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Leichtathletik SCM-Diskuswerfer Wierig bündelt im Ring alle Kräfte zu einer Top-Weite "Ohne mein Team wäre ich aufgeschmissen"

Die Leichtathletik gilt als Individualsportart Nummer 1. Doch allein ist Diskuswerfer Martin Wierig nur, wenn er "raus" muss in den Wettkampf. Aber auch dann weiß er ein starkes Team hinter sich.

Von Janette Beck 29.07.2014, 01:24

Ulm | Für Martin Wierig schlägt regelmäßig die Stunde der Wahrheit, wenn er in den Diskusring tritt. Hier kommt es einzig und allein auf ihn an und darauf, alle Kräfte zu bündeln und in eine Top-Leistung umzuwandeln. Bei den Titelkämpfen in Ulm ist das dem Magdeburger einmal mehr gelungen: 64,94 Meter flog der Diskus weit, das bedeutete Rang zwei hinter Olympiasieger Robert Harting (66,67). Dass hinter jedem Spitzen-Leichtathleten ein starkes Team steht und auch die Konkurrenz für Synergieeffekte sorgt, war auch im Donaustadion zu sehen. Und so freuten sich über das Ergebnis von Ulm neben Wierigs Familie und Trainer Armin Lemme auch Physiotherapeutin Kati Scheschonk, Psychologin Heike Kugler, Vereinskollge David Wrobel und sogar Dauerrivale Harting.

Der Trainer: Wichtigste Bezugsperson im Wettkampf ist für Wierig der Trainer. Auch im Donaustadion ging der Zwei-Meter-Hüne nach jedem Versuch über die Bahn hinweg zum hinterm Zaun stehenden Armin Lemme. Der ist Ratgeber und erstes Korrektiv. Seinen Schützling versteht er blind, er weiß Körpersprache zu deuten und entdeckt selbst die kleinsten Fehlerquellen im technischen Ablauf sofort. Kein Wunder, denn Trainer und Athlet verbindet eine 15-jährige Zusammenarbeit, "die weit über eine Zweckgemeinschaft hinausgeht", so dass Wierig scherzhaft von einem "alten Ehepaar" spricht. Wohl auch deswegen war es für ihn "ein unfassbarer Schock", als der 58-Jährige Lemme im Frühjahr während eines Trainingslagers in Portugal wie aus heiterem Himmel der Schlag traf und der Ex-Diskuswerfer und Weltcupsieger (68,50 Meter Bestleistung) aus gesundheitlichen Gründen im Job ruhigertreten und Wierig mit einem großen Fragezeichen zurücklassen musste. "Das Ganze hat mich sehr mitgenommen. Zwar ist Klaus Schneider zwischenzeitlich eingesprungen, und auch er hat einen guten Job gemacht. Aber Armin ist nun mal der Mensch, mit dem ich 15 Jahre lang die meiste Zeit verbracht habe. Er gehört quasi zur Familie. Und zum Glück ist alles glimpflich ausgegangen und er wieder an meiner Seite."

Der Dauerrivale: Robert Harting und Martin Wierig - das war keine Liebe auf den ersten Blick, was allerdings mehr an "Dominator" Harting lag. Als Wierig einst in den Leistungsbereich jenseits der 60-Meter-Marke vordrang, war der Berliner noch ordentlich auf Krawall gebürstet und belächelte den aufstrebenden U-23-Europameister als "Schönling" und "aalglatt". Inzwischen ist aus Rivalität eine Freundschaft geworden, Kaffeetrinken daheim beim Konkurrenten oder gemeinsame Unternehmungen zu Viert inklusive. "Inzwischen bin ich gereift, respektiere Martin als Konkurrenten auf Augenhöhe, der mich auch immer wieder auf nationaler Ebene zu Höchstleistungen treibt. Letztlich geht es um eine gute Performance unserer Disziplin. Dass ich inzwischen mit dieser Intention in den Wettkampf gehe, hat viel mit dem positiven Einfluss meiner Freundin Julia (Fischer/d. Red.) zu tun, die sich im Übrigen super mit ,Wieris` Kristin versteht."

Der Trainingsgefährte: Lange Zeit hatte Wierig keinen Trainingskollegen, an den er sich reiben und mit dem er sich messen konnte. Bis im vergangenen Sommer David Wrobel (23) von Stuttgart zum SCM wechselte. "Besser hätte ich es nicht treffen können. David lebt wie kein anderer den Diskuswurf. Es passt perfekt, wir verstehen uns prächtig, teilen Freud und Leid." Und dass interne Konkurrenz das Geschäft belebt, war auch in Ulm nicht zu übersehen und zu überhören. Denn mit einem Urschrei und lautstarken Jubelarien feierte Wrobel die Steigerung seiner Bestleistung im letzten Versuch auf 62,72 Meter. "Bei der Suche nach einem neuen Trainer und dem passenden Umfeld habe ich in Magdeburg angefragt. Ich kannte Martin durch die Wettkämpfe und fand, dass wir auf einer Wellenlinie funken und das ganz gut passen könnte." Und wie man in Ulm habe sehen können, habe er offensichtlich "alles richtig gemacht. Wahnsinn, dass mein Trainer Armin Lemme das so hinbekommen hat, dass ich auf den Punkt zur Meisterschaft Bestleistung werfe." Dass er doch noch vom Bronze- auf den Blechrang verdrängt wurde, sei zu verschmerzen: "Ich tröste mich mit dem Wetteinsatz: Bisher haben zwischen Martin und mir bei Wettkämpfen immer so um die sieben Meter gelegen. Diesmal waren es nur zwei. Jetzt muss er mir ein ordentliches Kilo argentinisches Rindersteak spendieren."

Die Familie: Vater Hans-Jürgen war, ist und bleibt nach dem frühen Tod seiner Ehefrau 2002 der "größte Fan" von Martin Wierig. "Ich war erst 15, als meine Mutter starb, das war schon alles nicht so einfach - für uns beide nicht", blickt das Diskus-Ass auf ein trauriges Kapitel Familiengeschichte zurück. So oft es geht, stärkt der Vater dem Sohn bei Wettkämpfen den Rücken. In Ulm fehlte er allerdings: "Mein Vater hat sich die Achillessehne gerissen. Wenn die alten Herren schon mal Fußball spielen ..." Ebenfalls zu Hause geblieben waren Freundin Kristin und Söhnchen Matthis. "Die beiden sind mein Lebensmittelpunkt, um sie dreht sich alles. Matthis` Geburt vor 20 Monaten hat mein Leben komplett auf den Kopf gestellt, die Wertigkeiten verschoben. Ohne die beiden kann ich mir mein Leben nicht mehr vorstellen." Ohne das Diskuswerfen und alles, was dazu gehört, bis auf Weiteres sicher auch nicht.