1. Startseite
  2. >
  3. Sport
  4. >
  5. Zweigleisig in Richtung Rio

Leichtathletik Zweigleisig in Richtung Rio

Trotz gewonnener Silbermedaille in der Halle im Kugelstoßen will SCM-Leichtathletin Anna Rüh (22) beim Diskuswerfen bleiben.

Von Janette Beck 01.03.2016, 00:01

Magdeburg l Ein „Abfallprodukt“ aus Silber und einen neuen Hausrekord – das nimmt Anna Rüh doch gerne mit: Bei den Hallen-Titelkämpfen in Leipzig hatte sich die Neu-Magdeburgerin, die eigentlich im Diskusring zu Hause ist, aufs „Nebengleis“ begeben und ging im Kugelstoßen an den Start. Das aber keineswegs aus Jux und Tollerei. Die gebürtige Greifswalderin, die vergangenen Sommer vom SC Neubrandenburg zum SCM wechselte, hat nämlich auf dem Weg zu den Olympischen Spielen in Rio ein „Hintertürchen“ entdeckt. Denn während sich im Diskus (Olympianorm 61,00 Meter) ein knallharter Konkurrenzkampf um die Rio-Tickets abzeichnet, sei der Richtwert im Kugelstoßen (17,75 m) „machbar“ sowie der Kreis jener, die das packen könnten, „vergleichsweise überschaubar“, so die 22-Jährige.

Was in Leipzig zu beweisen war, wo Rüh ihre alte Bestleistung gleich um einen halben Meter verbesserte und mit 17,68 Metern leicht an der Olympia-Norm kratzte. „Und das, obwohl ich davor im Training gestoßen habe wie eine Raubsau.“

Die Sportsoldatin, die in Leipzig einmal mehr unter Beweis gestellt hat, dass sie „eher der Wettkampftyp“ ist, sieht den Tanz auf zwei Hochzeiten relativ locker und entspannt. Frei nach dem olympischen Gedanken: Dabei sein in Rio ist alles. Zunächst jedenfalls. „Dass es in Leipzig besser lief als erwartet und ich jetzt schon nah an der Olympianorm dran bin, lässt mich für den Sommer hoffen“, erklärt der Schützling von Armin Lemme. Und solange sie das Kugelstoßen mit wenig Extra-Aufwand so gut hinbekomme, werde sie im Training weiter zweigleisig fahren. Dennoch betont die Blondine, bei der sich 83 Kilo Körpergewicht auf 186 Zentimetern Länge wohlproportioniert verteilen: „Das Diskuswerfen hat für mich nach wie vor oberste Priorität.“

Kein Wunder, hat Rüh mit der fliegenden Scheibe auch bisher die größten Erfolge feiern können. Sie wurde Juniorenweltmeisterin (2012), nahm mit 19 Jahren in London erstmals an Olympischen Spielen teil (Platz zehn), wurde U-23-Europameisterin (2013), und EM-Vierte (2012, und 2014). Im Vorjahr war das Nordlicht sogar mit 66,41 Metern beste Deutsche. Doch diese Weite warf sie (zu) früh in der Saison. Als es Wochen später bei den nationalen Titelkämpfen darauf ankam, blieb sie eine Top-Weite schuldig, wurde Vierte. Und so blieb sie daheim, während Nadine Müller, Julia Fischer und Shanice Craft zur WM nach Peking durften.

Dieses Trio hat Anna Rüh auch in diesem Jahr im Kampf um das Rio-Ticket auf ihrem Zettel. „Dazu kommen nochmal drei, die die Olympianorm von 61,00 Metern auch drauf haben. Das wird also eine Riesenschlacht um die drei begehrten Plätze.“ Doch klein beigeben und sich gleich von vornherein nur noch aufs Kugelstoßen konzentrieren, kommt für die Sportsoldatin nicht in Frage. Sie liebt das Diskuswerfen und ist nach wie vor „fasziniert vom Kampf gegen die Gravitation und dem Spiel mit dem Wind“, den sie am liebsten von vorn hat: „Mein Ziel für 2016 ist es, stabil zwischen 63 und 65 Meter zu werfen. Und ich möchte am liebsten gleich im ersten Wettkampf in Wiesbaden Mitte Mai die Olympianorm knacken.“

Denn damit könnte Anna Rüh mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Konkurrentinnen wüssten, dass mit ihr wieder zu rechnen ist, sie könnte für das „Heimspiel“ eine Woche später beim Werfertag in Halle Selbstvertrauen für ihren ersten Kugel-Diskus-Doppelstart im Freien tanken, und sie hätte Ruhe an der Front der Skeptiker. „Es gab einige, die den Wechsel ein Jahr vor den Olympischen Spielen für gewagt hielten.“

Anna Rüh selbst braucht spätestes seit ihrem ersten Freiluft-Wettkampf am 17. Januar keinen Beweis mehr dafür, auf dem richtigen Weg zu sein. Da flog der Diskus bei Schneegriesel und Rückenwind in Magdeburg knapp 61 Meter weit: „Es läuft richtig gut. Ich fühle mich sehr wohl beim SCM. Das Umfeld ist familiär, alle sind nett zu mir und man kümmert sich. Ich bin in eine tolle und leistungsstarke Trainingsgruppe gekommen und habe einen Trainer, mit dem ich voll auf einer Wellenlänge bin. So viel verkehrt kann ich also nicht gemacht haben.“