1. Startseite
  2. >
  3. Sport
  4. >
  5. Wie Hacker über Zentralisierung denkt

Rudern Wie Hacker über Zentralisierung denkt

Marcel Hacker ist Doppelzweier und -vierer gefahren, doch seine größten Erfolge feierte der Ex-Ruderer vom SC Magdeburg im Einer.

12.10.2019, 23:01

Magdeburg l Als Einerfahrer konnte Marcel Hacker trainieren, was er wollte. Ausschließlich unter einer Bedingung: Der Ex-Ruderer vom SC Magdeburg musste Leistung abliefern. Der heute 42-Jährige kennt beide Seiten: Das Training nach den Vorgaben des deutschen Verbandes (DRV) und jenes in aller Abgeschiedenheit. Wie er über die aktuelle Situation im Verband und die Zentralisierung denkt, darüber sprach mit ihm die Volksstimme.

Volksstimme: Marcel Hacker, bei der jüngsten Weltmeisterschaft hat der Deutsche Ruderverband zwar drei Medaillen gewonnen, aber nur sechs der 14 möglichen Quotenplätze für die Sommerspiele in Tokio geholt. Die anderen Boote müssen über eine Nachqualifikation im nächsten Mai in Luzern um ihre Plätze kämpfen. Darf man von einer Krise sprechen?

Marcel Hacker: Ich weiß nicht, ob das Rudern deshalb bereits in einer Krise steckt. Wir haben im Einer und im Achter gewonnen. Alle Männer-Skullboote sind für die Sommerspiele in Tokio qualifiziert. Was also will man mehr? Aber das ist eben die positive Variante. Als ehemaliger Skuller finde ich es schade, dass nicht noch mehr dabei rausgekommen ist. Zum Beispiel im Doppelzweier mit Stephan Krüger und Tim Ole Naske, der nur den zehnten Platz belegt hat. Da muss man schon hinterfragen, was in der Vorbereitung schiefgelaufen ist.

Ingesamt klingt es aber danach, dass die Zentralisierung, die der DRV umgesetzt hat, funktioniert. Denn Männer-Skuller aus dem gesamten Bundesgebiet wie Max Appel vom SC Magdeburg trainieren seit November 2018 alle gemeinsam an den Stützpunkten in Hamburg und Ratzeburg.

Die Frage ist doch: Zentralisierung zu welchem Preis? Der Preis, sein privates Leben zu verlassen, ist meines Erachtens sehr sehr hoch. Wir haben viele ältere Athleten dabei mit Familie und Kindern, die sich in einem neuen Umfeld auch neu sozialisieren müssen. Es sind keine Eltern oder Schwiegereltern in der Nähe. Oma und Opa fehlen, die aber greifbar sein müssen, um gewisse familiäre Situationen lösen zu können. In dieser Hinsicht sehe ich schon Diskrepanzen, was die Zentralisierung angeht. Es steckt auch nicht genügend Pfund dahinter, weil das gesamte soziale Netzwerk nicht abgesichert wird.

Sie meinen, für die Athleten und ihre Familien wurde noch keine vernünftige Infrastruktur aufgebaut.

Genau. Die Infrastruktur muss geregelt sein. Ich weiß, dass sich der eine oder andere um vieles selbstständig gekümmert hat, wie zum Beispiel um den Studiumsplatz. Aber das kann eben nicht jeder.

Und das kann nicht förderlich für den Sport sein.

Definitiv nicht. Wenn ich mir neben dem Rudern Gedanken machen muss, wie ich mein Kind versorgen und das Familienleben organisieren kann, dann bedeutet das Stress. Aber allein der Leistungssport ist ja schon Stress, es ist ein ganz normaler Berufsalltag. In Hamburg sind die Wege einfach zu weit. Wenn man auf der Dove-Elbe trainiert, aber am 20 Kilometer entfernten Olympiastützpunkt im Zentrum der Stadt das Krafttraining absolviert, dann kannst du aufgrund der Verkehrszeiten weder in einem Fluss trainieren, noch hast du eine Regenerationszeit.

Es muss also noch vieles verfeinert werden?

Es muss einfach mehr für den Athleten getan werden. Beispiel: Wenn man eine Zentralisierung einführt, dem Sportler dann für drei Monate eine Schlafgelegenheit im OSP organisiert, muss man ihn auch dabei unterstützen, für sich und seine Familie bezahlbaren Wohnraum zu finden oder ihm dabei finanziell zur Seite stehen. Aber genau das passiert eben nicht.

Kaum jemand kann den Unterschied, nach den Anforderungen des Verbandes oder autark zu trainieren, besser einschätzen als Sie. So haben Sie sich mit ihrem Trainer Andreas Maul zwischen 2000 und 2008 nach München-Oberschleißheim zurückgezogen. Was hat Ihnen für Ihre Karriere besser getan?

Ich bin 21 Jahre lang für die Nationalmannschaft gefahren, fünf Jahre im Groß- und Mittelboot, ansonsten nur im Einer. Mir wurde immer gesagt, zu diesem oder diesem Rennen musst du der Schnellste sein, sonst bist du weg vom Fenster. Das war für mich eine klare Regel, die ich nur einhalten musste. Und dafür habe ich das trainiert, was ich trainieren wollte. Unabhängig war für mich perfekt. Sicher hätte aber auch die eine oder andere Einheit in der Gruppe gutgetan.

Welche Gefahr sehen Sie denn für eine Gruppe, in der sich jeden Tag dieselben Athleten quasi gegenseitig auf die Füße treten?

Auf der einen Seite ist es die Gefahr des Lagerkollers. Auf der anderen steht jeder im Konkurrenzkampf, kann aber nicht mit jedem darüber reden. Dann ist der Physiotherapeut dein psychologischer Mülleimer, weil du bei ihm die meiste Zeit verbringst. Der hat aber auch irgendwann keine Lust mehr, sich das alles anzuhören. Und zum Trainer muss man absolutes Vertrauen haben, sonst hat man natürlich ein richtiges Problem.

Bei der Weltmeisterschaft in Linz haben neben dem Achter auch zwei Boote eine Medaille geholt, die völlig autark von dieser Zentralisierung trainieren – der Einer mit Oliver Zeidler und der leichte Doppelzweier mit Jason Osbourne/Jonathan Rommelmann. Ist das nicht ein Argument für ein dezentrales Training?

Den leichten Doppelzweier möchte ich außen vor lassen. Leichtgewichte ticken ganz anders. Jason Osbourne ist zum Beispiel bei den deutschen Straßenrad-Meisterschaften Sechster geworden. Da laufen die Dinge ganz anders. Der Achter ist dagegen das Paradebeispiel für eine Zentralisierung, wie sie funktionieren muss: In Dortmund wird Wohnraum gestellt. Dort wird die Nähe zur Universität und zum Training geboten. Dort gibt es keine langen Wege. Aber in Dortmund ist das ganze System auch über Jahre gewachsen.

Und Oliver Zeidler?

Er ist ein knallharter Einerfahrer, der individuell trainiert. Das geht auch nicht anders. Er hat in München seine Familie, seine Sponsoren. Alle, die ihn fördern und fordern. Deshalb sollte man ihn in Ruhe lassen.

Wenn man nun in acht Bootsklassen bei einer WM den Quotenplatz für Olympia verpasst, bedeutet das: Die Boote wurden auch nur in den entsprechenden Klassen stark gemacht? Und ist es dann nicht ein fatales Zeichen an die anderen Athleten, quasi nur der Rest zu sein?

Anders: Vielleicht sollten wir nicht mehr in Sparten denken. Vielleicht reicht das Leistungsvermögen eines Skullers nicht ganz zur Spitze, dafür ist er aber ein sehr guter Riemer. Ex-Bundestrainer Hartmut Buschbacher hat das mal mit Eric Johannesen praktiziert. Er hat ihn aus dem Skull-Bereich rausgeholt und in den Zweier ohne Steuermann gesetzt. 2012 ist Johannesen Olympiasieger im Achter geworden. Vielleicht sollte man also ein Gemeinschaftstrainingslager mit allen organisieren, um andere Perspektiven oder Bootsklassen auszuprobieren. Und um auch den Lagerkoller rauszunehmen. Man lernt doch ganz andere Menschen kennen.

Stand der Dinge ist: Die aktuellen Olympiakader müssen in der nächsten Saison nicht mehr am Frühtest, also den deutschen Kleinboot-Meisterschaften, teilnehmen, sondern sollen intern ihre Besetzungen für Tokio ausfahren.

Das ist ein Fehler. Weil sich jeder nach den internen Rennen auf sein Altenteil zurückziehen kann. Weil jeder sagen kann: Ich muss mich nicht mehr quälen. Auch dass sie die Langstrecke in diesem Jahr in Leipzig weggelassen haben, war schon ein Fehler.

Was wäre denn Ihrer Ansicht nach eine Alternative?

Man könnte auch den Frühtest terminlich vorziehen, um einen zeitlichen Puffer bis zu den Sommerspielen zu haben. Man könnte dann einfach alle Athleten einladen, sie in einem Zeitrennen gegeneinander antreten lassen. Und dann sagen: Platz eins bis x sind in der Nationalmannschaft. Mit diesen Athleten will ich meine Ziele in Tokio erreichen.