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Fußball Der verlorene Sohn kehrt ins Nest zurück

Nach sechs Jahren geht Matthias Härtl wieder für seinen Jugendverein SV 09 Staßfurt auf Torejagd.

Von Enrico Joo 14.07.2017, 23:01

Staßfurt l So oft war Matthias Härtl diese Strecke mit dem Auto gefahren, manchmal war er zusammen mit seiner Frau und den Zwillingssöhnen auch zu Fuß unterwegs. Er kennt jeden Stein am Wegesrand in- und auswendig. Vorbei am Kreisverkehr am Salzland-Center in Staßfurt, noch ein Stück geradeaus auf der Straße nach Hecklingen und dann scharf links herein, dort wo das Stadion der Einheit liegt. Auch am Montag hatte Härtl diese Strecke zurückgelegt. Er hätte sie blind fahren können, doch dieses Ziehen in der Magengegend war diesmal neu. „Ja, ich hatte ein laues Gefühl, als ich links abgebogen bin“, sagt Härtl. Er ist wieder da. Zurück beim SV 09 Staßfurt. Zurück beim Heimatverein. Nach all den Jahren.

Am Montag war Vorstellungsrunde beim Landesliga-Aufsteiger, einen Tag später stand das Auftakttraining an. Härtl war kein neutraler Beobachter mehr, sondern mittendrin statt nur dabei. Im Sommer war der verlorene Sohn, das Urgestein, nach sechs langen Jahren zurückgekehrt.

Nein, die Verpflichtung von Härtl, die Anfang Juni bekannt wurde, ist keine alltägliche, sondern eine mit Herz. Mit fünf Jahren hatte der heute 35-Jährige mit dem Fußballspielen in Staßfurt begonnen. 24 Jahre lang spielte er nie woanders. Als der SV 09 aber 2011 das zweite Mal aus der Verbandsliga in die Landesliga abgestiegen war, ging der Stürmer von Bord, um weiter auf höchster Landesebene Fußball spielen zu können. Es folgten jeweils drei Jahre bei Askania Bernburg und Edelweiß Arnstedt, in denen Härtl zum drittbesten Torschützen der Verbandsliga-Geschichte aufstieg. 171 Tore hat er in zehn Jahren in der Verbandsliga gemacht. Nun also der Rückschritt? So würde Härtl das nicht bezeichnen. „Die Landesliga ist stark und Staßfurt hat ein gutes Team. Das hat Hand und Fuß.“ Das spürte er am Dienstag am eigenen Leib. Härtl erkannte einen kleinen, aber feinen Unterschied zu den Einheiten in Arnstedt.

Schnell den Ball aus der Defensive herausschlagen? Das ist beim SV 09 nicht drin. „Da wurden Dreiecke gebildet in der Abwehr. Von der Spielweise war ich beeindruckt“, sagt Härtl. Verteidigen mit Sinn und Verstand war das Motto. Der SV 09 Staßfurt ist eben eine Mannschaft, die fast alles spielerisch lösen möchte. So will es auch das Trainergespann. „Es wurde ganz anders angelaufen.“

Härtl hat sich aber auch menschlich sofort wohlgefühlt. Als wäre er nie weggewesen. Tobias Witte, Mathias Nagel und Markus Müller kannte er ja beispielsweise noch aus gemeinsamem Zeiten in Arnstedt. Mit Coach Jens Liensdorf stand er selbst noch zusammen auf dem Platz. Und wer früher nicht zusammen mit Härtl Fußball gespielt hatte, traf ihn spätestens im Salon „Aufgedreht“ in Staßfurt. Härtl ist Friseur. „Die meisten Spieler kommen zu uns“, verrät er. So hielt er auch über die Jahre den kurzen Kontakt zum Verein. Auf dem Stuhl wird geplauscht. Über früher, über heute und auch über die Zukunft. Da wurde auch immer wieder gefragt, wann der Friseur, der einst einer der ersten war, der mit der Schneidemaschine stylische Muster in die Haare „eingravierte“, nun endlich wieder für Staßfurt auflaufen würde. Härtl war schon früh klar: „Ich wollte dort aufhören, wo ich angefangen habe.“ Er hatte aber auch eine Bedingung. „Das war der Aufstieg in die Landesliga.“ Nach der Rückkehr des SV 09 im Sommer hieß es also bei den Transfergesprächen: Feuer frei.

Natürlich gab es aber auch private Gründe für die Rückkehr. Seine Zwillingsjungen sind gestern ein Jahr alt geworden. Härtl braucht verständlicherweise amehr Zeit für die Familie. „Ich möchte es ruhiger angehen lassen“, sagt er. Von Löderburg, wo der Fußballer mit seinen Lieben in einem kleinen Häuschen wohnt, brauchte Härtl mit dem Auto eine halbe Stunde nach Arnstedt. Jetzt kann er direkt nach der Arbeit zum Sportplatz fahren. Dauer: fünf Minuten. Diese Pendelei ist erträglich.

Härtls Wunsch, zurück zum Heimatverein zu wechseln, war schon im vergangenen Jahr da. Konkret wurde es im Mai, als der Wuschelkopf von sich aus den SV 09 kontaktierte. „Dann ging alles ganz schnell.“ Obwohl die Bodestädter jetzt im Sturm die Qual der Wahl haben. Schon vor Härtl hatte Staßfurt den Zugang von Marcus Bolze (SV Förderstedt) bekanntgegeben. Dazu gibt es ja die Top-Goalgetter Stefan Stein und Benjamin Kollmann. Den gesunden Konkurrenzkampf geht Härtl aber gelassen an. „Es geht um den Verein“, sagt er. „Ich habe mich zum Beispiel sehr für Stefan Stein gefreut, dass er die Torjägerkanone geholt hat. Und ich wäre jetzt auch nicht böse, wenn ich mal 90 Minuten auf der Bank sitze. Vielleicht komme ich einfach in der letzten Minute ins Spiel und mache das entscheidende Tor nach einer Ecke.“ Dann wäre Härtl mit sich im Reinen.

Vielleicht trifft er schon am Sonnabend. In der ersten Runde des Sparkassen-Cups trifft der SV 09 auswärts auf Salzlandligist Wacker Felgeleben (Anstoß 15 Uhr). Härtl will zeigen, dass er noch lange nicht zum alten Eisen gehört. „Ich bin heiß“, kündigt er an. Vielleicht macht ihm aber auch das Knie einen Strich durch die Rechnung. Denn im Training hatte sich der Stürmer, der im Arnstedter Dress in der vergangenen Saison in 23 Spielen auf elf Treffer und fünf Vorlagen in der Verbandsliga kam, einen Pferdekuss zugezogen. „Vielleicht kann das herausmassiert werden“, meint Härtl. Vielleicht muss er aber auch pausieren.

Ansonsten ist der 1,86 Meter große Offensiv-Mann topfit. Größere Verletzungen hatte er nie. „Konditionell bin ich auch noch gut drauf.“ Sicher wird Härtl den Staßfurtern helfen können. Auch beim langfristigen Ziel Aufstieg in die Verbandsliga. Es gibt da den Dreijahresplan. Wenn es schon im zweiten Jahr klappt, ist das auch sehr schön. Fürs erste Jahr ist die Marschroute ein einstelliger Tabellenplatz. Härtl plant zwar von Jahr zu Jahr, je nachdem, wie der Körper so mitspielt. „Aber Verbandsliga mit Staßfurt würde ich gern noch erleben. Man soll ja aufhören, wenn es am schönsten ist.“ Härtl wird ja wohl noch träumen dürfen. Das wäre das i-Tüpfelchen auf der langen Karriere, die Rückkehr in die Verbandsliga mit dem Heimatverein. Matthias Härtl freut sich über eine gute Aussicht.