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Sportgruppe Jeder turnt für sich allein

Eigentlich würden 40 Frauen im neuen Dorfgemeinschaftshaus Breitenhagen sporteln. Doch das Coronavirus macht das unmöglich.

Von Thomas Linßner 19.01.2021, 00:01

Breitenhagen l Wenn man mal einen Klassiker etwas abgewandelt zitieren darf: Ilka Krimmling rief, und alle, alle kamen! Was beim Preußenkönig 1813 funktionierte, als er sein Volk zum Aufstand gegen Napoleon aktivierte, gelang auch Ilka Krimmling. „Wir haben im Frühjahr mit sieben Frauen angefangen. Jetzt sind wir 40“, sagt die Breitenhagenerin. Wie die Zellteilung verbreitete sich die Neuigkeit, dass sich im Elbedorf eine Sportgruppe gebildet hatte, die im komfortablen Raum des Dorfgemeinschaftshauses trainiert. (Mittlerweile kommen die schwippen Damen nicht nur aus Breitenhagen, sondern auch aus den Orten ringsum.)

Was mehrere positive Effekte hat: Erstens wohnt in einem gesunden Körper auch ein gesunder Geist, wie der römische Dichter Juvenal philosophierte. Zweitens wird im Dorfgemeinschaftshaus, dessen Nutzung Luft nach oben hat, geturnt. Und drittens bewahrheitet sich in diesem Fall mal wieder eine alte Weisheit: Wenn es jemand gibt, der sich engagiert vor einen Karren spannt und die Menschen anspricht, passiert auch was. Diese Lokomotive ist Ilka Krimmling, die ihre Brötchen als Altenpflegerin verdient.

Ihr zur Seite steht Sandra Fromm, die so hilfreiche Dinge einfädelt, wie die Erweckung von Sponsoren für Sportklamotten. Dazu gehören schicke, lindgrüne Anoraks, die am vergangenen Sonnabend vor dem Dorfgemeinschaftshaus stolz präsentiert wurden. Spendiert wurden sie von einer Magdeburger Versicherung und einem Calbenser Lotto- und Handyladen. Sogar die Vornamen der Akteurinnen sind auf lindgrünem Grund zu lesen.

Als Ilka Krimmling die Gruppe im März 2020 gründete, hatte sie nur „Spaß an der Freude gepaart mit Bewegung“ im Hinterkopf. Sie fing mit Zumba an. Das ist eine Mischung aus Aerobic und überwiegend lateinamerikanischen Tanzelementen.

Doch die Angelegenheit mauserte sich, die Gruppe wurde immer größer, die Übungen anspruchsvoller: Kraft, Ausdauer, Rückentraining, Gleichgewichtsübungen, Yoga. „Mittlerweile habe ich die Lizenz zum Übungsleiter und für das Kraft-Ballance-Training“, sagt sie. Letzteres wurde ursprünglich für Senioren entwickelt, tut aber auch jüngeren Menschen gut. Denn wer Füße und Knie richtig belastet, wird beim Joggen keine Schmerzen mehr haben. Zum Beispiel Knieschmerzen, vor allem wenn es bergab geht. Der Grund für derartiges Missgeschick: „Funktionelle Bein­-Achsen-Instabilität“. Was so viel bedeutet wie: Es ist nichts kaputt, aber die Funktion stimmt nicht, die Beine – speziell die Knie – können muskulär nicht genügend stabilisiert werden.

„Ich versuche die Kurse vielseitig zu gestalten, um verschiedene Bereiche unseres Körpers zu trainieren und zu kräftigen“, sagt Ilka Krimmling, deren Gruppe zum Sportverein Blau-Weiß Breitenhagen gehört. Und sie stellt fest, dass ihre Teilnehmerinnen „immer ehrgeiziger“ werden. Das bestätigt auch Sandra Fromm: „Es gibt kaum eine Übungsstunde, nach der wir ohne Muskelkater nach Hause gehen.“

Weil die Nachfrage so groß war, musste das Training der 40-köpfigen Gruppe in zwei Durchgänge aufgeteilt werden.

So war es jedenfalls bis zum 27. Oktober, wo der letzte Sportnachmittag stattfand. Dann kam der zweit Lockdown, der bis heute jegliches Miteinander verbietet.

Nun kann man das Tun der hoffnungsvollen Breitenhagener Sportfrauen auf die Formel bringen: Jede turnt zu Hause für sich allein. Doch zu Weihnachten tummelten sich die lindgrünen Blau-Weißen noch einmal im Freien, als sie zum Dank und mit großem Abstand für die Sponsorenhilfe eine „Jerusalema Challenge“ tanzten. Kennen Sie nicht? Dann mal im Internet nachgucken, wie aus einem Samenkörnchen weltweit ein ganzer Wald entstehen kann.