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Fußball-Weltmeisterschaft Brasilien verliert Vertrauen: "Leute sind sehr negativ"

22.06.2014, 11:18

Teresópolis (dpa) | Im Trainingscamp "Granja Comary" wachsen die Zweifel am Unternehmen "Hexacampeão". Die brasilianischen Stars sind genervt von den kritischen Fragen, eine Euphorie wie beim Confed Cup im vergangenen Jahr ist noch nirgendwo zu spüren.

Wann platzt endlich der Knoten bei der Seleção? Mit einem klaren Sieg gegen die bereits ausgeschiedenen Kameruner von Volker Finke könnte Brasilien seinem 100. WM-Spiel den passenden Rahmen geben - und dem Heim-Turnier den erhofften Kick. Im letzten Vorrundenspiel an diesem Montag (22.00 Uhr) in Brasília reicht der Mannschaft von Trainer Luiz Felipe Scolari ein Unentschieden fürs Weiterkommen. Neymar und Co. wollen aber unbedingt den Gruppensieg - und vor einem möglichen Achtelfinal-Kracher gegen Chile oder die Niederlande endlich Ruhe.

Nach dem mühsamen 3:1-Auftakt gegen Kroatien und dem 0:0 gegen Mexiko mussten sich die Spieler in den vergangenen Tagen in Teresópolis immer schärfere Fragen anhören. Kann der Rekord-Weltmeister mit Rivalen wie Deutschland, Chile oder den Niederlanden überhaupt mithalten? Ist die Offensive nur ein Ein-Mann-Sturm mit Neymar? Hat Scolari die richtige Vorbereitung gewählt? Trainiert die Mannschaft überhaupt hart genug?

"Wir haben uns dafür entschieden, uns nicht all zu viel davon anzuhören, weil die Leute sehr negativ und pessimistisch sind. Wir wissen, was wir verbessern müssen, weil wir uns unsere Spiele etwa 50 Mal angeschaut haben", konterte Außenverteidiger Dani Alves. "Die Rechnung wird zum Schluss gemacht und nicht auf halbem Weg."

Der freie Tag nach dem Mexiko-Spiel und das anschließende Regenerationstraining für Stammspieler sorgten für einige Debatten im überhitzten Umfeld des WM-Gastgebers. "Wir haben einen Trainerstab, der schon bei mehreren Weltmeisterschaften war. Die wissen, wie man es macht", verteidigte Torhüter Júlio Cesar Chefcoach Scolari und dessen erfahrene Zuarbeiter um Carlos Alberto Parreira. Scolari hatte Brasilien 2002 zum WM-Triumph geführt, der heutige Technische Direktor Parreira 1994.

"Ob wir zu wenig trainieren? Ich bin kein Trainingswissenschaftler", entgegnete Außenverteidiger Marcelo genervt. "Ich glaube, wir sind gut drauf. Wir haben keinen verletzten Spieler, wir haben alle viel Energie und viel Kraft." Als habe sich Scolari die unterschwellige Kritik zu Herzen genommen, ließ er am Freitag und Samstag erstmals bei der WM vor den Augen der Medienvertreter größere Taktikübungen unter verschärftem Tempo durchführen.

Hinterfragt wird mittlerweile auch, ob es richtig war, das Basiscamp auf fast 900 Meter Höhe in die Berge zu legen, wo regelmäßig Regengüsse niedergehen und die Temperaturen selten über 15 Grad steigen. Der ursprungliche Plan, sich in Rio de Janeiro auf die Spiele vorzubereiten, war verworfen worden. Dafür baute der Verband CBF seine Anlage in Teresópolis für 6,5 Millionen US-Dollar (4,8 Millionen Euro) aus. Dort versprach sich der Favorit mehr Ruhe.

Bei Pressekonferenzen werden die Spieler inzwischen damit konfrontiert, ob sie überhaupt noch zum Favoritenkreis der WM gehören. "Wer keine Ambitionen hat, kommt nirgendwo hin. Wir träumen, arbeiten, gehen die Herausforderungen an und glauben weiter an unsere Fortschritte", sagte David Luiz. Sein Abwehrkollege Marcelo betonte: "Wir sind nicht beunruhigt." Richtig überzeugend wirkte die demonstrative Gelassenheit nicht.

Gebetsmühlenhaft wiederholen die Brasilianer ein Statement von Scolari, die Mannschaft habe gegen Mexiko Fortschritte gegenüber dem Kroatien-Spiel gemacht und sei dabei, sich weiter zu entwickeln. "Das Niveau ist hoch hier bei der WM, das sieht man daran, dass der aktuelle Weltmeister in der ersten Runde ausgeschieden ist", sagte David Luiz - und schob nach: "Wir werden leiden müssen."

In Scolaris Offensive scheint fast nur der neue Superstar Neymar in Topform zu sein. "Wenn wir die Verantwortung ganz auf seinen Schultern abladen, wäre das völlig falsch", warnte Luiz. Vor allem Fred erntet viel Kritik. Der Mittelstürmer von Fluminense FC, im Vorjahr mit fünf Treffern noch Torschützenkönig beim Confed Cup, ging in den ersten beiden Spielen völlig unter. Dabei hatte Scolari vor dem Turnier den 30-Jährigen zusammen mit David Luiz, Kapitän Thiago Silva und Júlio Cesar zu seinen Leadern ernannt. "Ich werde wieder Tore schießen. Gegen Mexiko und Kroatien hat es nicht geklappt, aber gegen Kamerun fällt eines", versprach Fred.