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SC Magdeburg Präsident Dirk Roswandowicz: "Mir kann keiner mehr etwas vormachen"

30.06.2014, 01:43

Magdeburg | Vier Jahre als Präsident des SC Magdeburg liegen hinter Dirk Roswandowicz, vier weitere liegen nach seiner Wiederwahl vor ihm. Im Gespräch mit Sportredakteurin Janette Beck zog der 42-jährige Unternehmer eine Bilanz seiner Amtszeit und sprach über Erfolge ebenso offen wie über Missstände, geplatzte Seifenblasen und Zukunftsvisionen.

Bei Ihrer Wiederwahl gab es weder Gegenstimmen noch Gegenkandidaten. Hat Sie das gewundert?
Dirk Roswandowicz: Sagen wir mal so, es hat mich schon erstaunt, dass bei der Delegiertenkonferenz alles so ruhig, sachlich, um nicht zu sagen kritiklos ablief, und wir das Ganze inklusive des Wahlprozedere im Schnelldurchlauf durchgezogen haben. Da hat der SCM ja vor meiner Zeit schon wildere Jahre mit hitzigen Debatten, vergifteter Atmosphäre, Kampfabstimmungen und Chaos erlebt. Aber ich werte die Harmonie erst einmal als Zeichen dafür, dass sich der Verein auf einem guten Weg befindet und die Mitglieder offensichtlich mit der Arbeit des Präsidiums und meiner Person zufrieden sind.

Haben Sie gezögert, sich erneut zur Wahl zu stellen? Schließlich nimmt so ein Ehrenamt viel Zeit in Anspruch und bringt mitunter auch Ärger und wenig Dank mit sich. Davon können Ihre Vorgänger Eckhard Lesse und Rolf Oesterhoff ein Lied singen.
Je näher der Termin rückte, um so sicherer war ich mir in meiner Entscheidung, weitermachen zu wollen. Ich habe mich, bestärkt durch das positive Feedback, das ich von den Sportlern und Trainern bekommen habe, bewusst für eine erneute Kandidatur entschieden. Natürlich ist der Aufwand für dieses Ehrenamt groß, aber ich bin gerne Präsident des SCM, denn das Wohl und Wehe des Vereins liegt mir am Herzen. Und nicht zuletzt bin ich auch mit der Aufgabe gewachsen. Ich habe in meiner ersten Amtszeit viel gelernt, meinen Horizont erweitert und ich habe viele neue, interessante Leute kennengelernt. Das alles möchte ich nicht missen, obwohl ich zugeben muss, dass es Phasen gab, in denen ich am liebsten alles hingeschmissen hätte.

Weil Sie zu viel Gegenwind gespürt oder sich das Zuschütten von Gräben leichter vorgestellt hatten?
Ich war als Fußballer von Hause aus ja kein Kind des SCM und hatte kaum Berührungspunkte zum Verein. Das war einerseits von Vorteil, denn so konnte ich als Außenstehender unvoreingenommen an die Sache rangehen und war niemandem zu etwas verpflichtet. Die Kehrseite der Medaille aber war, dass ich das Ganze anfangs auch ziemlich unbedarft angegangen bin.

Man könnte auch naiv sagen?
Ja, vielleicht auch das. Mir fehlte das Hintergrundwissen. Ich hatte keine Vorstellung, was es bedeutet, so einen großen Traditionsverein wie den SCM zu führen. Ich habe ein Jahr gebraucht, um überhaupt die Strukturen im Verein und in Sachsen-Anhalts Sport zu durchblicken und Zusammenhänge zu verstehen - und ich musste mit Ernüchterung feststellen, dass vieles wesentlich komplizierter ist, als ich gedacht hatte. Da sind schon einige Seifenblasen zerplatzt.

Welches waren denn mit Abstand gesehen die größten?
Ich habe anfangs gedacht, im Verein sind alles Freunde und wir sind eine große Familie. Und ich war der Meinung, alle im Land ziehen im Sport an einem Strang, und alles lässt sich deshalb im Konsens lösen.

Und dem war nicht so?
Schon im Kleinen, also im Verein, nicht, wo es 30 Jahre lang gewachsene Strukturen und somit auch manches eingefahrene Gleis gab. Hier strukturelle Veränderungen herbeizuführen, gestaltete sich doch recht schwierig. Und was das große Ganze angeht, war die Ernüchterung noch größer. Da kam es mir in meiner ersten Amtszeit oft vor, als kämpfte der SCM gegen Windmühlen und die Eigeninteressen der Verbände und Sportarten stünden der Initiative des Vereins konträr gegenüber. Und ehrlich gesagt, sehe ich in Sachsen-Anhalt ein leistungsorientiertes Miteinander für den Sport bis heute nicht.

Bei Ihrem Amtsantritt 2010 erklärten Sie, Sie stünden für Offenheit, Transparenz und Integration. Der Verein müsse nach Jahren der Grabenkämpfe endlich zur Ruhe kommen. Sehen Sie diese Ziele erreicht?
Was die Transparenz und das ruhige Fahrwasser anbelangt, ja, zu 100 Prozent. Allerdings ist mir jetzt, ehrlich gesagt, zu viel Friede Freude Eierkuchen.

Lassen Sie uns zuerst das Zuckerbrot verteilen. Wofür dürfen Sie sich konkret auf die Schulter klopfen?
Dafür, dass das Wir-Gefühl im Verein enorm gewachsen ist. Zumindest empfinde ich das so. Wir haben versucht, die äußeren Rahmenbedingungen so zu verändern, dass der SCM wieder als Ganzes wahrgenommen wird. Und das werden wir in zunehmendem Maße. Vor vier Jahren sah das jedenfalls noch ganz anders aus, da gab es keine Mitglieds-Ausweise und jede Abteilung hatte sogar ein anderes Logo - vom sportlichen Outfit mal ganz zu schweigen. Inzwischen gibt es ein einheitliches Erscheinungsbild: Der Verein zeigt Flagge. Alle haben den gleichen Ausweis und tragen das gleiche Outfit - die rote SCM-Kollektion hat sich in allen Abteilungen durchgesetzt.

Wird es auch gelebt, dass alle eine große Familie sind, oder ist das nur ein schöner, plakativer Slogan?
So wie ich das sehe, kocht nicht mehr jeder sein eigenes Süppchen, sondern die Abteilungen arbeiten mehr zusammen. Bei den Turnern, Leichtathleten, Handballern und Schwimmern wird bereits über den Tellerrand hinausgeschaut und auch mal zusammen trainiert. Überall da, wo inzwischen junge engagierte Leute frischen Wind reinbringen und die Strukturen erneuert wurden, ist auch Leben. Vorbild sind die Leichtathleten und Turner. In diesen Abteilungen wird viel fürs Vereinsleben und den Breiten- und Nachwuchssport getan. Da kommt durch viele Aktionen rum, dass es Spaß macht, im Verein zu trainieren. Es kommt also nicht von ungefähr, dass wir hier die größten Zuwächse an Mitgliedern haben.

Sehen Sie den Verein auch wirtschaftlich besser aufgestellt als vor vier Jahren?
Als ich 2010 anfing, wurde aus dem Minus heraus agiert. Das Gesamtdefizit war gar siebenstellig und die Abteilungen hingen zu 95 Prozent am Tropf der SCM-Handballer. Den Strukturveränderungen und nicht zuletzt dem Engagement unserer Marketingabteilung ist es zu verdanken, dass das Sponsorenaufkommen inzwischen verdoppelt wurde. Dadurch wird auch der Leistungssport grundsolide finanziert. Es gibt keine roten Zahlen mehr, und sämtliche Verträge sind sauber und transparent.

Wie viele Vertragssportler hat der SCM eigentlich?
Neben der Handball-Profiabteilung haben aktuell 34 Sportler vom Nachwuchs- bis in den Spitzenbereich Verträge mit dem Verein. Diese sichern den Sportlern in differenzierter Höhe Unterstützung materieller und finanzieller Art zu.

34 ist eine stattliche Zahl - dem gegenüber dürfte Sie als Chef eines wirtschaftlichen Unternehmens das, was beim SCM unterm Strich bislang herausgekommen, nicht zufriedenstellen. Müssen Sie nicht spätestens an dieser Stelle die Peitsche rausholen?
Keine Frage, mit den Gesamtergebnissen kann und darf man nicht zufrieden sein. London war ernüchternd, auch für mich. Da haben mir unsere Trainer und die Verantwortlichen beim Landessportbund (LSB) und Olympiastützpunkt (OSP) immer wieder gesagt: "Wir sind auf einem guten Weg, alles läuft wie geschmiert, wir fahren am Ende mit 15 bis 20 SCM-Athleten nach London und holen dort fünf Medaillen." Und ich habe das geglaubt. Heute kann mir keiner mehr was vormachen. Im Gegenteil, heute sage ich: Bitte, macht euch doch nichts vor, sondern lasst uns die Realität betrachten!

Und die sieht wie aus?
Dass sich nicht viel verbessert hat. Nach der historischen Olympia-Pleite Sachsen-Anhalts in London war der Aufschrei groß, überall, auch in der Politik. Zu Recht! Inzwischen sind zwei Jahre vergangen und im absoluten Spitzenbereich ist alles beim Alten. Auch bei uns - Ruderer Marcel Hacker, Diskus-Werfer Martin Wierig und Schwimmerin Franziska Hentke sind unsere verlässlichen Bänke, alle drei weisen eine positive Weiterentwicklung auf. Aber dahinter? Da kommt nicht viel. Demzufolge habe ich keine großen Erwartungen an die Olympischen Spiele in Rio. Im Gegenteil, vieles deutet darauf hin, dass wir dort möglicherweise den absoluten Tiefpunkt erleben. Aber das ist dann nicht die Schuld des Vereins.

Was macht Sie da so sicher?
Nach vierjähriger Amtszeit weiß ich, wie der Hase läuft und dass viel zu viele externe Faktoren Einfluss auf die Leistung eines Athleten haben. Mit diesem Wissen im Hintergrund kann ich selbstbewusst sagen: Der SCM hat seine Hausaufgaben gemacht. Alles, was in unseren Verantwortungsbereich fällt, wurde getan, um unseren Spitzenathleten den Weg aufs Medaillentreppchen zu ebnen.

Nämlich?
Der Verein hat viel Geld investiert und ist in Vorleistung gegangen. Das finanzielle Budget für den Leistungssport ist wirklich top, auch die Sportstätten bei uns sind 1a, und unsere Spitzenathleten finden ein Wohlfühlklima vor. Damit bieten wir beim SCM optimale Rahmenbedingungen, um Leistungen auf höchstem Niveau zu erzielen. Wir haben sogar in den letzten zwei Jahren gegen großen Widerstand die vermeintliche Hängematte gegen leistungsbezogene Verträge mit den Athleten eingetauscht. Wenn dann aber das Budget, wie das von 2013, nicht ausgeschöpft wurde, weil die avisierten Leistungen aus welchen Gründen auch immer nicht erbracht wurden, dann ist das traurig, aber wahr.

Wer also trägt Ihrer Meinung nach die Hauptschuld daran, dass der Abwärtstrend nicht aufgehalten wurde und wird?
Ich sehe da jene in der Verantwortung, die den direkten Einfluss auf den Athleten und dessen Leistungen haben.

Also zu allererst die Trainer?
Ja, denn die sind tagtäglich dem Athleten am nähesten. Und damit sind wir beim Grundproblem: Der Bereich Leistungssport sowie der Komplex Talentesichtung- und förderung wird von Bund bzw. dem Land koordiniert, und die Trainer unterstehen in Sachsen-Anhalt dem Landessportbund. Auf diesen Bereich hat der Verein keinen Einfluss. Aber eben hier wird meiner Ansicht nach zuviel Dienst nach Vorschrift gemacht und sich mit sich selbst beschäftigt. Die Sport-Strukturen sind veraltet und unflexibel, und die bürokratischen Mühlen mahlen mir viel zu langsam.

Nur ein Beispiel, seit drei Jahren betteln wir um eine zugesagte Trainerstelle im Schwimmen. Seit drei Jahren wird uns die versprochen, aber nichts ist passiert! Unglaublich. Als Unternehmer in der Wirtschaft brauche ich drei Minuten, um eine Entscheidungen zu treffen. Oder nehmen wir den Leichtathletik-Landesverband: Da ist die Unterstützung gefühlt gleich null. Und warum? Weil allen voran der Präsident als Hallenser (Gerry Kley/d. Red.) den Graben zu Magdeburg lieber pflegt als ihn zuzuschütten.

Klare Worte, klare Meinung. Es scheint, als würden Sie Ihre zweite Amtszeit offensiver angehen und mal öfter laut auf den Tisch hauen wollen?
Ich hatte es bereits angedeutet: Es ist mir alles zu ruhig, denn natürlich sehe ich, dass an vielen Orten die Säge klemmt. Als einer der größten Vereine im Land stellen wir uns der sozialen Verantwortung und sind dazu noch bereit, in den Leistungssport zu investieren. Da ist es doch das mindeste, was man erwarten kann, dass einem dabei nicht Steine in den Weg gelegt werden. Anfangs habe ich mich wirklich sehr zurückgehalten, eben weil ich mit der Materie nicht vertraut war, aber mit der Ruhe ist es vorbei, jetzt werden die Ärmel hochgekrempelt und es wird rangeklotzt.

Damit der SCM nach Ende Ihrer zweiten Amtszeit wo steht?
Wenn wir in Rio fünf Athleten dabei haben und eine Olympiamedaille gewinnen würden, dann wäre ich glücklich. Alles andere ist Augenwischerei. Die Zeiten, als der SCM drei Weltmeister in einem Jahr feiern durfte oder zwölf Magdeburger im Olympiateam standen und acht Medaillen einheimsten, sind ein für alle Mal vorbei.

Dennoch bekennen Sie sich weiter zum Leistungssport und sind bereit, in potenzielle Medaillengewinner zu investieren?
Ja, aber unser Fokus wird dabei ganz klar auf der Förderung hoffnungsvoller Talente für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio liegen. In Zukunft werden es eben nicht mehr vier, fünf in jeder Abteilung sein, auf die wir uns konzentrieren, sondern vielleicht nur drei, zwei oder auch mal nur einer. Aber das dann richtig. Eines kann ich als Präsident des Vereins versprechen: Leistung wird sich in Zukunft beim SCM noch mehr lohnen!