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Leichtathletik SCM-Kugelstoßerin setzt alles auf Anfang

SC Magdeburg-Kugelstoßerin Jule Steuer wagt eine Technikumschulung, denn den Drehstoßern gehört nach Meinung der 17-Jährigen die Zukunft.

Von Janette Beck 28.11.2017, 00:01

Magdeburg l Das Jahr neigt sich dem Ende. Zeit, Bilanz zu ziehen. Auch für Kugelstoßerin Jule Steuer. Doch die wegwerfende Handbewegung der SCM-Athletin, die in der Vorsaison als Vize-Europameisterin der U 18 den internationalen Durchbruch schaffte, sagt eigentlich alles: „Hör mir bloß auf: Das war echt ein Jahr zum Vergessen.“

Dabei fing es sensationell an: Beim Hallen-Meeting in Sassnitz Anfang Februar durchbrach die Magdeburgerin erstmals die 18-Meter- Schallmauer (18,01 m). Doch die Freude über den neuen deutschen U-18-Hallenrekord mit der Drei-Kilo-Kugel währte nur kurz. Die Knie machten Probleme. Die Schmerzen nahmen kein Ende. Immer wieder musste das Talent in Vorbereitung auf die Freiluftsaison die Trainingsbelastung herunterschrauben. Hartnäckige Infekte sorgten für zusätzliche Störfeuer. Dazu kamen die Sorgen um die plötzlich schwer erkrankte Mama. Und nicht zuletzt kämpfte die Zehntklässlerin an der Sportsekundarschule auch noch um einen guten erweiterten Realschulabschluss. Das gesteckte Ziel, die Teilnahme an den U-18-WM in Nairobi, geriet zwischenzeitlich in weite Ferne.

Mit Ach und Krach schaffte es Steuer dann doch zu den Titelkämpfen im Traum-Urlaubsland Kenia, aber der Wettkampf selbst geriet zum Alptraum. Mit 17,03 m war Steuer nicht nur weit von ihrer Freiluft-Bestleistung entfernt (17,97 m), sondern schrammte zu allem Unglück auch noch als Vierte am Medaillenpodest vorbei. Trainer Klaus Schneider, der sich zum Saisonende in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedete, attestierte seinem Schützling damals zwar, „aus einer verkorksten Saison noch das Beste herausgeholt“ zu haben, dennoch war das rothaarige Energiebündel „völlig am Boden zerstört“.

In solchen Fällen ist ein radikaler Schnitt vielleicht die beste Alternative. Und so hat die 17-Jährige zu Beginn der neuen Saison den Reset-Knopf gedrückt: Alles auf Anfang. Und der hat es in sich, denn im Prinzip ist alles neu. Steuer startet nunmehr in der Altersklasse U 20. Das Arbeitsgerät ist 1000 Gramm schwerer, wiegt also vier Kilo. Mit Philipp van Dijck übernimmt zudem ein neuer Trainer das Ruder. Und, der vielleicht größte Einschnitt: Es kommt eine völlig neue Technik ins Spiel. Heißt, aus der Angleiterin Jule Steuer soll die Drehstoßerin Jule Steuer werden. „Dem Drehstoßen gehört nun mal die Zukunft. Daran gibt es keine Zweifel, wenn man sich die Entwicklung in der Welt anschaut“, erklärt die 1,76 Meter große Kugelstoßerin, deren Stärke die Schnellkraft ist. Vor allem davon hatte sie als Angleiterin profitiert. „Außerdem denken mein Trainer und ich, dass die neue Technik runder und damit viel schonender für meine anfälligen Knie ist.“

Dennoch, den komplett neuen Bewegungsablauf einzustudieren, ist kein Kinderspiel. Es braucht viel Geduld und Geschick, bis Mann oder Frau den richtigen Dreh raus hat. Zumal das Ganze ein ohnehin fragiles System ist, das nur dann zum gewünschten Erfolg – sprich Top-Weiten führt - wenn die Technik blitzsauber ausgeführt und die Kugel richtig getroffen wird. „Nicht jeder ist fürs Drehstoßen geeignet, das erfordert schon motorisches Talent“, erklärt Trainer van Dijck. Und sein Schützling hat das? Offensichtlich. „Die ersten Ansätze sind vielversprechend. Und die Knie nehmen die neue Technik dankend an. Bis jetzt läuft das Training schmerzfrei.“ Das befeuere den Ehrgeiz der Athletin. „Jule hat sich mit Haut und Haar auf das anspruchsvolle Experiment eingelassen und macht das für den Anfang echt gut. Aber natürlich braucht das noch Zeit und Tausende Wiederholungen, bis sich Automatismen einstellen.“

Und es braucht Erfahrungen - die der Jungtrainer mit gerade mal 25 Jahren nicht hat. Haben kann. „Auch für mich ist das Neuland“, gesteht der Ex-Diskuswerfer, der sich mit seiner jungen Athletin am Technikbild des neuseeländischen Weltmeisters Tomas Walsh orientieren will. „Umso dankbarer bin ich“, betont van Dijck, „dass Klaus Schneider sich bereiterklärt hat, beim Techniktraining ab und zu dabei zu sein.“

Allerdings wachsen auch für die Anfängerin die Bäume nicht in den Himmel. Und so gab es dieser Tage den ersten Dämpfer. Bei einem neu eingeführten Test mit dem Medizinball verlor Steuer das Gleichgewicht, stürzte unkontrolliert und mit voller Wucht auf die linke Schulter. „Zwar hatte ich Glück im Unglück und es ist nicht gebrochen, gerissen oder abgesplittert, dennoch haben Arm und Schulter ganz schön was abbekommen, und die Schmerzen sind kaum auszuhalten.“ Doch die Frohnatur nimmt ihr Missgeschick mit Humor: „Aller Anfang ist eben schwer. Erst recht für so einen kleinen Tollpatsch wie mich.“