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"Bokke" Südafrika setzt auf Strahlkraft eines Rugby-WM-Triumphs

Südafrika gehört gemeinsam mit Neuseeland zu den Rugby-Großmächten. Doch am Kap steht Rugby noch für mehr als nur Sport: Der einst exklusive Sport der Weißen gilt heute längst auch als Gradmesser für die Integration einer Nation auf der Suche nach sich selbst.

Von Ralf E. Krüger, dpa 01.10.2019, 10:32

Johannesburg (dpa) - Südafrika und den Rugby-Sport eint eine 127-jährige, wechselhaft-turbulente Liebesbeziehung. Einst ein verhasstes Symbol der Spaltung wurde der Sport später von Nelson Mandela als wichtiges Element beim Aufbau einer neuen Gesellschaft genutzt.

Bei der Rugby-WM in Japan sendet das nationale Springbok-Team bereits trotz der Auftakt-Niederlage gegen Neuseelands "All Blacks" ganz besondere Signale aus. Denn die alte Gleichung Fußball gleich Schwarz, Rugby gleich Weiß gilt nicht mehr.

Erstmals wurden die "Springböcke" mit Siya Kolisi von einem schwarzen Kapitän in die Weltmeisterschaft geführt - ein dritter WM-Titel hätte da besondere Strahlkraft. Er liegt im Bereich des Machbaren: Südafrikas Rugby-Recken waren in der Vergangenheit immer wieder für Überraschungen gut und gelten wie die "All Blacks" aus Neuseeland als sportliche Supermacht. Beim Nachbarschafts-Derby gegen Namibias Welwitschias - so der einer Wüstenpflanze nachempfundene Spitzname des Nationalteams - zeigte das Team vom Kap jedenfalls wieder alte Größe (57:3).

Neben Fußball und dem vor allem bei der indischstämmigen Bevölkerung populären Cricket ist Rugby die beliebteste Sportart im Lande. Zu Apartheidzeiten waren die "Bokke" - so die liebevolle Kurz-Bezeichnung - wegen der Rassentrennung international geächtet. Das änderte sich nach der demokratischen Wende am Kap, als Südafrika wieder auf der Weltbühne mitspielen durfte.

Direkt zum Auftakt gab es dabei einen wichtigen WM-Triumph, dessen symbolische Bedeutung für den jungen Nach-Apartheid-Staat sogar Hollywood inspirierte. Wie nachempfunden im Film "Invictus - Unbezwungen" übergab Nelson Mandela als erster schwarzer Präsident des Landes dem weißen Kapitän Francois Pienaar 1995 den Siegerpokal - demonstrativ gekleidet in ein grün-goldenes Springbok-Shirt.

Auch wenn es mit dem Anfang September gestorbenen Chester Williams damals nur einen einzigen schwarzen Spieler im Team gab: Die Symbolkraft dieser Mandela-Geste war für das tief gespaltene Land auf der Suche nach neuer Einigkeit enorm. "In der Rückschau war 1995 eine Story über uns: Das neue Südafrika hatte seine Identität durch den Sport gefunden", meinte Pienaar später.

Auf einen ähnlichen Stimmungsbooster hofft der Kap-Staat auch diesmal. Er hat ihn dringend nötig. Denn die Aufbruchstimmung der 1990er Jahre ist einer eher schwermütigen Stimmung gewichen. Das Land liegt ökonomisch am Boden, ächzt unter seiner Schuldenlast sowie einer Arbeitslosenquote von offiziell 29 Prozent. Zudem ist die Nation angesichts einer zunehmend anschwellenden Welle der Gewalt über sich selbst erschrocken.

Nach brutalen Übergriffen - darunter auch gegen viele afrikanische Migranten - hat die einstige Regenbogennation auch in Afrika einen schweren Imageschaden erlitten. Sie erfolgten wenige Monate, bevor Südafrika den Vorsitz der Afrikanischen Union übernehmen und den Traum vom einheitlichen Binnenmarkt auf dem Kontinent - mit einem freien Personen- und Warenverkehr - umsetzen will.

"Sollte Südafrika dieses Jahr mit Siya Kolisi als Käpt'n den WM-Titel außerhalb des Landes gewinnen, wäre das geradezu monumental", zeigte sich die frühere Rugby-Legende Bryan Habana im Gespräch mit dem britischen "Guardian" überzeugt. Er betonte: "So eine Inspiration wäre für unser Land immens bedeutend, auf einer Linie mit Mandela 1995 - wenn nicht sogar noch größer." Denn ein WM-Titel könnte das ramponierte Ansehen des Landes im Ausland wieder aufpolieren und auch zu Hause wieder für positive Stimmung zu sorgen.

Dort hat die Rugby-WM einen ähnlichen Stellenwert wie die Fußball-WM in Deutschland. Viele Restaurants und Geschäfte sind mit Fahnenmeeren geschmückt, auch Autos und Privathäuser zeigen Flagge.