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Leichtathletik Magdeburger Athletin auf dem Sprung

Die 18-jährige Magdeburgerin Lea-Jasmin Riecke gilt als großes Talent im Weitsprung. Gerade hat sie die U-20-Weltmeisterschaft gewonnen.

Von Anne Toss 07.08.2018, 01:01

Magdeburg l Lea-Jasmin ist vergleichsweise schweigsam. Jedenfalls in den Sozialen Medien. Sie teilt dort nicht viel von sich mit. Ganz anders als so viele andere junge Erwachsene. Doch das änderte sich am 14. Juli dieses Jahres. Da stellte sie bei Instagram ein Video von sich online. Und kommentierte: „Ich bin immer noch völlig überwältigt und sprachlos.“

Das Video zeigt die Weitspringerin vom Mitteldeutschen SC (MSC). Ihren 6,51-Meter-Sprung bei der U-20-Weltmeisterschaft im Juli in Tampere. Den Sprung, der sie zur Weltmeisterin machte.

Wenn in diesen Tagen in Berlin Europas Leichtathletik-Elite antritt, wird kein Sportler aus Magdeburg mit dabei sein. Doch es sind die Momente wie in diesem Video, die Hoffnung machen, dass sich das in Zukunft wieder ändert. „Ich bin einfach gelaufen und abgesprungen. In der Luft wusste ich: Das geht weit“, erinnert sich Lea-Jasmin.

Während sie erzählt, lehnt sie an einer Wand im Olympiastützpunkt Magdeburg und lächelt. Die 6,51 Meter waren persönliche Bestleistung. Gold. Wenn das nicht ausreicht, um eine kurze Nachricht via Soziale Medien zu verbreiten, was dann?

Mittlerweile hat sich die Sprachlosigkeit bei der Magdeburgerin wieder gelegt. „Es hat einfach ein paar Tage gebraucht, bis das bei mir angekommen ist“, erzählt sie. Tage, an denen sie unzählige Nachrichten, die auf ihrem Handy eingegangen sind, beantwortet hat. Eine nach der anderen, teilweise bis halb zwei in der Nacht. „Ich weiß, dass viele hinter mir stehen. Aber dass es so viele sind, das hätte ich nicht gedacht.“

All der Trubel ist auch deshalb so überwältigend, weil sich der Erfolg zwar angedeutet hatte, in diesem Moment dann aber doch überraschend kam. Der Leichtathletik-Weltverband IAAF kommentierte Rieckes Goldsprung bei Twitter mit dem Satz: „Never under- estimate the dark horse.“ Auf Deutsch: „Unterschätze nie den Außenseiter.“

Wie wahr. Als Fünftbeste war sie nach Finnland gereist, scheiterte dort aber fast in der Qualifikation. 6,25 Meter waren dort gefordert. „Ich dachte, das kann ja nicht so schwer sein, diese Weite bin ich in dieser Saison bei fast jedem Wettkampf gesprungen“, berichtet Lea-Jasmin. Doch es kam anders. „Ich bin einfach nicht klargekommen. Nach dem dritten Sprung dachte ich: Das war‘s. Ich bin raus.“ Doch sie rutschte als Zwölfte gerade noch so ins Finale. Dort folgte dann der bislang größte Erfolg ihrer Karriere.

Die Betonung liegt auf bislang. Denn die 18-Jährige hat große Pläne. „Ich möchte auf jeden Fall an den Olympischen Spielen teilnehmen. Das ist mein größtes Ziel. Und auch das Ziel meiner Familie – glaube ich.“

Ihre Familie – die ist ein wichtiger Faktor. Sozusagen ein integraler Bestandteil des Ganzen. Allen voran ihr Vater und Trainer Hans Ullrich Riecke. Seit sechs Jahren trainiert er seine Tochter. Die beiden erstellen gemeinsam Trainingspläne, werten Wettkämpfe aus – auch mal abends zu Hause am Küchentisch. Denn Sport und Privates lassen sich in dieser Konstellation nicht immer zu einhundert Prozent trennen.

Riecke, der zu DDR-Zeiten selbst zu den besten Zehnkämpfern Europas gehörte und nach der Wende als Footballspieler in die USA ging, ist sich in einer Sache ganz sicher: „Lea-Jasmin steht am Anfang. Sie ist ein Supertalent. Sie ist die Zukunft.“

Die Zukunft, in der auch wieder ein Leichtathlet aus Magdeburg auf internationaler Ebene Erfolge feiern soll. Denn zurzeit bleiben die Vorzeigeathleten hinter den Erwartungen zurück. Mit Martin Wierig, David Wrobel und Anna Rüh vom SC Magdeburg haben gleich drei Diskuswerfer die Qualifikation für die Heim-EM in Berlin knapp verpasst. Kugelstoßer und Noch-Vereinskollege Dennis Lewke ging es genauso, er wechselte mittlerweile in die Trainingsgruppe von David Storl nach Leipzig. Das „Projekt Tokio“, eine Kampagne des SCM, bei der die Kaderathleten auf ihrem Weg zu den nächsten Olympischen Spielen 2020 in Tokio begleitet werden, hat mit Blick auf die Leichtathleten einen Dämpfer erlitten.

Dass bei Lea-Jasmin nicht mehr viel fehlt, um bei den Großen mitzumischen, zeigen ihre Leistungen. Die Goldmedaille sicherte sie sich mit einem Sprung von 6,51 Metern. Die Norm, die die Weitspringerinnen für die Europameisterschaft in Berlin erfüllen mussten, lag bei 6,60 Metern. Gerade einmal neun Zentimeter fehlen. „Das hat mir gezeigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Und dass es nicht unrealistisch für mich ist, irgendwann an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Ganz im Gegenteil.“

Auch ihr Vater ist optimistisch, immerhin sei der Gold-Sprung technisch nicht einmal gut gewesen. „Wenn sie das umsetzen kann, einen optimalen Sprung zu schaffen, dann werden wir auch die Erwachsenen ärgern“, sagt Vater Riecke, fügt allerdings auch an, „aber in diesem Jahr noch nicht.“

Dabei hat es diese Pläne durchaus gegeben, für die deutschen Meisterschaften in Nürnberg Ende Juli war Lea-Jasmin gemeldet. „Aber nachdem sie Weltmeisterin geworden war, prasselte viel auf sie ein. Das Gefühl war überwältigend, doch sie brauchte etwas Zeit, um sich davon zu erholen“, erklärt ihr Vater. Statt nach Nürnberg fuhr sie zu den deutschen Meisterschaften der Altersklasse U 20 in Rostock. Lea-Jasmin Riecke holte Gold im Weitsprung und landete mit dem Team Sachsen-Anhalt im 4 x 100 Meter-Finale ebenfalls auf Rang eins.

Im Sprint? Lea-Jasmin lacht. „Ich könnte nicht nur eine Disziplin trainieren, das wäre zu einseitig für mich“, sagt sie. Denn angesichts ihres WM-Titels in einer Spezialdisziplin kann ja schon mal vergessen werden, dass sie eigentlich ja Mehrkämpferin ist. Dem Weitsprung widmete sie sich zuletzt nur deshalb so intensiv, weil sie eine Schulterverletzung ausgebremst hatte. „Aber ich brauche das einfach: Viele Disziplinen, ein Wettkampf, der über den ganzen Tag geht.“ Dann stockt sie kurz, überlegt. „Einzelwettbewerbe sind natürlich auch ganz schön, weil der Wettkampf meistens spät abends ist. Da kannst du davor noch kurz in die Stadt, ein Stück Kuchen essen.“ Aber nein, Kopfschütteln, Mehrkampf sei halt doch was anderes.

In gewisser Weise steckt dahinter auch die Philosophie des MSC, der Athleten auf zwei sportliche Karrieren vorbereiten will. „Wenn es in der Leichtathletik nicht klappt, hat der Sportler die Möglichkeit, den Sprung in den Bob zu schaffen“, berichtet Vater Riecke, „darum gehen wir andere Wege, was die Vorbereitung der Kinder und Jugendlichen betrifft.“ Im Bobsport kann der MSC tatsächlich große Erfolge vorweisen, allen voran mit Marko Hübenbecker, Welt- und Europameister im Vierer.

Auch Lea-Jasmin Riecke profitiert von dieser Vielseitigkeit, „sie könnte in anderen Sportarten schnell einschlagen, einfach weil die Bewegungsgefühle vorhanden sind“, sagt ihr Vater. Aber den „Rohdiamant schleifen“, das will er noch nicht. „In dem Mädel stecken noch Reserven, ich lasse den Rohdiamant noch wachsen. Sie braucht noch ihre Freiheit, auch was die Sportarten betrifft. Aber fest steht, im Weitsprung ist sie jetzt die Nummer eins, da wird sie gejagt und darauf werden wir uns einstellen.“

Dass sie jetzt „gejagt“ wird, wie ihr Vater sagt, scheint Lea-Jasmin nicht wirklich aus der Ruhe zu bringen. „Ich konzentriere mich weiter auf meinen Sport, aber es ist jetzt nicht so, dass er meinen kompletten Tagesablauf in Anspruch nimmt“, sagt die Schülerin. Sie treffe sich mit Freunden, mache das, was „jeder andere in meinem Alter auch macht“. Und sie hat Hobbys. Darunter auch ein ganz ungewöhnliches: Sie schneidert. „Das hört sich immer blöd an, wenn da steht: Sie schneidert. Aber ich find‘s cool. Es ist halt nicht so populär.“

Als vor drei Jahren im Freundeskreis der Familie zwei Kinder geboren wurden, holte Lea-Jasmin die alte Nähmaschine ihrer Mutter aus dem Keller und fing an zu nähen: Mützen, Hosen, irgendwann habe es auch für Kleider gereicht. „Mittlerweile schneidere ich auch für mich selbst“, verrät sie. „Aber Mode und Design, das bleibt ein Hobby. Ich würde es nicht als Beruf haben wollen.“

In welche Richtung es nach ihrem Abitur am Sportgymnasium Magdeburg gehen soll, weiß sie ohnehin noch nicht. Eines steht jedoch schon fest: Es muss mit dem Sport vereinbar sein. Und: In ihrer Heimatstadt will sie auch bleiben. Auch dann, wenn die sportlichen Voraussetzungen bei einem anderen Verein vielleicht besser wären. „Ich kann mir nicht vorstellen, bei jemand anderem zu trainieren als bei meinem Vater“, sagt Lea-Jasmin. Und der MSC? „Da unser Verein so klein ist, kennt jeder jeden. Es ist sehr familiär und man unterstützt sich gegenseitig. Egal, ob man Leichtathletik oder Bobsport betreibt. Ich könnte mir einfach nicht vorstellen, woanders zu trainieren. In einer anderen Stadt oder bei einem anderen Trainer.“

Ihr Vater ist für Lea-Jasmin nicht nur Trainer und Mentor, er ist in gewisser Weise auch ihr Ansporn, sich immer weiter zu verbessern. „Ich weiß, dass er erfolgreich war, und ich weiß, dass ich erfolgreich sein will. Ich will größere Erfolge feiern als er“, sagt sie und lacht.

Wie weit es das Vater-Tochter-Gespann noch schaffen wird, bleibt abzuwarten. Doch von außen scheint es, als hätten die beiden eine gute Balance zwischen familiärer und sportlicher Beziehung gefunden. Und Beispiele, dass die Konstellation funktionieren kann, gibt es im deutschen Leistungssport ja durchaus. Zum Beispiel mit Fabian und Wolfgang Hambüchen. Sie holten 2016 gemeinsam Olympia-Gold.