Belastungsproben stand. Dort wohnt aber auch ihr größtes Vorbild: Opa Manfred. Viele kennen ihn nur als Trainer am Ring, in dem Henry Maske oder Axel Schulz einst vor einem Millionenpublikum boxten. Alexandra kennt ihn vor allem als liebevollen, fürsorglichen Opa, der in ihr die Leidenschaft für den Sport entfachte, der sie ermunterte zur Sportschule zu gehen, der sich aber auch Sorgen machte. "Willst du wirklich Handball spielen?", hat er seine Enkelin gefragt. Der Olympiasieger von 1968 erzählte ihr, dass er in seiner Zeit an der Sportschule als Handballer am Kreis mehr einstecken musste als später im Ring. Doch selbst die Bedenken ihres "größten Vorbilds", dem eher Tennis für seine Enkelin vorschwebte, brachten Alexandra nicht von der Sportart ab, die sie bis in den Kader der Frankfurter Bundesligamannschaft führte und die sie nun in Calbe erfolgreich fortsetzen möchte.

Bei der TSG ist sie nach drei Partien nicht mehr wegzudenken. Als variable Rückraumspielerin genießt sie das Vertrauen von Trainer Frank Falke, der ihr bereits große Spielanteile ermöglichte. Und Verantwortung zu übernehmen, dass ist Alexandra in ihrem jungen Alter nicht mehr fremd. Im Spiel gegen Altenburg durfte der Neuzugang bereits zu Strafwürfen antreten, verwandelte alle fünf Versuche sicher.

"Die Mannschaft hat das einfach drauf"

Dennoch tritt sie bewusst auf die Bremse. "In Calbe will ich mir noch nicht zuviel erlauben. Das finde ich persönlich unsympathisch, wenn man neu ist und gleich sagt, wo es langgeht. Dennoch denke ich, dass ich schon viele eigene Ideen einbringen kann ohne denken zu müssen, dass es meine Mitspielerinnen falsch verstehen könnten."

Obwohl sie in einer schwierigen Phase zur TSG stieß - Calbe verlor die letzten sieben Partien - hat Alexandra große Ziele. "Ich denke, dass wir im nächsten Jahr auf Fälle oben mitspielen können, vielleicht sogar um den Aufstieg. Die Mannschaft hat das einfach drauf", sagt sie mit einer Selbstverständlichkeit, die wieder ganz ihrem Naturell entspricht. Sie will die sportlichen, beruflichen und privaten Ziele angehen, ohne sich dabei von äußeren Meinungen, gar Vorurteilen beeinflussen zu lassen. Sie will den Weg selbst erkunden, zur Not auch mit Umwegen. Dass sie ankommen wird, das steht für sie fest.