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Power 100 Black Lives Matter krempelt den Kunstbetrieb um

Das Coronavirus hat tiefe Spuren in der Kunstwelt hinterlassen. Doch noch stärker hat eine weltweite Protestbewegung den Kunstbetrieb erschüttert. Die neue Liste der "Power 100" sorgt wieder einmal für einige Überraschungen.

Von Dorothea Hülsmeier, dpa 03.12.2020, 11:35
Ringo Chiu
Ringo Chiu ZUMA Wire

London (dpa) - Erstmals steht eine Menschenrechtsbewegung auf Platz eins des globalen Kunstrankings "Power 100". Die internationale Bewegung Black Lives Matter führt im Corona-Jahr die vom britischen Kunstmagazin "ArtReview" veröffentlichte Liste der einflussreichsten Persönlichkeiten und Bewegungen der aktuellen Kunst an.

Natürlich hätte es sich die 20-köpfige anonyme Jury auch einfach machen und Corona auf Platz eins hieven können. Denn das Virus, das weltweit mit tödlicher Kraft unterwegs ist, hat auch den Kunstbetrieb erschüttert: Museen sind im Lockdown geschlossen, fast alle Kunstmessen wurden abgesagt, Künstler kämpfen um ihre Existenz, Galerien verlieren an Einfluss. Die Jury konstatiert: "Das Jahr 2020 hat uns gezeigt, wie machtlos wir alle sind."

Doch mit Black Lives Matter auf Rang eins macht die Jury klar, dass es im Kunstbetrieb immer noch stärkere Einflüsse gibt als ein Virus. Der gewaltsame Tod des Afroamerikaners George Floyd im Mai durch brutale Polizeigewalt habe Proteste in der ganzen Welt ausgelöst, schreibt "ArtReview". Die Bewegung habe auf jeder Ebene den Wandel beschleunigt.

Denkmäler wurden gestürzt, Straßen wurden umbenannt. Zeitgenössische afrikanische Künstler werden sichtbarer. Galerien diversifizieren eilig ihr Programm. Auch in Museen, bei Ernennungen und Auszeichnungen ist nach Ansicht der Jury der Einfluss zu spüren. Black Lives Matter sei eine "globale Abrechnung" mit rassistisch motivierter Diskriminierung und habe zu einem "Paradigmenwechsel in der aktuellen Kultur" geführt.

Die Protestbewegung ist zwar nicht neu, gewinnt aber in den "Power 100" seit längerem an Kraft. Inzwischen sind unter den ersten Zehn fünf afroamerikanische Frauen und Männer, die als Künstler, Denker, Literaten oder Museumsleiter diese Entwicklung personifizieren.

Auch das deutsche Kunstmagazin "Monopol" hatte bereits im November Black Lives Matter in seiner "Top 100"-Liste als wichtigsten Akteur des laufenden Kunstjahres auf Platz eins gewählt.

"Mit Black Lives Matter auf Platz eins wird ein extrem amerikanisch besetztes Thema für die Kunstwelt allgemein gemacht", sagt der Berliner Galerist Thomas Schulte. Das Thema habe aber in Europa und auch Deutschland eine generelle Debatte über täglichen Rassismus ausgelöst.

Nicht weniger interessant ist der Blick auf Platz zwei: Dorthin stieg das indonesische Künstlerkollektiv ruangrupa auf, das die Kasseler documenta im Jahr 2022 kuratiert. An ruangrupa werden aktuelle Trends deutlich: Der Blick der Kunst geht weg von Europa. Und der Teamgedanke wird immer wichtiger - weg vom einzelnen Künstler oder Kurator hin zu Kollektiven.

Europäische Künstler kommen in den "Power 100" kaum vor. Aber unter ihnen sind immerhin gleich zwei Deutsche: die Medienkünstlerin Hito Steyerl auf Platz 18 - vor drei Jahren war sie sogar die Nummer eins - und der Fotokünstler Wolfgang Tillmans auf Rang 23.

Die große Überraschung aber ist die Medienkunstsammlerin Julia Stoschek: Sie schafft es erstmals in das Ranking und landet auf Platz 33. Ein Grund dürfte sein, dass sie den afroamerikanischen Videokünstler Arthur Jafa ausgestellt hat, der auf Platz sechs rangiert.

Dennoch hat auch die Corona-Krise tiefe Spuren in der Kunst und dem - nicht unumstrittenen - Ranking hinterlassen. Viele Galerien fielen raus - auch die deutschen Sprüth Magers, Esther Schipper oder Daniel Buchholz. Die internationalen Megagaleristen Larry Gagosian, David Zwirner und die Schweizer Iwan und Manuela Wirth landeten nur noch im Mittelfeld.

"Diese Galerien, die sehr früh sehr weit in der Kommunikation über neue Medien gewesen sind und da auch eine Marktführerschaft ausgebaut haben, sind selbst in so einem Jahr fast ohne Kunstmessen aus so einer Liste nicht wegzudenken", sagt Galerist Schulte. "Andererseits sind wir in einem sehr außergewöhnlichen Jahr, in dem die Präsenz in Galerien und Ausstellungen längst nicht den Stellenwert hatte und es Messen eigentlich gar nicht gab. Damit war unsere Art von Darstellung auch nicht so präsent."

© dpa-infocom, dpa:201203-99-552578/4

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