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Radsport Von Güsten bis zur Friedensfahrt

Nur noch wenig ist von der großen Begeisterung übrig geblieben, welche den Radsport insbesondere in den 1960er Jahren auszeichnete.

Von Tobias Zschäpe 17.05.2020, 23:01

Güsten l Damals verfolgten hunderte Zuschauer, wie die Rennfahrer durch die engen, zum Teil noch aus Kopfsteinpflaster bestehenden Straßen nahezu jeder größeren Ortschaft radelten und dabei um Siege und Medaillen kämpften. Diese Begeisterung war auch in Güsten zu spüren. Trotz der überschaubaren Größe des Ortes, gehörte die Sektion Radsport der BSG Lok zu den größten und erfolgreichsten ihrer Zunft. Zahlreiche Vereinsmitglieder nahmen im Laufe ihrer aktiven Karriere beispielsweise an der Internationalen Friedensfahrt teil.

Schon weit vor der Gründung der Güstener Sektion hatte der Radsport eine zentrale Rolle im heutigen 4731 Einwohner zählenden Ort eingenommen. Auf Grund fehlender Alternativen mussten sich die Fahrer jedoch in auswärtigen Sportvereinen organisieren. So war beispielsweise Helmut Fricke Ende der 1950er Jahre erfolgreich für Chemie Bernburg aktiv. Der Verein veranstaltete viele Rennen, an denen auch Güstener teilnahmen. Anfang 1960 trat Fricke an seinen gleichaltrigen Freund Günter Osterburg heran, mit der ungewöhnlichen Frage: „Was hältst du davon, eine Sektion Radsport hier in Güsten zu gründen?“ Die Idee fand schnell großen Anklang und so kam es nur kurze Zeit später im Februar 1960 zur Geburtsstunde selbiger.

Unterstützt durch Trainer Max Händler gehörten neben Fricke und Osterburg auch Horst Wellmann, Lothar Ernst, Rainer Schüler, Peter Weiß und Lutz Stephan zu den Gründungsmitgliedern. Osterburg beschreibt Händler rückblickend als „Radsport-Besessenen“, ohne das negativ zu meinen. „Mit der Gründung der Sektion ist für ihn ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen. Er ist in seiner Rolle als Trainer komplett aufgegangen und hat dabei eine hervorragende Leistung erbracht.“

Bestätigt wurde diese auch durch die Ergebnisse seiner Schützlinge. Nicht nur, dass viele von ihnen an der Internationalen Friedensfahrt teilnahmen. Mit guten bis sehr guten Ergebnissen in den Leistungsklassen konnten sie sich mit den besten Radlern der DDR messen. „Durch gute Platzierungen konnte man in die nächsthöhere Leistungsklasse (LK) aufsteigen. In der LK I warteten schließlich die Allerbesten“, erinnert sich Osterburg. Den wohl größten Erfolg konnte aber Karl Friedrich Diers aus Staßfurt feiern, welcher in den Jahren nach der Gründung zum Verein gestoßen war. Auf Grund seiner hervorragenden Ergebnisse wurde er in die DDR-Nationalmannschaft berufen.

Neben Diers fanden die Sportler der BSG Lok Güsten auch weiteren Zuwachs. Immer mehr Mitglieder konnte die Sektion zählen, sodass man schon bald zu einem renommierten Namen wurde. Unterstützt wurden die Eisenbahner dabei durch einen Partner, welcher bis heute einen sehr guten Ruf genießt. Der Volkseigene Betrieb VEB Fahrradwerke Elite Diamant sponserte zahlreiche Rennräder für die Vereinsmitglieder. Die Voraussetzungen für weitere sportliche Erfolge waren somit gegeben. Die einzige Hürde, die noch genommen werden musste, war die Räder startklar zu machen. „Ich kann mich erinnern, dass ich meines noch selbst zusammengebaut habe“, erinnert sich Osterburg lachend.

Im Laufe der Jahre machten sich die Radsportler der BSG Lok Güsten mehr und mehr einen Namen, was auch mit der Austragung eigener Wettkämpfe zusammenhing. Insbesondere ein DDR-offenes Rennen „Rund um Güsten“ wirkte als großer Teilnehmer- aber auch Zuschauermagnet. In manchen Jahren absolvierten über 300 Teilnehmer den 27-Kilometer-Kurs vom Güstener Lok-Clubhaus über Amesdorf, Schackenthal, Schackstedt, Alsleben, Bründel, Osmarsleben und zurück nach Güsten. „Über 2000 Zuschauer entlang der Strecke sahen packende Positionskämpfe in allen Klassen“, hieß es unter anderem in den Artikeln, die in der Volksstimme seinerzeit erschienen. „Aber auch einige Kurzstreckenrennen wurden von uns ausgerichtet“, berichtet Osterburg. Organisator war in den meisten Fällen Max Händler, welcher mit seinem großen Engagement zum guten Ruf des Güstener Radsports beitrug. Für seine unermüdliche Arbeit wurde er an seinem 70. Geburtstag vom Deutschen Radsport-Verband der DDR mit der Ehrenurkunde ausgezeichnet.

Im Februar jährte sich das Gründungsjubiläum der Güstener Radsportler nun zum 60. Mal und auch wenn die damaligen Gründungsmitglieder heute nur noch in ihrer Freizeit in die Pedale treten, ist der Kontakt untereinander nie abgebrochen. „Alle zwei Jahre treffen wir uns. Auch wenn nicht immer alle Zeit haben, ist es schön, die alten Weggefährten regelmäßig wiederzusehen“, freut sich Osterburg. In diesem Jahr war ein ganz besonderes Treffen geplant. „Gemeinsam wollten wir mit dem Fahrrad nach Kleinmühlingen fahren, um an der Veranstaltung „Wir feiern die Friedensfahrt“ teilzunehmen. Leider musste diese aber auf Grund der Corona-Pandemie abgesagt werden.“ So bleiben vorerst nur die Erinnerungen, die das private Fotoarchiv wecken, um sich an die goldene Zeit des Radsports zurückzuerinnern.