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Fußball-Nationalmannschaft Löw: "Wir müssen uns in einigen Bereichen neu erfinden"

01.01.2015, 09:57
Joachim Löw plant die Zukunft der Nationalmannschaft: «Das Ziel heißt, 2016 einen Erfolg wie den WM-Sieg zu bestätigen.» Foto: Daniel Karmann
Joachim Löw plant die Zukunft der Nationalmannschaft: «Das Ziel heißt, 2016 einen Erfolg wie den WM-Sieg zu bestätigen.» Foto: Daniel Karmann dpa

Berlin (dpa) | Nach dem WM-Triumph in Brasilien wartet auf Joachim Löw und die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ein Übergangsjahr. Nur zehn Länderspiele stehen dem Bundestrainer 2015 zur Verfügung, um personell und spieltaktisch die Weichen für die Europameisterschaft in Frankreich zu stellen, für die sich der Weltmeister allerdings zunächst qualifizieren muss. "Das Ziel heißt, 2016 einen Erfolg wie den WM-Sieg zu bestätigen", sagte der 54 Jahre alte Bundestrainer zum Jahreswechsel im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

2015 ist sportlich ein Zwischenjahr ohne Turnier, was wünschen Sie sich für das neue Jahr?
Joachim Löw: Sportlich gesehen wünsche ich mir eine Weiterentwicklung. Dass wir dies zumindest in Angriff nehmen, dass wir uns die Zeit nehmen und die Geduld aufbringen, dies in aller Konsequenz anzupacken. Es wird sicher in einigen Bereichen etwas andauern. Aber das Ziel heißt, 2016 einen Erfolg wie den WM-Sieg zu bestätigen.

Bei nur zwei Terminen und vier Spielen im ersten Halbjahr wird das nicht leicht, zumal zwei Partien nach Saisonschluss stattfinden. Was können Sie da überhaupt bewegen?
Wichtig ist, dass wir in der Sportlichen Leitung unsere Strategie und Konzeption erarbeiten. Was wollen wir für neue Reize setzen? Wie und wann können wir das am besten einfließen lassen? Die Konstellation im ersten halben Jahr kennen wir: Wir haben im März zwei Spiele, davon ein wichtiges in der EM-Qualifikation. Nach der Saison wird es dann auch nicht ganz so einfach sein, weil die Spieler aus einer harten Saison kommen, vielleicht noch ein Pokalfinale oder Champions-League-Finale spielen. Andere haben bis dahin schon die ein oder andere Woche pausiert. Wichtig ist, dass wir mit Blick auf die ganz wichtigen Qualifikationsspiele im Herbst die richtigen Weichen stellen.

Wie gehen Sie persönlich damit um, dass ab sofort der Maßstab der WM-Titel ist? Brasilien hat Sie und den Fußball in Deutschland nochmals in neue Sphären befördert.
Es gibt definitiv keinen Titelfluch, diesen Ausdruck mag ich nicht. Die Erwartungen sind für mich nicht gestiegen, die Erwartungen kenne ich seit vielen Jahren. 2006 die WM im eigenen Land, 2010 kamen wir aus Südafrika zurück und wurden gefeiert als Weltmeister der Herzen. Dann sind die Erwartungen nochmals gestiegen. Der Druck ist immer hoch, wenn Deutschland in ein Turnier geht. Damit muss man umgehen können.

Also hat der WM-Titel an den Ansprüchen nichts geändert?
Diesen Weltmeister-Titel kann uns niemand mehr nehmen. Das kann uns einerseits zufrieden stimmen. Auf der anderen Seite sind wir alle ehrgeizig genug, uns neue Ziele zu setzen. Von Titeln der Vergangenheit können wir uns heute und morgen aber nichts mehr kaufen. Jetzt geht der Blick nach vorn, wir müssen uns in einigen Bereichen neu erfinden. Das ist die Aufgabe.

Und was nehmen Sie in die neue Periode mit?
Dass die Nationalmannschaft zu einer richtigen Einheit geworden ist in Brasilien, einen solchen Geist brauchen wir auch in den nächsten Monaten, vor allem beim nächsten Turnier in Frankreich. In den sieben, acht Wochen vor und während eines Turniers zeigt sich dann, wie stark der Teamspirit ausgeprägt ist. Vor allem, wenn es mal schwierig wird.

Sie haben bereits einen Master-Plan angekündigt. Inwieweit hilft Ihnen, dass gleich sechs deutsche Teams weiter im Europacup dabei sind, bei der Suche nach neuen Lösungen für das Nationalteam?
Bei konkreten Aufgabenstellungen hilft das zunächst wenig. Es ist erfreulich und wichtig, dass unsere Spieler zu internationalen Erfahrungen kommen, gerade in der Champions League. Aber das ändert sich ja auch. Strategien und Konzepte vorgeben, Lösungen finden, das müssen wir machen. Bis 2014 gab es immer eine kleine, stetige Weiterentwicklung. Jetzt sind wir auf dem Höhepunkt angekommen, sind Weltmeister und seit einem Jahr die Nummer eins der Weltrangliste. Ich habe das Gefühl: Diese gute Basis muss man erhalten, aber auch neue Lösungen finden. Unsere Mitbewerber entwickeln sich auch weiter.

Wie sollen die aussehen?
Den detaillierten Plan haben wir noch nicht in der Schublade. Was wollen wir erhalten? Die einzelnen Ideen müssen wir uns noch erarbeiten. Wo soll die Mannschaft 2016 stehen? Welche Spieler erfüllen unsere Anforderungen? Wie wollen wir die Mannschaft spielen lassen, wie lauten unsere Vorgaben? Da müssen wir auch einiges ausprobieren, da macht man vielleicht auch mal einen kleinen Rückschritt. Das müssen wir einkalkulieren, das ist normal in einem Prozess. Wir dürfen aber das Ziel 2016 nicht aus den Augen verlieren.

Zuletzt haben Sie schon wieder neue Talente wie Karim Bellarabi, Jonas Hector, Robin Knoche dabei gehabt. Immer mehr junge, hochbelastbare Spieler im Team, ist das eine Tendenz?
Die Tendenz, junge Spieler zu integrieren, ist bei uns schon seit 2009, 2010 ausgeprägt. Weil wir gesehen haben, dass junge Spieler diese hohen Belastungen sehr gut tolerieren. Die Intensität ist noch größer geworden. Aber letztendlich ist die Qualität, die Leistung eines Spielers der entscheidende Maßstab. Wir müssen ausloten, wer schafft den Sprung und wer nicht.

Bastian Schweinsteiger ist 30 und bei Bayern zurück. Was erwarten Sie von ihm 2015 für die Nationalmannschaft?
Bastian ist ein großer Stratege im Mittelfeld, der immer noch körperlich sehr gute Voraussetzungen hat, wenn er gesund ist. Er kann ein Spiel hervorragend lesen, den Rhythmus bestimmen und die richtigen Impulse geben. Bastian ist nicht nur bei Bayern, sondern auch bei uns zu einem wahren Führungsspieler gereift. Gerade im WM-Finale hat man gespürt, dass er überall war und sich unbändig eingesetzt hat. Und gerade in den entscheidenden, wichtigen Phasen hat er sich immens aufgebäumt, seine ganze Kraft und Erfahrung reingeworfen. Ich setze großes Vertrauen in Basti als Mannschaftskapitän.

Die WM-Nachwirkungen gerade physisch schienen so stark und lange wie nie zuvor. Stößt die Belastung auch durch die Veränderung des Spiels mit Laufwegen bis über 12 Kilometer da inzwischen an Grenzen?
Grundsätzlich ist die Intensität höher, die Räume werden enger. Man muss immer wieder freie Räume suchen, sich freie Räume schaffen. Man muss ständig agieren, körperlich und geistig permanent in Bewegung sein. Das ist die Idee unseres Spiels. Natürlich gibt es einen vollen Terminkalender, viele Reisen. Dazu kommen meist relativ kurze Vorbereitungs- und Regenerationsphasen. Gefragt ist höchste körperliche Leistung gepaart mit Willenskraft. Dass man gerade nach einer Saison und einem harten, langen Turnier emotional und körperlich in ein Loch fallen kann, ist klar. Eine solche Leistung permanent auf höchstem Level aufrecht zu erhalten, ist extrem schwierig.

Ein Geheimnis des WM-Erfolgs war sicher auch die akribische, langfristige Vorbereitung. Wird es deshalb auch schon 2015 früh Entscheidungen etwa über das EM-Quartier in Frankreich geben?
Es gab da keine Unterschiede zwischen 2014 und 2010 oder 2012. Im Prinzip geht unmittelbar nach einem Turnier immer schon der Blick voraus zum nächsten Turnier. Das ist auch jetzt der Fall. Im Januar vor einem Jahr haben wir auch alle möglichen Szenarien erfasst und diskutiert, haben an Lösungen für einzelne Probleme gearbeitet, uns alle möglichen Eventualitäten überlegt. Wir haben uns ein halbes Jahr lang tagtäglich mit dem Turnier beschäftigt. Das wird auch vor der EM 2016 so sein.

Sie selbst hatten ihren Vertrag lange vor der WM verlängert und sind gut damit gefahren. Wollen Sie das vor der EM wieder so handhaben, werden Sie schon 2015 über eine Verlängerung reden?
Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Ich denke im Zwei-Jahres-Zyklus, weil man weiß, dass so ein Turnier natürlich eine wichtige Rolle spielt, ob die Zusammenarbeit endet oder weitergeht. Ich bin jetzt schon lange dabei. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach und ich haben ein ganz enges Vertrauensverhältnis. Wir können über alle Situationen reden. Jetzt läuft unsere Zusammenarbeit erst einmal bis 2016 - und diese Aufgabe werden wir erfüllen.