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Handball Von umstritten bis unmöglich

Die Volksstimme hat sich mit Handball-Verantwortlichen aus der Region über die aktuelle Weltmeisterschaft unterhalten.

Von Simone Zander 21.01.2021, 04:00

Zerbst l Nach der knappen 28:29 (14.15)-Niederlage am Dienstag ist die Ausgangslage für die WM-Hauptrunde für die deutschen Handballer um Trainer Alfred Gislason zwar schwieriger, aber längst nicht aussichtslos. Doch das Turnier ist insgesamt höchst umstritten und es gab bereits vor einigen Monaten sehr viel Kritik an der Austragung.

Wie stehen die Handball-Kenner der Region zu dieser WM, die unter Corona-Hochzeiten doch sehr fraglich ist.  Der 43:14-Auftakterfolg gegen Uruguay in der vergangenen Woche hat Spaß gemacht, war aber wohl kein Gradmesser für die deutsche Nationalmannschaft. Dennoch könnten die „Urus“ zum Zuschauerliebling werden, denn wie sie sich selbst für ihre Leistung gefeiert haben, kam einfach sehr sympathisch rüber.

Insgesamt hatte das Turnier in Ägypten schon vor dem Beginn viele Kritiker. Und dies wohl zurecht, denn Corona grassiert überall auf der Welt. Ausgerechnet jetzt findet die WM erstmals mit 32 Mannschaften statt. Und dass die „Blase“, wo sich die Handballer derzeit im Land der Pharaonen befinden, richtig dicht ist, haben schon viele vorher bezweifelt. Und dies bewahrheitete sich.

So teilten der tschechische Handballverband und der der USA bereits vor der Eröffnung mit, dass ihre Mannschaften aufgrund zahlreicher positiver Corona-Tests nicht an der Endrunde der WM teilnehmen werden. Auch zahlreiche deutsche Nationalspieler sagten ab, darunter etliche Leistungsträger. Das ist Fluch und Segen zugleich, denn so haben junge Anschlusskader auch einmal die Chance, sich zu zeigen und zu beweisen.

Spätestens nach dem Bekanntwerden der ersten positiven Corona-Fälle im afrikanischen Team Kap Verde erhielten alle Kritiker und Zweifler weiter reichlich Bestätigung. Die Absage und nun der Rückzug der Afrikaner ist nur eine logische Folge. Keiner weiß, wie es weitergeht und wie viele Teams es noch treffen könnte.

Karen Straube, Präsidentin des HSV 2000 Zerbst, ist der Meinung, dass „unter diesen Bedingungen überhaupt kein Sport stattfinden sollte“. „Die WM ist zwar schön anzugucken und ist auch unterhaltsam, aber wenn ich sehe, welcher Preis dafür gezahlt werden muss, ist dieser einfach zu hoch.“ Die Zerbsterin findet, dass „Vieles schön geredet wird“. „Man hätte konsequent sein müssen. Wir versuchen, alles andere herunter zu fahren. Ursprünglich geht es um ein Hobby, wo Ausnahmen gemacht werden. In so vielen Ländern sind die Zahlen dramatisch. Ob dies ein richtiges Zeichen ist, damit habe ich so meine Probleme.“

So kann die Lehrerin auch nicht verstehen, dass an den Spielern, die sich entschieden haben, nicht zur WM zu reisen, Kritik geübt wird. „Ich kann die Spieler, die sich nicht zur Verfügung gestellt haben, verstehen. Bei so einer Entscheidung muss man Prioritäten setzen und die Familie ist wichtiger. Diesen Spielern Vorwürfe zu machen, empfinde ich nicht als richtig. Man muss ihnen ihr Privatleben zugestehen, denn das haben sie länger als das Handball-Leben.“

Einen echten Favoriten für die WM hat Karen Straube „noch nicht ausgemacht“, denn „aufgrund der Vorrundenspiele war diesbezüglich keine Aussage möglich“.

Fabian Schwenger, Kapitän des Zerbster Herrenteams vom HSV 2000, ist „zwiegespalten, ob man unter den gegebenen Umständen so eine WM durchführen muss“. „Auf der einen Seite kann ich es nachvollziehen, denn es ist immense Werbung für unseren Sport. Und eine Verschiebung ist ja auch nicht mehr möglich, da im Sommer Olympia ansteht und auch die Bundesliga weiter geht. Aber aus gesundheitlichen Gründen ist es mehr als fraglich, dass man dort viele Spieler aus aller Welt zusammen lässt.“

Der Handballer hofft, dass es nach den bisherigen Corona-bedingten Absagen „jetzt so bleibt und dass das Turnier vernünftig zu Ende gebracht werden kann“.

Er freut sich auch, dass er jetzt Handball im Fernsehen schauen kann. „Ich denke, wir schauen da alle ein bisschen hin. Es ist auch etwas Ablenkung in dieser schwierigen Zeit.“

Für die Absagen einiger deutscher Spieler hat der Familienvater „Verständnis“. „Vor den Spielern habe ich allerhöchsten Respekt und kann es absolut nachvollziehen. Ich finde die Kritik vom Torhüter, der ohne Familie hinreist, nicht so gut. Das muss auch jeder für sich entscheiden. Aber ich ziehe meinen Hut davor, eine solche Entscheidung zu treffen. Denn ich glaube, dass sie Sportsmänner sind und liebend gern für ihr Land spielen. Aber da muss man einen Punkt setzen und das haben sie getan und von daher finde ich es unkritisch.“

„Fabi“ Schwenger findet es auch nicht so schlimm, denn er ist der Meinung, dass „Deutschland einen Vorteil hat, da wir sehr viele gute Spieler haben“. Die Frage nach den Favoriten sieht er so: „Ich war eher skeptisch, aber ich muss gestehen, es hat schon Hand und Fuß, was die Deutschen machen. Ich zähle Deutschland zu den top Vier. Ich habe Frankreich und Spanien gesehen. Frankreich zähle ich zu den Topfavoriten, Norwegen mit Abstrichen. Dänemark habe ich noch nicht gesehen und Spanien zähle ich nicht dazu, weil sie zu berechenbar sind. Also Deutschland traue ich das Halbfinale zu und dann entscheidet sicher die Tagesform. Man muss ja auch schauen, ob noch Ausfälle zu beklagen sind, ob nun verletzungsbedingt oder durch Corona.“

Hans-Jürgen Schilling, Handball-Insider und langjähriges Vorstandsmitglied der Zerbster Handballer, hält es „nicht für richtig, in diesen Zeiten eine WM zu spielen, dazu noch in diesem Umfang“. „Besonders die deutschen und die in deutschen Ligen eingesetzten ausländischen Spieler sind durch die Bundesliga und die europäischen Wettbewerbe einer zu starken Belastung ausgesetzt. Ob Spieler, Trainer und sogar Funktionäre, man hört immer wieder, die Belastung ist zu hoch, das Verletzungsrisiko zu groß. Klar kostet die Vorbereitung einer solchen WM Geld und Zeit, klar braucht der heutige Handball eine große internationale Bühne, um sich zu behaupten. Ist der Preis aber nicht zu hoch?“, fragt sich sicher nicht nur der 70-Jährige. Er findet außerdem, dass „durch den Verzicht der Tschechen und die Absage der Amerikaner sowie die Abreise der Mannschaft der Kap Verde der sportliche Rahmen verändert und die sportliche Wertigkeit vielleicht schon entscheidend beeinflusst worden ist“. 

Für das Fehlen einiger Leistungsträger hat das Ehrenmitglied des HSV „Verständnis, wobei die Kieler mit dem kürzlich erkämpften Champions-League-Sieg sportlich triumphiert haben. Da kann man schon auf eine WM verzichten, die solch einen Triumph nicht garantieren kann“.

Als WM-Favorit sieht Hans-Jürgen Schilling Spanien. „Die fast ‚Alt-Herren-Mannschaft‘ hat die Erfahrungen, noch immer die sportliche Klasse und ihre letzte Chance auf einen Titel. Die Mannschaft kann nach meiner Meinung am besten mit der aktuellen Situation vor Ort umgehen. Eine zusätzliche Motivation dürfte für einige von ihnen das verlorene Champions-League-Finale sein.“

Sandy Tiepelmann, Fan und Zuschauer der Zerbster Handballer, findet die Austragung der WM „unmöglich“. „Auch seitens der Politik und des DHB ist das das falsche Zeichen. Beide haben auch eine Verantwortung gegenüber den Kindern und Jugendlichen, die nicht spielen dürfen. Wir dürfen alle keinen Sport im Freien machen, die Jungs dürfen nicht mal trainieren und dort geht alles in einer Turnhalle. Die Politik verkauft uns das als schwere Pandemie und wir sollen am besten zu Hause bleiben und dort wird weitergemacht, als ob nichts wäre.“

Der sonst sehr Handball-Interessierte sah sich nur kurz das Spiel zwischen Deutschland und Ungarn an. „Bisher habe ich gar nicht hingeguckt, weil mich das nicht interessiert und was ich gehört habe, dass Teams wegen Corona Spieler nachnominieren bzw. ausgeschieden sind, macht auch keinen Sinn. Wenn bei uns einer Corona hat oder nur ein Verdachtsfall da ist, werden 14 Tage Quarantäne angeordnet. Da werden die Spieler ausgetauscht und es geht weiter. Das ist unmöglich.“

Trotz all der berechtigten Kritik rollt der Handball-Zug in Ägypten weiter, zumindest solange es Corona zulässt.